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144. Kammergespräch

Türkei zieht deutsche Investoren an

Das türkische „Wirtschaftswunder“ ist das Ergebnis durchgreifender Reformen in den letzten zehn Jahren. Das erklärte Hüseyin Avni Karslioglu, der Botschafter der Republik Türkei in Deutschland, beim „IHK Kammergespräch“.

Man muss das Wirtschaftswunderland Türkei nicht überschätzen, aber richtig einschätzen“: Mit diesen Worten ordnete der Diplomat die Bedeutung seines Landes vor rund 250 Gästen im Historischen Rathaussaal ein. Die Türkei habe in den letzten Jahren Wachstumsraten erzielt, die nur von China übertroffen worden seien. Allerdings sei die Türkei von einem niedrigen Niveau aus gestartet. Seit Mitte der 1990er Jahre habe sich das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf auf über 10 000 US-Dollar in etwa verdreifacht, man liege damit aber immer noch weit hinter Deutschland mit deutlich über 40 000 US-Dollar. Im vergangenen Jahr war die türkische Wirtschaft um über acht Prozent gewachsen, für das laufende Jahr rechnet Hüseyin Avni Karslioglu trotz Euro-Krise und schwächerer Weltkonjunktur mit immerhin noch vier Prozent.

Für die mittelfränkische Wirtschaft hat die Türkei stark an Bedeutung gewonnen: Ein augenfälliges Beispiel ist das fränkische Traditionsunternehmen Grundig, das seit mehreren Jahren zum türkischen Koc-Konzern gehört. Als Import- oder Exportpartner Mittelfrankens hat sich die Türkei in den letzten Jahren stetig nach vorne gearbeitet und belegt nun im Ranking der wichtigsten Partnerländer Rang 17. Die Zahl der Unternehmen aus der Region Nürnberg, die mit türkischen Geschäftspartnern zusammenarbeiten, hat sich in den letzten zehn Jahren um rund 25 Prozent auf 535 erhöht, davon sind rund 150 mit langfristigen Engagements (z.B. Vertretungen, Niederlassungen, Produktionsstätten oder Beteiligungen) in der Türkei präsent.

Der Botschafter, dessen Vater aus Regensburg stammt und der nach eigener Aussage eine Vorliebe für Nürnberger Lebkuchen hat, führt den wirtschaftlichen Aufschwung auf die umfangreichen Rechts- und Wirtschaftsreformen zurück, die die derzeitige Regierung vor über zehn Jahren begonnen hatte. „Wir sind dadurch für ausländische Investoren sehr attraktiv geworden“, sagte Karslioglu. In den letzten Jahren flossen jeweils rund zehn Mrd. Euro Dollar oder mehr an ausländischen Direktinvestitionen in die Türkei, deutsche Unternehmen sind dort die bedeutendsten ausländischen Investoren. Als wichtiges Bindeglied für die deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen hätten sich zehntausende gut ausgebildete Deutsch-Türken mit Abitur, Ausbildung oder Studium erwiesen, die in die Türkei zurückgekehrt seien. Sie seien zweisprachig aufgewachsen, in beiden Kulturen zuhause und wichtige Multiplikatoren für Deutschland in der Türkei. Auch die rund drei Mio. türkischstämmigen Bürger in Deutschland stünden für eine enge Verbindung zwischen den beiden Ländern. In Nürnberg leben über 31 000 Menschen mit türkischen Wurzeln, rund 700 Unternehmen werden von türkischsprachigen Inhabern geführt.

Hüseyin Avni Karslioglu will in seiner Funktion als Botschafter auch weiterhin für die Türkei als attraktiven Wirtschaftsstandort werben. Die Bevölkerung sei jung, verfüge über steigende Kaufkraft und stehe dem Unternehmertum aufgeschlossen gegenüber. Interessant sei die Türkei zudem als Brückenkopf nach Afrika, in den Nahen Osten oder in den Kaukasus. Auf die Frage, ob die Begeisterung für den EU-Beitritt in der Türkei etwas abgekühlt sei, antwortete der Botschafter, die Beitrittsverhandlungen würden fortgeführt, wobei die Türkei noch umfangreiche Hausaufgaben zu machen habe. Man fühle sich westlichen Werten wie Pluralismus und Menschenrechten verpflichtet. Dies habe sich auch bei der Diskussion um das umstrittene Mohammed-Video gezeigt: Aus Sicht der Türken sei dieses „Werk“ ein „schmerzhafter Scherz“, der zu verabscheuen sei. Allerdings sei man sich einig, dass die gewalttätigen Ausschreitungen ebenso „aufs Schärfste“ zu verurteilen seien und nicht mit dem Islam in Einklang stünden.

Autor/in: 

tt.

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 10|2012, Seite 18

 
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