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Russland

Wer ist geliefert?

Russland Moskau Kreml Roter Platz © vvoe - Fotolia

Viele deutsche Unternehmen sind unsicher, ob ihre Geschäfte mit Russland von den Sanktionen betroffen sind.

Etwa 80 Prozent des Russland-Geschäfts sind von den Sanktionen der Europäischen Union überhaupt nicht betroffen, so die Einschätzung von Experten. Aber viele Unternehmen sind verunsichert, ob sie zu dieser Mehrheit oder zu den verbleibenden 20 Prozent gehören. Dementsprechend groß ist der Informationsbedarf. Davon zeugten die dichtgefüllten Sitzreihen beim Seminar „Exportieren nach Russland: Aktuelles zu Zoll, Zertifizierung und Exportkontrolle“, das die IHK Nürnberg für Mittelfranken Ende September veranstaltet hat. Die Teilnehmer nutzten die Chance, sich von Kennern der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen aus erster Hand informieren zu lassen.

Dual-Use-Güter

Dabei standen die Auswirkungen der Sanktionen im Mittelpunkt (siehe Kasten). Insbesondere die Bestimmungen für Dual-Use-Güter sorgen bei deutschen Unternehmen für Unsicherheit: Die „Güter und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck“ lassen sich sowohl im zivilen und als auch im militärischen Bereich einsetzen. In Anhang I der EG-Dual-Use-Verordnung sind die Gegenstände, Technologien und Kenntnisse aufgeführt, die zu dieser Kategorie gezählt werden. Grundsätzlich ist die Ausfuhr dieser gelisteten Dual-Use-Güter genehmigungspflichtig; das derzeitige Sanktionsregime verbietet deren Ausfuhr nach Russland, wenn sie ganz oder teilweise „für militärische Zwecke oder für einen militärischen Endnutzer bestimmt sind“.

Sofern die gelisteten Dual-Use-Güter nur für zivile Zwecke eingesetzt bzw. an zivile Endverwender geliefert werden, bleibt der Export nach Russland weiterhin genehmigungsfrei. In der Praxis sind die deutschen Unternehmen allerdings mit dem Problem konfrontiert, dass sie die ausschließlich zivile Verwendung nachweisen müssen – angesichts vielgliedriger Lieferketten meist kein einfaches Unterfangen. Hinzu kommt, dass die Zuordnung zur Kategorie nicht gelisteter Dual-Use-Güter für den Zoll nicht unbedingt eindeutig ist. Ein Teilnehmer kam verspätet und mit hohem Adrenalinpegel zum IHK-Seminar, weil der Zoll die Papiere für eine Lieferung von Beleuchtungskörpern für Lichtmasten nicht ausstellen wollte.

Eine Konsequenz des Sanktionsregimes für deutsche Akteure im Russland-Geschäft steht bereits fest: Der Aufwand für das Risikomanagement steigt erheblich, denn eine Verletzung der Sanktionen kann Unternehmen teuer zu stehen kommen. „Sanktionen sind geltendes Recht. Verstöße gelten als Ordnungswidrigkeiten, unter Umständen sogar als Straftat“, erklärte Prof. Dr. Rainer Wedde, Jurist bei der Moskauer Kanzlei der Sozietät Beiten Burkhardt.

Nicht nur die Sanktionen wirken sich nach seiner Ansicht derzeit nachteilig für die deutsch-russischen Geschäftsbeziehungen aus: „Die meisten Hemmnisse rühren aus dem makroökonomischen Umfeld in der Russischen Föderation.“ Dieses hat sich schon lange vor dem Beginn der Ukraine-Krise eingetrübt: Seit 2011 nimmt die Wirtschaftsleistung ab; 2014 könnte Russland erstmals in die Rezession rutschen. Die Abwertung des Rubels dämpft die Nachfrage nach Importgütern: 2012 lag der Umrechnungskurs bei 1 Euro zu 40 Rubeln, im März 2014 bei 1 Euro zu 50 Rubeln. Die Finanzierungsprobleme russischer Industriebetriebe machen sich bei den Bestellungen von Investitionsgütern aus dem Ausland bemerkbar. Auch deutsche Maschinen- und Anlagenbauer sind betroffen, denn für diese Branche zählt Russland zu den wichtigsten Absatzmärkten weltweit.

Diese Tendenzen werden durch die Sanktionen verstärkt, mit Folgen für die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen. Russland liegt auf der Rangliste der Zielländer deutscher Ausfuhren mit einem Volumen von rund 36 Mrd. Euro auf Platz elf (2013). Für die Russische Föderation war Deutschland im vergangenen Jahr mit einem Anteil von knapp zwölf Prozent nach der Volksrepublik China das zweitwichtigste Lieferland.

René Harun, Direktor der Filiale der Deutsch-Russischen Außenhandelskammer (AHK) in St. Petersburg, betonte in seinem Vortrag auf dem IHK-Seminar, dass Produkte „Made in Germany“ auf dem russischen Markt „wegen der Qualität der Waren und der Zuverlässigkeit der deutschen Geschäftspartner“ einen exzellenten Ruf genießen. Die Reputation leidet aber durch die Unwägbarkeiten des Sanktionsregimes. In einer repräsentativen Umfrage wollte die AHK von deutschen Unternehmen in Russland u.a. wissen, ob sie eine Veränderung im Verhältnis zu ihren russischen Partnern spüren. Noch verneinten 54 Prozent diese Frage, aber 33 Prozent registrierten „Zurückhaltung“ und elf Prozent eine „Orientierung nach Asien“. Hinsichtlich des Geschäftsklimas überwiegt bei den Befragten Skepsis: 71 Prozent rechnen bis zum Jahresende 2014 mit einer rezessiven oder schlechten wirtschaftlichen Entwicklung. Auf lange Sicht überwiegt (vorsichtiger) Optimismus: Etwa drei Viertel der Umfrageteilnehmer sind überzeugt, dass der russische Markt langfristig attraktiv ist und großes Potenzial besitzt.

Diese Aussichten sind allerdings gefährdet: „Wenn es keinen Ausstieg aus der Sanktionsspirale gibt, ist eine Rezession in Russland 2014 unvermeidlich“, erklärte René Harun. Einige deutsch-russische Joint-Ventures mussten bereits Kurzarbeit einführen. In Deutschland hingen bis zu 400 000 Arbeitsplätze am Russlandgeschäft, so Haruns Schätzung.

Vor diesem Hintergrund beklagt die Deutsch-Russische Außenhandelskammer in einem Positionspapier die „fehlende Planungssicherheit“: Unter den gegenwärtigen Bedingungen fehle es den Unternehmen an Klarheit im Umgang mit den bereits verhängten Sanktionen. „Das führt zu der absurden Situation, dass deutsche Unternehmen als unzuverlässig und vertragsbrüchig gelten und man sich nach ‚verlässlicheren‘ Partnern umsehen muss.“ Von dieser Entwicklung würden vor allem asiatische Wettbewerber profitieren. So befürchtet die AHK den Verlust von Marktpositionen und mahnt schon heute ein „strategisches Konzept für den Umgang mit Russland nach der Krise“ an. Bis dahin will sie sich weiterhin „mit allem Nachdruck für eine schnellstmögliche diplomatische und friedliche Lösung des Konfliktes in der Ukraine unter direkter Beteiligung aller handelnden Parteien“ einsetzen.

Aktuelle Regelungen:
Sanktionen gegen Russland

Der Rat der Europäischen Union hat am 8. September 2014 eine weitere Verschärfung der Sanktionen gegen Russland beschlossen. So soll der Druck auf die russische Staatsführung erhöht werden, zu einer Deeskalation des Konflikts zwischen prorussischen Separatisten im Osten der Ukraine und der Regierung in Kiew beizutragen. Diese neue Stufe des Sanktionsregimes sieht für die Wirtschaftsbeziehungen zwischen EU-Staaten und der Russischen Föderation u.a. folgende Einschränkungen vor:

  • Importe und Exporte von Rüstungsgütern sind verboten.
  • Güter mit doppeltem Verwendungszweck (Dual-Use-Güter) dürfen nicht nach Russland geliefert werden, wenn sie für militärische Zwecke oder militärische Endnutzer bestimmt sind. Ein Lieferverbot besteht für einige explizit benannte russische Unternehmen, die sowohl in zivilen als auch in militärischen Geschäftsfeldern tätig sind.
  • Der Zugang zu Hightech-Produkten für den Energiesektor wird nochmals erschwert: Güter und Dienstleistungen für die Erdölexploration und -förderung in der Tiefsee und der Arktis sowie für Schieferölprojekte in Russland dürfen nicht geliefert bzw. erbracht werden.
  • Der Zugang von fünf großen russischen Staatsbanken und sechs Unternehmen der Öl- und Rüstungsindustrie zum EU-Kapitalmarkt wurde beschränkt.

Für Waren von der Krim besteht ein Einfuhrverbot, das auch Umgehungsgeschäfte umfasst. Da nach dem Rechtsverständnis der EU die Krim ukrainischem Recht unterliegt, ist jede wirtschaftliche Tätigkeit auf der Halbinsel ohne Genehmigung der Regierung in Kiew illegal.

Die Sanktionen gelten zunächst für ein Jahr, sollen jedoch nach drei Monaten überprüft werden. Als Reaktion auf die westlichen Sanktionen hat die Russische Föderation am 7. August 2014 ein Einfuhrverbot für Agrarprodukte und Lebensmittel aus allen EU-Staaten sowie aus den USA, Australien und Norwegen verhängt, das zunächst auf ein Jahr befristet ist.

Autor/in: 
aw.
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 10|2014, Seite 22

 
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