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Insolvenzrecht

Wie gewonnen, so zerronnen

Ein Kunde bezahlt eine Rechnung und meldet kurz darauf Insolvenz an. In bestimmten Fällen kann der Insolvenzverwalter den Betrag wieder vom Lieferanten zurückfordern.

Ein Unternehmen stellt eine Rechnung an einen Kunden aus, der Rechnungsbetrag geht auch auf dem Konto ein und der Geschäftsvorgang wird als abgeschlossen gebucht. In manchen Fällen kann es sein, dass das Geschäft nur scheinbar abgehakt werden kann. Etwa dann, wenn Post von einem Insolvenzverwalter ins Haus flattert, der die Bezahlung rückabwickeln will. Begründung: Die Insolvenzordnung (InsO) ermöglicht es dem Insolvenzverwalter unter bestimmten Voraussetzungen, auch Zahlungen zurückzubekommen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beglichen wurden. Anfechtung heißt das unter Juristen.

Im Kern stärkt das Insolvenzrecht den „Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz“, damit bei einer Insolvenz die Forderungen aller Gläubiger möglichst gleichmäßig bedient werden können. Deshalb können im Extremfall auch Zahlungen darunter fallen, die bis vor zehn Jahre vor der Stellung des Insolvenzantrags geleistet wurden. Hierfür bestehen allerdings hohe juristische Anforderungen.

Nach der Erfahrung von Volker Böhm, Fachanwalt für Insolvenzrecht und Leiter der Abteilung Insolvenzverwaltung der Schultze & Braun-Niederlassung Nürnberg, haben Anfechtungen durch Insolvenzverwalter deutlich zugenommen. Das liegt u.a. daran, dass die Insolvenzkanzleien bei der Aufarbeitung der Buchhaltungsunterlagen immer akribischer und professioneller vorgehen. Zudem gibt es eine steigende Zahl höchstrichterlicher Gerichtsurteile, bei denen immer wieder Präzedenzfälle für neue Fallkonstellationen geschaffen werden. Mittlerweile sei das Rechtsgebiet auch für einen Fachmann immer schwerer zu durchschauen, so Böhm. Im Normalfall müsse ein Lieferant allerdings nichts zurückzahlen, auch wenn er während einer wirtschaftlichen Krise seines Vertragspartners Zahlungen von diesem erhalten hat.

Überwiegend wird in der Praxis auf Zahlungen zurückgegriffen, die in den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzantrag geleistet wurden. „Denn erfahrungsgemäß ist oftmals eine Zahlungsunfähigkeit gegeben, bevor tatsächlich Insolvenzantrag gestellt wird“, erläutert Rainer Schaaf, Rechtsanwalt und Partner der Nürnberger Wirtschaftskanzlei Rödl & Partner und dort federführend für das Insolvenzrecht zuständig. Erhält ein Lieferant sein Geld erst mit wochenlanger Verspätung und geht der zahlende Kunde dann in die Insolvenz, sieht Schaaf die Zahlung als „durchaus anfechtbar“ an. Späte Zahlung allein ist aber dann kein Argument für deren Rückabwicklung, wenn der Kunde regelmäßig erst nach 90 Tagen gezahlt hat. Kritisch kann es dagegen werden, wenn er von diesem Turnus abgewichen ist.

Was deutet auf eine Insolvenz hin?

Juristisch sei zwischen Zahlungsunwilligkeit und Zahlungsunfähigkeit zu unterscheiden, erklärt der Nürnberger Rechtsanwalt Dr. Matthias Schneider, der sich auf Insolvenz- und Zwangsverwaltung sowie Sanierungsberatung spezialisiert hat. Nur weil im B2B-Bereich (Geschäfte zwischen Unternehmen) jemand nicht zahle, könne nicht zwingend auf drohende Insolvenz geschlossen werden. Wie so häufig in der Juristerei gebe es nur Anhaltspunkte. „Es kommt auf den Einzelfall an.“

Der Insolvenzverwalter hat beispielsweise dann gute Chancen, vor Gericht zu bestehen, wenn etwa Stundungen mangels Liquidität vereinbart oder Rechnungen per Zwangsvollstreckung eingetrieben wurden. Oder wenn bereits hohe Außenstände aufgelaufen sind. In diesen Fällen vermuten die Gerichte in der Regel, dass eine Zahlungsunfähigkeit schon vor dem Insolvenzantrag erkennbar war.

Schaaf geht allerdings davon aus, dass eine Vielzahl der Anfechtungen nicht die üblichen Lieferanten betreffen. Wirtschaftlich interessant sind vor allem Anfechtungen gegen Besicherungen durch Banken oder Zahlungen an Sozialversicherungsträger und Finanzämter – oder Fälle, bei denen Vermögen an Familienmitglieder oder unternehmerische Schwestergesellschaften übertragen wurde.

Schutz vor einer Anfechtung kann laut Schaaf unter Umständen das „Bargeschäft“ bieten, bei dem u.a. Leistung und Gegenleistung sehr zeitnah ausgetauscht werden. Das könne beim Gebrauchtwagenkauf tatsächlich einen unmittelbaren Leistungsaustausch erforderlich machen, bei externen Beratungsleistungen gelten 30 Tage als üblich. Dadurch soll Unternehmen in der Krise ermöglicht werden, „bestimmte essenzielle Geschäfte tätigen zu können“.

Insolvenzverwalter Schneider sieht für Unternehmen keinen Grund zu übertriebener Sorge. Er versende nie „flächendeckend“ Anfechtungsschreiben und werde nie ohne konkreten Hinweis und ohne genaue rechtliche Einzelfallprüfung aktiv. Wenn eine Anfechtung, ein quasi-amtlich wirkendes Schreiben eines vom Gericht bestellten Insolvenzverwalters, im Posteingang liegt, sollten Unternehmen im Zweifel einen Fachanwalt zu Rate zu ziehen, empfiehlt Böhm: „Für Normalkaufleute wird es immer schwerer einzuschätzen, ob man ein Risiko hat.“

Autor/in: 
tt.
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 12|2012, Seite 28

 
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