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Energiewende

Mutiges Handeln gefragt

Bei der Energiewende sind noch viele Fragen offen. Damit dieses Großvorhaben gelingt, bedarf es einer besseren Koordination. Von DIHK-Präsident Hans Heinrich Driftmann

Anfang Februar stand Deutschland offensichtlich kurz vor dem Zusammenbruch der Stromversorgung – obwohl Kraftwerkskapazitäten anscheinend vorhanden waren. Zwar war bekannt, dass Frankreich in diesen Tagen wegen der starken Kälte und der vielen Elektroheizungen auf deutsche Importe zurückgreifen musste. Die Photovoltaik lieferte aber dank strahlender Sonne zur Mittagszeit sogar die Leistung von sieben Kraftwerken. Wenn wir aber schon in einer solchen beherrschbaren Situation beinahe in den Blackout rutschen, stellt sich die Frage, ob die Energiewende tatsächlich so unter Kontrolle ist, wie behauptet wird. Die Verunsicherung in den Unternehmen wurde durch diesen Fall jedenfalls verstärkt.

Das Risiko von Stromunterbrechungen ist real und es steigt. Seit wir vor einem Jahr sieben Kernkraftwerke auf einen Schlag vom Netz genommen haben, ist es schwieriger geworden, die Stromversorgung stabil zu halten. Die erneuerbaren Energien liefern einmal Rekordmengen Strom, einmal fast gar keinen. Die Netzbetreiber müssen inzwischen dreimal so oft Kraftwerke zu- und abschalten, um die Netzstabilität zu gewährleisten. Der Netzbetreiber Tennet z.B. berichtet von 900 Eingriffen pro Jahr. Unternehmen stellen ihrerseits zunehmend Schwankungen der Netzspannung fest. Kein Wunder, dass bei einer DIHK-Umfrage 65 Prozent der Industrieunternehmen Stromausfälle und Stromschwankungen als Risiko für ihr Geschäft betrachten. Erforderlich ist es daher, die Ergebnisse der Untersuchung zum Beinahe-Crash im Februar transparent zu machen und offen zu diskutieren. Nur so kann Vertrauen zurückkehren. Zudem müssen wir sehr schnell Schlussfolgerungen für die staatliche Notfallvorsorge ziehen.

Als erster Schritt ist die Abschaltung von Großverbrauchern gegen Entschädigung geplant. Das wiederum kostet Geld: Die Bundesregierung rechnet mit Zusatzkosten von 100 Mio. Euro. Die Entschädigungen werden auf die Netzentgelte aufgeschlagen und treiben damit den Strompreis. Unser Ziel muss ein intelligentes Netz sein, das in der langjährigen Übergangsphase der Energiewende Angebot und Nachfrage auf elektronischem Wege schnell und mit geringem Aufwand in Ausgleich bringen kann.

Aufbau der Infrastruktur benötigt Zeit

Es ist zwar ohne Zweifel gut, dass wir immer mehr Megawattstunden aus Wind und Sonne erzeugen. Der gleichzeitig notwendige Umbau des Energiesystems hält mit dem Tempo des Ausbaus der Erneuerbaren jedoch nicht Schritt. Die zur Aufnahme von Sonnen- und Windenergie notwendige Infrastruktur müssen wir zum großen Teil erst noch bauen – und das braucht Zeit. Für den Ausbau der Übertragungsnetze sind neue Regelungen zu erlassen. Sie sollen die Genehmigungsverfahren, die nach bisheriger Erfahrung um die zehn Jahre dauern, weiter beschleunigen.

Die Speicherung von Strom ist derzeit noch Gegenstand von Forschung und von Pilotprojekten. Und die Potenziale für Pumpspeicher sind begrenzt in Deutschland. Skandinavien oder die Alpenländer haben hier Vorteile, aber sie werden nicht zum Nulltarif für uns Batterie spielen. Der stürmische Ausbau der erneuerbaren Energien und der garantierte Einspeisevorrang haben für konventionelle Kraftwerke gleichzeitig weniger Einsatzzeiten zur Folge. Damit wird die Rentabilität mancher Investitionen in neue Kraftwerke infrage gestellt.

Mehr miteinander reden und mehr gemeinsam handeln, dies gilt für die Politik in Berlin genauso wie für die vielen Projekte in Stadt und Land, die rasch zum Umbau des Energiesystems auf den Weg gebracht werden müssen. Es betrifft jeden Kilometer Leitung, jedes neue Windrad, jedes neue Gas- oder Kohlekraftwerk. Wenn wir nicht neue Proteste gegen Großprojekte provozieren wollen, müssen wir die Bürger mitnehmen und frühzeitig einbinden.

Wir müssen gemeinsam transparent machen, dass die Arbeit mit Beschlüssen in Berlin nicht getan ist. Wir dürfen auf den großen Mut bei den Weichstellungen nicht den Kleinmut bei den vielen tausend Einzelprojekten folgen lassen. Das braucht Kommunikation und Entscheidungen gerade in den Regionen, wo es am Ende konkret wird. Dort sind die Industrie- und Handelskammern präsent und an vielen Stellen bereits dabei, sich in den erforderlichen Dialog einzubringen und Entscheidungen mitzutragen.

Das Projekt Energiewende braucht zugleich eine bessere Koordination. Ich rate deshalb der Bundesregierung dringend, einen Projektmanager zu bestellen, bei dem die Fäden zusammenlaufen. Das würde klar machen, dass hier wirklich an einem Strang gezogen wird und zugleich das Vertrauen der Wirtschaft in die Ernsthaftigkeit des Umsetzungsprozesses erhöhen.

Der Berg von Herausforderungen, vor dem wir stehen, muss uns nicht mutlos machen. Im Gegenteil: Die Energiewende ist ein weltweit beachtetes Projekt. Und gerade deshalb muss sie uns auch gelingen. Wir haben einen Ruf zu verlieren als Land der Ingenieure, das nicht nur kühne Ideen entwickelt, sondern auch in der Lage ist, den Ideen Taten folgen zu lassen.

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 07|2012, Seite 30

 
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