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Mindestlohn

Kampf mit der Bürokratie

Bürokratie Hilfe Papier Formulare © seb-ra - Thinkstock.com

Seit 1. Januar 2015 gilt der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Eine Zwischenbilanz.

Bürokratie unverhältnismäßig, 8,50 Euro okay: Auf diesen Punkt lassen sich die Ergebnisse einer Umfrage des Bayerischen Industrie- und Handelskammertags (BIHK) bei knapp 900 Unternehmen zum Mindestlohn bringen. Während 85 Prozent der Befragten die Höhe des Mindestlohns für akzeptabel halten, betrachten 77 Prozent den bürokratischen Aufwand als unverhältnismäßig hoch. 

Seit Januar 2015 gilt in Deutschland ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Für das Bundesarbeitsministerium ist dessen Einführung „eine der größten arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Reformen in der Geschichte unseres Landes“. Anders fällt die Bewertung im Unternehmerlager aus: „Ein Bürokratiemonster ohne Gleichen“ habe der Gesetzgeber von der Leine gelassen. Besonders harsch werden die Gestaltung der Aufzeichnungspflicht und die Auftraggeberhaftung kritisiert.

Inzwischen hat das Bundesarbeitsministerium reagiert: Seit 1. August 2015 müssen die Arbeitgeber die Arbeitszeit nicht aufzeichnen, wenn der regelmäßige Lohn 2 000 Euro brutto pro Monat überschreitet und für die letzten vollen zwölf Monate nachweislich gezahlt worden ist. Ansonsten entfällt die Aufzeichnungspflicht nach wie vor erst bei einem verstetigten Verdienst von über 2 958 Euro. Die Dokumentationspflicht entfällt nun bei der Beschäftigung von Ehegatten, eingetragenen Lebenspartnern, Kindern oder Eltern des Arbeitgebers. „Diese Nachbesserungen gehen zwar in die richtige Richtung, aber der Bürokratieaufwand ist nach wie vor erheblich“, so Frank Wildner, Experte für Arbeitsrecht bei der IHK Nürnberg für Mittelfranken.

Im Mindestlohngesetz (MiLoG) sind deutlich schärfere Dokumentationspflichten verankert als im Arbeitszeitgesetz; das schreibt lediglich vor, das über die normale werktägliche Arbeitszeit von acht Stunden hinausgehende Pensum zu erfassen. Dagegen müssen Betriebe laut MiLoG Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit ihrer Beschäftigten aufzeichnen – und zwar spätestens eine Woche nach erbrachter Arbeitsleistung. Diese Dokumentationspflicht betrifft neun Wirtschaftszweige, die in § 2a des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes genannt werden, darunter das Baugewerbe, das Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe, Personenbeförderung und Fleischwirtschaft. Außerdem gilt die Aufzeichnungspflicht branchenübergreifend für Minijobber im gewerblichen Bereich sowie für kurzfristig Beschäftigte.

Gerade kleine und mittlere Unternehmen klagen über den gestiegenen Verwaltungsaufwand, was sich auch in den Umfrageergebnissen widerspiegelt: So mussten etliche Betriebe in neue Zeiterfassungssysteme investieren. Viele Unternehmen fühlen sich durch die Sieben-Tages-Frist unter Druck gesetzt, weil sie jetzt ihre internen Abläufe umstellen und die Aufzeichnungen ihrer Mitarbeiter erfassen, kontrollieren und aufbewahren müssen.

In zahlreichen Beratungsgesprächen spürte Frank Wildner große Verunsicherung: „Viele Unternehmen wussten nicht genau, wie sie die Vorgaben des MiLoG umsetzen sollen.“ Für den Arbeitsrechtsexperten ist das eine Bestätigung für die in der juristischen Fachwelt vielfach kritisierten gesetzlichen Unschärfen – etwa bei der Frage, welche Vergütungsarten und -bestandteile auf den Mindestlohn anzurechnen sind. Dieser und weitere offene Punkte werden sich wohl erst durch die Rechtsprechung abschließend klären lassen. „Das Mindestlohngesetz wird einigen Arbeitsstoff für die Gerichte produzieren“, so die Prognose von Ingrid Schmidt, Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts. 

Streitpunkt Auftraggeberhaftung

Bei diesem „Arbeitsstoff“ wird ein besonders heikler Punkt nicht fehlen: die sogenannte Auftraggeberhaftung. Laut § 13 des MiLoG wird § 14 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes entsprechend angewendet. Demnach haften Unternehmen als Auftraggeber auch für das Verhalten eines anderen Unternehmens, das sie mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragen. Arbeitnehmer, denen der Mindestlohn vorenthalten wird, können ihren Anspruch nicht nur gegenüber dem eigenen Arbeitgeber geltend machen, sondern auch bei dessen Auftraggeber. Neben diesen zivilrechtlichen Konsequenzen droht dem Auftraggeber auch ein Bußgeld, das bis zu 500 000 Euro betragen kann.

Angesichts dieser Beträge ist es leicht nachvollziehbar, dass Unternehmen ihr Haftungsrisiko zum einen genau analysieren und zum anderen begrenzen wollen. Die Risikoabschätzung fällt aber schwer, weil das MiLoG Interpretationsspielräume offen lässt: So ist die Abgrenzung der Vertragsarten mitunter schwierig, denn ein Geschäftsvorgang kann Elemente aus Werk-, Dienst- und Kaufverträgen enthalten. Aber selbst bei reinen Dienst- oder Werkverträgen gibt es unterschiedliche Auslegungen über die Reichweite der Auftraggeberhaftung. Nach dem sogenannten „eingeschränkten Unternehmerbegriff“ übernimmt der Auftraggeber nur dann die Verantwortung für beauftragte Unternehmen, wenn Dienst- oder Werkleistungen delegiert werden, zu denen er selbst vertraglich verpflichtet ist. Zur Illustration: Ein Automobilzulieferer haftet nicht dafür, ob das Gebäudereinigungsunternehmen, das dessen Werkhalle putzt, seinen Mitarbeiter den Mindestlohn zahlt. Diese Rechtsauffassung macht sich das Bundesarbeitsministerium zu eigen.

Dagegen ging die Zollverwaltung, die mit der Kontrolle und Durchsetzung des MiLoG betraut ist und dem Bundesfinanzministerium untersteht, von einem wesentlich umfassenderen Auftraggeberbegriff aus. Danach kann der Automobilzulieferer auch für die gesetzwidrige Entlohnung der Reinigungskräfte seines Auftragnehmers bußgeldpflichtig sein. Das Bundesarbeitsministerium hat nun eine Klarstellung gegenüber der Zollverwaltung angekündigt: Künftig wird in Abstimmung mit dem Bundesfinanzministerium sowohl bei der zivilrechtlichen Haftungsfrage als auch bei der Anwendung der Bußgeldvorschriften der „eingeschränkte Unternehmerbegriff“ zugrunde gelegt. 

Ein anderer Kritikpunkt am §13 MiLoG ist die verschuldensunabhängige Haftung. Dazu Frank Wildner: „Die Unternehmen haften für etwas, das sie letztlich nicht kontrollieren können. Insbesondere haben sie keine Einsichtsmöglichkeit in die Lohnzettel der Beschäftigten ihres Subunternehmers, das wäre schon allein aus Datenschutzgründen problematisch.“

Um ihr Haftungsrisiko zu begrenzen, verlangen immer mehr Unternehmen Mindestlohnerklärungen von ihren Auftragnehmern. Es gibt Betriebe, die bis zu 40 Erklärungen pro Woche einholen und verarbeiten. Gerade für Mittelständler ist der Zeitaufwand für diese formale Absicherung schwer zu verkraften. Hinzu kommt, dass die Rechtswirkung solcher Freistellungserklärungen nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen ist und gegebenenfalls nicht greift. Vor diesem Hintergrund sieht die IHK bei der Auftraggeberhaftung akuten Handlungsbedarf: „Unsere Mindestforderung lautet, dass die Haftung nicht mehr verschuldungsunabhängig gilt, sondern nur bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz“, betont Wildner. 

Volkswirtschaftliche Folgen

Nicht nur wegen der konkreten Auswirkungen auf die Unternehmen sorgt die Einführung des flächendeckenden Mindestlohns für heftige Diskussionen, sondern auch wegen möglicher volkswirtschaftlicher Konsequenzen. Sowohl bundesweit als auch in Bayern ist die Arbeitslosenquote im Juli 2015 niedriger als im Vorjahr. Trotz einschlägiger Warnungen von Ökonomen hat das MiLoG in der Arbeitsmarktstatistik also keine Spuren hinterlassen.

Dies führt Dr. Udo Raab auf die gute Konjunktur zurück. Sie mache es den Unternehmen leichter, die Anhebung der Lohnkosten zu verkraften, meint der Leiter des IHK-Geschäftsbereichs Standortpolitik und Unternehmensförderung. Was allerdings bei einer konjunkturellen Abkühlung passiert, bleibt abzuwarten. Schon heute geben in der BIHK-Umfrage 17 Prozent der Unternehmen Stellenstreichungen aufgrund des Mindestlohns an.

Sie spiegeln sich jedoch nicht in der Arbeitsmarktstatistik wider, die nur die sozialversicherungspflichten Beschäftigungsverhältnisse erfasst. Aus seinen Erfahrungen aus der Region kann Udo Raab bestätigen, dass vor allem kleine Unternehmen ihre Minijobs auf den Prüfstand stellen – mit unterschiedlichen Folgen: Teils werden geringfügige Beschäftigungsverhältnisse zu sozialversicherungspflichtigen Stellen aufgestockt, teils werden sie gestrichen.

Die mittel- und langfristigen Auswirkungen des flächendeckenden Mindestlohns auf den Arbeitsmarkt sind noch nicht im Detail absehbar. Grundsätzlich sieht Udo Raab im Verarbeitenden Gewerbe das Risiko, dass steigende Lohnstückkosten den Anteil der im Ausland hergestellten Güter erhöhen. „Diese Importsubstitution könnte zu Lasten der Beschäftigung am heimischen Standort gehen.“

Je nach Geschäftsmodell und Personalintensität leiden schon heute manche Dienstleistungsbranchen unter der Einführung des Mindestlohns. Auch wenn belastbare statistische Daten bislang fehlen, gibt es Alarmsignale: Beispielsweise haben Taxiunternehmen angestellte Fahrer entlassen, weil sich bedingt durch die Standzeiten mit einem Stundenlohn von 8,50 Euro kein wirtschaftlicher Betrieb aufrechterhalten lässt.

Zu den gravierenden Folgen des Mindestlohngesetzes, die sich allerdings weder anhand volkswirtschaftlicher Kennzahlen noch in der Gewinn- und Verlustrechnung der Unternehmen erfassen lassen, zählen atmosphärische Störungen: „Mich ärgert neben der zusätzlichen Bürokratie insbesondere, dass ich als Unternehmer von der Politik als potenzieller Krimineller hingestellt und verurteilt werde. Ich habe mich als Unternehmer noch nie so diskriminiert gefühlt wie zur Zeit“, so ein Kommentar in der BIHK-Umfrage. Diese Gefühlslage sei derzeit weit verbreitet, bestätigen Udo Raab und Frank Wildner. Gerade Unternehmen aus dem Mittelstand, die den Kodex des „Ehrbaren Kaufmanns“ hochhalten, seien stark verunsichert. „Diese Gruppe will sich gesetzestreu verhalten und alles richtig machen, leidet aber erheblich unter dem Bürokratieaufwand und den teilweise unklaren Details des Mindestlohngesetzes“, so Wildner.

Er stellt vor allem im Zusammenhang mit der Auftraggeberhaftung eine „zunehmende Misstrauenskultur“ fest. IHK-Mitglieder aus der Gastronomie haben sich zudem über Fälle beschwert, in denen die Zollverwaltung selbst bei Kontrollen ohne konkreten Verdacht recht martialisch aufgetreten ist. Waffen und kugelsichere Westen, Abriegelung der Ein- und Ausgänge, Befragungen der Gäste und Mitarbeiter werden als unverhältnismäßig kritisiert. „Hier wünschen wir uns mehr Augenmaß und Fingerspitzengefühl“, unterstreicht Udo Raab.     

Autor/in: 

aw.

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 09|2015, Seite 18

 
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