Telefon: +49 911 1335-1335

Die vierte industrielle Revolution

Internet trifft Industrie

Die Digitalisierung bewirkt einen grundlegenden Wandel der Produktion. Die Zukunft der „Industrie 4.0" hat bereits begonnen.

Deutschland steht als führende Industrienation vor einer gewaltigen Herausforderung. Die Digitalisierung sorgt dafür, dass IT- und Internet-Technologien mit Produktionssystemen verschmelzen. Nach der Einführung mechanischer Maschinen durch Dampf und Wasserkraft im 18. Jahrhundert, der arbeitsteiligen Massenproduktion durch Einführung des Fließbands im 19. Jahrhundert und dem Einzug von Computern und Robotern im 20. Jahrhundert bringt die vierte industrielle Revolution eine erneute Umwälzung.

Das Ziel ist die intelligente Fabrik (Smart Factory), die sich durch Wandlungsfähigkeit, Ressourceneffizienz, Benutzerfreundlichkeit sowie die Integration von Kunden und Geschäftspartnern in Wertschöpfungsprozesse auszeichnet. Neue Geschäftsmodelle werden entstehen und eine Herstellung hoch individueller Produkte zu den Kosten einer Großserienfertigung wird möglich. Experten erwarten einen schrittweisen evolutio-
nären Prozess, der sich über zehn bis 20 Jahre erstreckt und Produktivitätssteigerungen von bis zu 30 Prozent bringt.

„Internet der Dinge“

In der Industrie 4.0 werden alle an der Wertschöpfung beteiligten Objekte wie Maschinen, Lagersysteme, Betriebsmittel und Werkstücke in das weltumspannende Kommunikationsnetz integriert, wofür der Begriff „Internet der Dinge“ steht. Jedes Objekt existiert sowohl real als auch als virtuelles Modell, sodass die physische und die virtuelle Welt nahtlos ineinandergreifen.    Die virtuellen Abbilder werden durch die gesamte Wertschöpfungskette mitgeführt und repräsentieren immer den aktuellen Zustand des realen Objekts. Handelt es sich bei den Objekten um vernetzte eingebettete Systeme mit eigener Steuerintelligenz, spricht man auch von sogenannten Cyber-Physischen Systemen. Werden alle Objekte und Prozesse einer Fabrik im virtuellen Raum abgebildet, erhält man ein digitales Fabrikmodell, in dem sämtliche relevanten Informationen in Echtzeit verfügbar sind.

Produktionssystem optimiert sich selbst

Auf Basis der virtuellen Modelle lassen sich alle Abläufe an den Produktionslinien bis ins Detail simulieren und optimieren. Dies ermöglicht nicht nur eine verbesserte Produktionsentwicklung, sondern auch eine Selbstoptimierung des laufenden Betriebs: Bei geänderten Betriebsbedingungen kann das Produktionssystem die vorgegebenen Ziele wie minimale Durchlaufzeiten oder maximale Energieeffizienz automatisch modifizieren und die Abläufe an die veränderten Ziele anpassen. Durch den Vergleich von realen Anlagenwerten mit den Simulationen der Modelle können Prognosen über die Ausfallwahrscheinlichkeit von Betriebsmitteln im Sinne einer vorbeugenden Wartung erstellt und Fehler durch Selbstdiagnose ermittelt werden. Bislang ist die Erstellung der dynamischen virtuellen Modelle aufwändig. Hier bietet das maschinelle Lernen einen Ausweg: Durch Messung von Fabrikprozessen in Echtzeit können die Computermodelle aus einer ausreichenden Menge von Prozessdaten erlernt werden, beispielsweise mit Data-Mining-Methoden.

Aufgrund der hohen Komplexität und Dynamik sind die Wertschöpfungsprozesse in der Industrie 4.0 nur durch konsequente Modularisierungsstrategien und dezentrale Steuerungsarchitekturen beherrschbar. Das bedeutet: Kundenaufträge werden nicht mehr zentral vorausgeplant und nach starren Vorgaben umgesetzt, sondern hoch flexibel durch Selbstorganisation des Produktionsnetzwerks ausgeführt. So führen Werkstücke die nötigen Informationen über erforderliche Bearbeitungsschritte mit sich, kommunizieren über eine eingebaute RFID (Radio Frequency Identification)-Antenne mit den Maschinen entlang ihres Weges und lösen eigenständig Bearbeitungsaufträge aus. Intelligente Maschinen koordinieren autonom deren Abwicklung und initiieren Logistikaufträge, um das notwendige Material bereitzustellen. Fällt eine Maschine aus, organisiert sich die Fertigung über einen alternativen Weg neu. Auch auf kurzfristige Änderungen der Nachfrage kann das Produktionsnetzwerk flexibel reagieren, da die Ausführung der Aufgaben im Gegensatz zur hierarchischen Steuerungsorganisation so spät wie möglich und nur so früh wie nötig geplant wird.

Trotz durchgehender Automatisierung werden die Menschen weiter die wichtigste Kontroll- und Entscheidungsinstanz in der Fabrik bleiben. Neue intelligente Assistenzsysteme und mobile Endgeräte sollen den Mitarbeiter dabei unterstützen, schnell und effizient komplexe Entscheidungen zu treffen, die die Maschinen auch in absehbarer Zeit nicht übernehmen können.

Vorhandene Technologien zusammenführen

Viele Einzeltechnologien für die Industrie 4.0 sind heute schon vorhanden. Die vorausschauende Instandhaltung, um bei kritischen Antriebskomponenten in Maschinen und Anlagen frühzeitig Verschleiß, Unwuchten oder Wälzlagerschäden zu erkennen, ist vielfach bereits Stand der Technik. Auch RFID-Systeme sind seit vielen Jahren ein bewährtes Werkzeug zur Steuerung einer variantenreichen Produktion. Um eine weitgehend selbstorganisierte und -optimierte Produktion zu ermöglichen, müssen die verschiedenen Einzeltechnologien zukünftig auf Basis technischer Standards zusammengeführt werden.

Flexible Zusammenarbeit

Eine wichtige Herausforderung ist die flexible Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure im Wertschöpfungsnetzwerk im Sinne einer semantischen Operabilität: Hier geht es nicht nur um den effizienten Austausch von Daten, wie es im heutigen Internet üblich ist, sondern darum, dass alle Kommunikationspartner das in den Daten enthaltene Wissen auf Basis gemeinsamer semantischer Standards automatisch nutzen können. Weitere Herausforderungen bestehen in der Erarbeitung von industrietauglichen Konzepten für die funktionale und die IT-Sicherheit. Viele digitale Schlüsseltechnologien kommen aus den USA oder Südostasien. Für Deutschland gilt es, die Systemkompetenz an der Schnittstelle zwischen den klassischen Industriebranchen und der IT- bzw. Internet-Technologie zu nutzen. Notwendig ist eine noch engere und branchenübergreifende Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft. 

Hannover Messe 2014

Um diese Vernetzung voranzubringen, stand auch die diesjährige Hannover Messe vom 7. bis 11. April 2014 unter dem Schwerpunktthema Industrie 4.0. Die Metropolregion Nürnberg zeigte auf der Messe Flagge mit dem Gemeinschaftsstand „Mechatronik & Automation Valley“, der gemeinsam von der IHK und dem Cluster Mechatronik & Automation, Augsburg/Nürnberg, organisiert worden war. Dort präsentierten sich folgende Unternehmen: Hermos (Mistelgau), Infoteam Software (Bubenreuth), Leoni Protec Cable Systems (Hannover/Nürnberg), OSB (München, mit Niederlassung in Nürnberg) und Systemtechnik Leber (Schwaig) sowie L-3 Communications Magnet-Motor aus Starnberg. Themenschwerpunkte des Gemeinschaftsstandes waren Software-Innovationen für die Industrie 4.0 und Engineering-Lösungen für den Produktlebenszyklus. Höhepunkt war ein Messetalk am Gemeinschaftsstand, bei dem die beteiligten Unternehmen ihre Innovationen präsentierten. Insgesamt waren 52 Unternehmen und Organisationen aus Mittelfranken auf der weltweit größten Leistungsschau der Industrie vertreten.

In der Metropolregion Nürnberg ist die Wirtschaft für Industrie 4.0 gut gerüstet: Die Branchen Automation und Produktionstechnik sowie Information und Kommunikation sind Schlüsselindustrien mit mehr als 200 000 Beschäftigten in der Region. Im Netzwerk Automation Valley Nordbayern, das von den nordbayerischen IHKs unter Federführung der IHK Nürnberg für Mittelfranken vorangetrieben wird, engagieren sich über 250 Unternehmen und Forschungseinrichtungen.

Informationen zu Industrie 4.0

www.plattform-i40.de
des Bundesverbandes
Informationswirtschaft,
Telekommunikation und neue Medien e.V. (Bitkom)

www.vdi.de/industrie-4.0
der VDI/VDE-Gesellschaft Mess- und Automatisierungstechnik (GMA)

www.automation-valley.de
(regionale Informationen sowie IHK-Aktivitäten)

Autor/in: Dr. Ronald Künneth,ist Referent für Energiewirtschaft, Managementsysteme und Technologietransfer bei der IHK Nürnberg für Mittelfranken (Tel. 0911 1335-297, ronald.kuenneth@nuernberg.ihk.de).
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 05|2014, Seite 22

 
Device Index

Alle Ansprechpartner/innen auf einen Blick