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Interview: Stadtentwicklung

Kulturpolitik wird Standortpolitik

Siegfried Dengler ist seit Frühjahr 2012 neuer Leiter des Nürnberger Stadtplanungsamtes. Zuvor war er in Ingolstadt in gleicher Funktion sowie als Geschäftsführungsmitglied der städtischen Wirtschaftsförderung tätig. WiM fragte den Architekten und Stadtplaner nach den Entwicklungspotenzialen der Stadt Nürnberg.

Nürnberg besticht durch seine historische Altstadt. Was sind die nächsten Schritte an den beiden „neuralgischen“ Punkten Hauptmarkt und Obstmarkt?

Nach wie vor sind die Zentren der Städte – die historischen Innenstädte mit ihrem meist denkmalgeschützten Gebäudebestand und mit ihren Straßen und Plätzen – in aller Regel die städtischen Identifikationsorte. Es ist die Innenstadt, das „centro historico“, das als gebaute Kultur die Menschen anzieht. Hier verdichten sich die Lebenslinien von Geschichte und Kultur, von Wohnstadt und Handelsplatz aller gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Epochen. Es ist unsere Aufgabe, mit den Innenstädten sorgsam umzugehen und diese in Hinblick auf aktuelle und künftige Herausforderungen, wie zum Beispiel dem demografischen Wandel und den damit verbundenen Anforderungen einer älter werdenden Gesellschaft, weiterzuentwickeln.

Der Ideen- und Realierungswettbewerb für den Haupt- und Obstmarkt bietet dafür eine hervorragende Grundlage. Im nächsten Schritt werden wir die Wettbewerbsergebnisse in einem Masterplan zusammenführen und dabei die Erkenntnisse der bisherigen Bürgerbeteiligungen berücksichtigen und soweit möglich einarbeiten. Ich bedauere sehr, dass es durch die Beschlüsse der Bundesregierung, die Städtebaufördermittel zu reduzieren, zu einer Verschiebung des geplanten Baubeginns kommen wird. Wir werden dies als Chance für eine sehr gewissenhafte Planung und intensive Bürgerbeteiligung nutzen.

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Eine große „Baustelle“ der Stadtplanung ist derzeit der Westen der Stadt, Stichworte Quelle-Areal und Rangierbahnhof. Welche Möglichkeiten für eine zukunftsweisende Flächennutzung sehen Sie in diesen Bereichen?

Im Westen der Stadt Nürnberg vollzieht sich ein massiver Strukturwandel. Hier wird exemplarisch der Abschied aus dem Industriezeitalter und die Entwicklung zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts deutlich. Beispielhaft ist die Ansiedlung von Betrieben der Kultur- und Kreativwirtschaft auf dem ehemaligen AEG-Gelände. Neue Nutzungsmöglichkeiten für das ehemalige Quelle-Versandzentrum – das mit gut 250 000 Quadratmetern Nutzfläche zweitgrößte Gebäude Deutschlands – rücken diesen Stadtbereich europaweit in den Fokus der Stadtentwicklung. Der Stadtwesten kann sich sowohl als Gewerbe-, Dienstleistungs-, Lern- und Bildungslandschaft als auch als Wohnstandort entwickeln. Stadtplanerisch wünschenswert ist es, den Landschaftsraum der Pegnitz zu renaturieren und ihn mit dem Stadtteil zu verknüpfen. Ein weiteres Ziel ist die Entwicklung neuer Grünflächen in den Wohnquartieren. Eine hervorragende Grundlage für all dies bildet das „Integrierte Stadtentwicklungskonzept Weststadt“, kurz „Insek“, das unter Federführung des Stadtplanungsamtes erarbeitet und kürzlich vom Stadtrat beschlossen wurde. Es ist ein konzeptionelles Planungs- und Entwicklungsinstrument, das eine Reihe strategischer Leitprojekte enthält.

Nach der Schließung des Kaufhofs am Aufseßplatz wünschen sich Einzelhandel und Bürger eine attraktive Alternative mit Magnetwirkung. Welche Nutzung erscheint derzeit am wahrscheinlichsten?

Nach den bisherigen Gesprächen mit dem Grundstückseigentümer und potenziellen Investoren bin ich sehr zuversichtlich, dass es gelingen wird, hier eine attraktive Nachfolgenutzung zu etablieren, die im Interesse der Bürger sein wird. Der Standort bietet alle Potenziale für eine Handelsnutzung mit Magnetwirkung. Wünschenswert wäre zudem eine gemischte, urbane Struktur, die städtebaulich und architektonisch einen neuen Maßstab setzt und wesentliche Impulse für die Entwicklung der Südstadt mit sich bringt. Bis zur Umsetzung wird es noch einige Zeit dauern, daher wäre eine attraktive Zwischennutzung wünschenswert. Die Handlungsmöglichkeiten der Stadt sind allerdings begrenzt, da es sich wie im Bereich der Weststadt um private Flächen handelt.

Sie haben sich wissenschaftlich mit der Rolle der Kultur für die Stadtentwicklung beschäftigt. Welche Impulse kann die Kultur in Nürnberg für eine lebendige Stadt geben?

Fragen der Stadtentwicklung und Stadtplanung werden auch heute noch primär von wirtschaftlichen Überlegungen geleitet. Es scheint allerdings etwas in Vergessenheit geraten zu sein, dass neben der Ökonomie die Kultur über Jahrtausende eine maßgebliche Triebfeder gesellschaftlicher Entwicklungen und damit auch der Entwicklung unserer Städte war. Die Frage nach der „Kultur als Chance und Impuls für die Stadtentwicklung“ hat etwas Tautologisches. Denn bei näherer Betrachtung stellt man fest, dass Städte Orte der Kulturraumverdichtung sind. Städte sind Kultur. Es geht letztlich um ein kulturelles Verständnis von Stadt, um die bewusste Gestaltung von städtischen Räumen. Damit ist Städtebau nicht nur bloß eine technische Frage, sondern müsste – um mit Camillo Sitte zu sprechen – im eigentlichsten und höchsten Sinne auch eine Kunstfrage sein.

Lange Zeit galten Kunst, Kultur und Ökonomie als Gegensatz, sie standen sich häufig auch feindlich gegenüber. Spätestens seit den Forschungsarbeiten von Richard Florida und Charles Landry wissen wir, dass auch eine andere, neue Sicht auf die Zusammenhänge zwischen Wirtschaft und Kultur möglich ist. Hochschulabsolventen und Kreative richten sich in ihrer Wahl des Wohnortes nicht mehr ausschließlich nach den Arbeitsplatzangeboten. Ein urbanes Flair, eine tolerante, diversifizierte Gesellschaft und ein attraktives kulturelles Angebot gehören heute zu den Grundvoraussetzungen, um kreative Fachkräfte anzulocken bzw. um ihren Wegzug in andere Regionen zu verhindern. In Anbetracht der Erkenntnis, dass die menschliche Kreativität das größte Kapital unserer Gesellschaft ist, ist das Thema Kreativität, Kultur- und Kreativwirtschaft Gegenstand intensiver Diskussionen. Die Themen Forschung und Bildung sind zum Gegenstand von stadt- und regionalentwicklungspolitischen Leitbildern geworden. In Zeiten eines zunehmenden Wettbewerbs zwischen Städten und Regionen wird Kulturpolitik zunehmend zur Standortpolitik. Viele Anzeichen deuten darauf hin, dass das Thema noch deutlich an Relevanz gewinnen wird. Unstrittig ist zwischenzeitlich, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft als Teil der Wissensökonomie zu den prägenden Faktoren des Übergangs von der klassischen Industriegesellschaft zur postindustriellen Wissensgesellschaft gehört. Die Stadt und die Metropoloregion Nürnberg sind hier auf einem sehr guten Weg.

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 09|2012, Seite 58

 
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