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Landesentwicklungsprogramm Bayern

Einfallstor für große Verkaufsflächen?

Die Fortschreibung des Landesentwicklungsprogramm Bayern (LEP) ist am 1. September 2013 in Kraft getreten. Die jahrelange kontroverse Debatte dürfte damit nicht zu Ende sein, weil vor allem der innerstädtische Einzelhandel Nachteile fürchtet.

Das Landesentwicklungsprogramm (LEP), dessen Fortschreibung die Bayerische Staatsregierung am 7. August beschlossen hat, gilt als Masterplan, der Bayerns Weg in die Zukunft abstecken soll. Das LEP ist bindend für alle öffentlichen Stellen und dient als Beurteilungsmaßstab für Raumordnungsverfahren und landesplanerische Stellungnahmen.

Seit seiner Einführung 1976 ist das LEP das wesentliche Instrument, um dem Meta-Ziel der Landesentwicklung – gleichwertige Lebens- und Arbeitsbedingungen in allen Teilen des Freistaats – näher zu kommen. Im Dezember 2009 hatte der Ministerrat eine Reform der Landesplanung beschlossen. Dazu gehörte eine Novelle des Bayerischen Landesplanungsgesetzes (BayLplG) und eine Gesamtfortschreibung des LEP.

Entbürokratisierung, Deregulierung und Kommunalisierung waren die plakativen Begriffe, die die Bayerische Staatsregierung dieser Reform auf die Fahnen geschrieben hatte. Das neue LEP sollte dazu beitragen, wesentliche Herausforderungen für die räumliche Entwicklung des Freistaats zu bewältigen: demografischer Wandel, Klimawandel und Energiewende sowie den verstärkten Wettbewerb der Teilräume.

Im Mai 2012 hat die Bayerische Staatsregierung einen Entwurf des LEP beschlossen, den sogenannten LEP-E. In einer Pressemitteilung der Staatskanzlei pries Wirtschaftsminister Martin Zeil die Vorlage: „Unser überarbeitetes Programm wird deutlich weniger Vorgaben umfassen. Es fördert damit die Deregulierung und Entbürokratisierung staatlichen Handelns. Wir reduzieren die Ziele um ein Viertel und die Grundsätze auf ein Drittel.“

Kritik aus der Wirtschaft

In diese Lobeshymne wollte im folgenden Anhörungsverfahren kaum jemand einstimmen. Im Gegenteil: Die Spitzenverbände der Wirtschaft bezogen in ihren Stellungnahmen sehr kritisch Position, ebenso der Bayerische Städtetag sowie Umweltorganisationen wie der Bund Naturschutz.

Dabei ging es Fundamentalkritik. Zwar begrüßte der Bayerische Industrie- und Handelskammertag (BIHK) grundsätzlich die Intention, das LEP zu verschlanken und inhaltlich zu straffen. Aber das Ergebnis war aus Sicht der Dachorganisation der neun bayerischen Industrie- und Handelskammern zu dürftig: „Der LEP-E ist in seinem Aussagegehalt so allgemein und unverbindlich gehalten und in seiner Regelungsdichte so weit ausgedünnt, dass keine tragfähige Konzeption zur Bewältigung der Herausforderungen der Landesentwicklung und Weiterentwicklung des Wirtschaftsstandorts Bayern zu erkennen ist.“

Auf die vielstimmige Kritik im ersten Anhörungsverfahren hat die Bayerische Staatsregierung mit einem überarbeiteten Entwurf reagiert, der am 28. November 2012 vom Kabinett beschlossen wurde.

Auch diese LEP-Fassung erhielt wenig Applaus, bei einer Anhörung im Landtag hagelte es dafür heftige Kritik. Die Oppositionsparteien sowie verschiedene Verbände appellierten eindringlich für die Reset-Taste: Der Entwurf sollte zurückgezogen und nochmals gründlich überarbeitet werden. Der Bayerische Städtetag, der Bayerische Handwerkstag und der Handelsverband Bayern (HBE) warnten in einer gemeinsamen Erklärung „vor einer überhasteten Verabschiedung des LEP“.

Vergeblich: Der Landtag hat am 20. Juni 2013 mit den Stimmen der CSU und der FDP dem LEP zugestimmt – allerdings mit der Maßgabe einer nochmaligen Überarbeitung sowie einer weiteren Anhörung. In deren Rahmen waren jedoch nur die Meinungen zu den Änderungen gefragt. Dennoch war die Beteiligung durchaus rege: Etwa 500 Stellungnahmen sind beim Wirtschaftsministerium eingegangen, vor allem von Kommunen und Verbänden.

Wie der Bericht aus der Ministerratssitzung verlautbart, hätten viele die Änderungen ausdrücklich begrüßt. Die Spitzenverbände der bayerischen Wirtschaft können damit nicht gemeint gewesen sein. Nach wie vor beurteilen sie wesentliche Punkte sehr kritisch, wie eine Passage aus der Stellungnahme des BIHK belegt: „Die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem nun geänderten und ergänzten LEP-Entwurf hat gezeigt, dass die im Zuge der parlamentarischen Beratungen eingebrachten Änderungsanträge hinter den Erwartungen zurückbleiben und nur unzureichend auf die in den vergangenen Anhörungsverfahren vorgebrachte Kritik eingehen. Eine wesentliche Überarbeitung und Neujustierung des Entwurfs wurde nicht vorgenommen.“

System der Zentralen Orte

Zu den strittigen Punkten der LEP-Fortschreibung gehören insbesondere das System der Zentralen Orte und die neuen Regelungen für Einzelhandelsgroßprojekte. Diese beiden eng miteinander verbundenen Themenfelder werden hier detailliert vorgestellt.

Ein wesentlicher Baustein des LEP ist das System der Zentralen Orte. Zentralität bedeutet, dass eine Stadt oder städtische Siedlung Dienstleistungen und Güter für das Umland anbietet. Der Standort hat also einen sogenannten Bedeutungsüberschuss, weil er nicht nur die eigene Bevölkerung versorgt, sondern auch die Menschen innerhalb seines Verflechtungsbereichs.

Im LEP 2006 waren von 2 056 Gemeinden über 800 Zentren ausgewiesen – zu viele nach Meinung von Experten. Bemängelt wurde, dass einige Zentrale Orte maßgebliche Kriterien de facto nicht erfüllen. Der BIHK wies in seiner Stellungnahme darauf hin, dass nur knapp 40 Prozent der Zentralen Orte in Bayern ihrer Zentralität gerecht würden. Ein modernes Planungssystem könne seine Aufgabe aber nur erfüllen, wenn die Kriterien verbindlich angewandt und ständig evaluiert würden.

Deshalb hatten sich der BIHK und die Arbeitsgemeinschaft der Bayerischen Handwerkskammern dafür ausgesprochen, die Einstufung der Zentralen Orte in der Fortschreibung des LEP zu überprüfen. Eine Verringerung der Zentren hätte sich jedoch als politisch heikles Unterfangen erwiesen, weil die Rückstufung bestehender Zentren als tendenziell unpopuläre Maßnahme gilt.

So hat man bei der LEP-Reform auf eine inhaltliche Überprüfung der bisherigen Zentralen Orte verzichtet. Sie wurden nur einer neuen Kategorie zugeordnet, denn die LEP-Fortschreibung hat die sieben Zentralitätsstufen auf drei reduziert. Künftig gibt es die Kategorien Grundzentrum (bisher: Siedlungsschwerpunkte, Kleinzentren und Unterzentren), Mittelzentrum (bisher: Mögliche Mittelzentren und Mittelzentren) und Oberzentrum (bisher: Mögliche Oberzentren und Oberzentren).

Als besonders kritisch hat die vom BIHK in Auftrag gegebene Studie „Das Zentrale-Orte-System in Bayern“ die Leistungsfähigkeit einiger Mittel- und Oberzentren beurteilt. Genau diese Kategorien der Zentralen Orte sollen nun doch noch gründlich untersucht werden.

Allerdings erst nach der Landtagswahl in der neuen Legislaturperiode: Nach der Landtagsdebatte am 20. Juni 2013 wurde Paragraph 3a im LEP ergänzt: „Für die Festlegung der Mittel- und Oberzentren ist im Jahr 2014 eine Teilfortschreibung des Landesentwicklungsprogramms einzuleiten.“

Die Einstufung einer Kommune als Zentraler Ort ist keine akademische Frage, sondern hat handfeste Konsequenzen, vor allem für den Einzelhandel, denn Einzelhandelsgroßprojekte sind nur an Zentralen Orten zulässig. Durch die pauschale Aufwertung der Kleinzentren zu Grundzentren hat sich nun im LEP die Zahl potenzieller Standortgemeinden von bislang rund 470 auf über 900 erhöht.

Größere Verkaufsflächen

Nach dem neuen LEP dürfen Nahversorgungsbetriebe mit bis zu 1 200 Quadratmetern Verkaufsfläche nun in jeder Gemeinde angesiedelt werden, unabhängig vom Zentralitätsgebot. Dahinter steckte die Absicht, auch an kleineren Standorten auf dem Land die Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs (Lebensmittel und Drogerien) sicherzustellen.

Weil die gängigen Betriebsformate im Lebensmitteleinzelhandel die alte Bemessungsgrenze von 800 Quadratmetern längst gesprengt haben, sollte die Reform des LEP mit einer Erhöhung der zulässigen Verkaufsfläche die Ansiedlung in Nicht-Zentralen-Orten erleichtern. Der Handelsverband Bayern befürchtet, dass diese Regelung eine neue Runde im Verdrängungswettbewerb im Einzelhandel einläutet.

Für inhabergeführte Lebensmittelgeschäfte in den Ortszentren wäre eine großformatige Offensive der Einzelhandelsketten ein schwer zu verkraftender Schlag. HBE-Präsident Ernst Läuger warnte in einer Pressemitteilung vor den Konsequenzen: „Wir wollen keine Verhältnisse wie in den USA oder in Norditalien mit wuchernden Siedlungsgeschwüren mit Einkaufszentren am Ortsrand.“

Solche Zustände soll das Anbindungsgebot verhindern: Danach hat die Ausweisung von Flächen für Einzelhandelsgroßprojekte „an städtebaulich integrierten Standorten“ zu erfolgen. Allerdings sind Abweichungen von dieser Vorschrift zulässig, wenn „die Gemeinde nachweist, dass geeignete städtebaulich integrierte Standorte aufgrund der topografischen Gegebenheiten nicht vorliegen.“ Diese Klausel eröffnet Kommunen Freiräume, mithilfe entsprechender Gutachten großformatige Läden an der Peripherie zuzulassen.

Berechnung der Verflechtungsbereiche

Die zulässige Verkaufsfläche für Einzelhandelsgroßprojekte richtet sich nach den Abschöpfungsquoten: Neuansiedlungen von Geschäften für Nahversorgungsbedarf oder sonstigen Bedarf (u.a. Möbel-, Bau- und Gartenmärkte) dürfen höchstens 25 Prozent der sortimentsspezifischen Kaufkraft im einschlägigen Bezugsraum abschöpfen.

Für Anbieter von Innenstadtbedarf (etwa Bekleidung, Schuhe, Elektroartikel) liegt die erlaubte Abschöpfungsquote bei 30 Prozent für die ersten 100 000 Einwohner; für die Bevölkerungszahl, die die 100 000-Marke übersteigt, bei 15 Prozent.

Diese einschlägigen Bezugsräume wurden in der LEP-Neufassung verändert: Die bisherigen „Verflechtungsbereiche des innerstädtischen Einzelhandels“ werden durch „Einzelhandelsspezifische Verflechtungsbereiche“ ersetzt. Diese werden anhand der Parameter Attraktivität des Einzelhandels einer Kommune und überörtliche Erreichbarkeit berechnet.

Zur Illustration: Erzielt der Einzelhandel in einer Gemeinde mit 20 000 Einwohnern Umsätze in Höhe von 150 Prozent der örtlichen Kaufkraft, so wird dieser Gemeinde mindestens das Anderthalbfache der eigenen Bevölkerung als Richtwert des Verflechtungsbereichs zugeordnet, in diesem Fall also 30 000 Einwohner.

Dem Verflechtungsbereich eines Zentralen Ortes wird neben den eigenen Einwohnern auch die Bevölkerung zugerechnet, die die Ortsmitte in bestimmten, nach Grund-, Mittel- und Oberzentren differenzierten, Fahrzeiten erreichen kann. Auf Basis dieser Berechnungsmethode ist die Einwohnerzahl im Freistaat sprunghaft angestiegen, zumindest virtuell: Würde man die Bevölkerung entsprechend der neu abgegrenzten einzelhandelsspezifischen Verflechtungsbereiche der Zentralen Orte zusammenrechnen, hätte Bayern 24,1 Mio. Einwohner. Tatsächlich sind es 12,5 Mio..

Für die Beurteilung und Genehmigung von Einzelhandelsgroßprojekten wird also eine Kaufkraft zugrunde gelegt, die nur in Rechenmodellen existiert. So können die neuen Verflechtungsbereiche in Verbindung mit der Beinahe-Verdoppelung der Grundzentren sowie der Aufhebung des Zentralitätsgebots für Einzelhandelsgroßprojekte der Nahversorgung zu einer massiven Steigerung der Verkaufsflächen führen.

Autor/in: 
Andrea Wiedemann
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 09|2013, Seite 44

 
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