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Tschechien

Wachstumsstarker Partner

Tschechische Republik Karl IV. Karlsbrücke Prag © Ingram-Publishing - ThinkstockPhotos

Brückenbauer zwischen Nürnberg und Prag: Denkmal von Kaiser Karl IV. in Prag.

Die Tschechische Republik hat sich seit der Wende vor 25 Jahren zu einem der wichtigsten Wirtschaftspartner Frankens entwickelt. Von Sebastian Linstädt

ls der Eiserne Vorhang vor 25 Jahren fiel, war die Euphorie groß, doch es gab auch große Bedenken. Viele sahen die heimische Industrie durch Produktionsverlagerungen Richtung Osten bedroht. Arbeitnehmer bangten um ihre Arbeitsplätze, weil sie die Konkurrenz von osteuropäischen Billiglohnarbeitern fürchteten. „Doch all die negativen Vorhersagen, die es anfangs gab, sind überhaupt nicht eingetreten“, sagt Armin Siegert, Leiter des IHK-Geschäftsbereichs International. „Das genaue Gegenteil ist passiert: Es haben sich vielschichtige Handelsbeziehungen auf Augenhöhe herausgebildet.“ Das gilt insbesondere auch für die Tschechische Republik, die heute keineswegs nur die verlängerte Werkbank ist, als die sie lange Zeit betrachtet wurde.

Heute präsentiert sich Tschechien als eines der wenigen europäischen Länder mit einem kräftigen Wirtschaftswachstum – derzeit über vier Prozent. „Die Wachstumsdynamik ist enorm, auch für 2016 rechnen wir mit einem Wachstum von 2,5 Prozent in der Tschechischen Republik“, so Siegert. Die Arbeitslosigkeit sinkt, der Bedarf an Konsumgütern ist nach wie vor groß. Tschechien investiert stark, wobei Infrastruktur und Wohnungsbau oben auf der Agenda stehen. Unterstützt durch EU-Förderprogramme spielt z.B. auch der Ausbau des Gesundheitswesens eine große Rolle. „Das ist für unsere Region mit ihrer großen Kompetenz in der Medizintechnik von großer Bedeutung“, so Siegert.

Wirtschaftlich betrachtet sind die Tschechen heute der drittwichtigste Handelspartner des Freistaates Bayern – nach den Schwergewichten USA und China. Das ist einerseits bedingt durch die räumliche Nähe und die gemeinsame Grenze, aber auch durch den Branchenmix, der sich stark ähnelt: „Die Tschechische Republik ist stark im Maschinenbau, im Automobilzulieferbereich und in der Elektrotechnik und Elektronik – allesamt Bereiche, in denen auch wir gut aufgestellt sind“, sagt Siegert. Konkurrenz? „Mitnichten, hier dominieren ganz klar die Synergieeffekte!“

Das lässt sich etwa im grenznahen Raum beobachten: So pendeln beispielsweise zahlreiche Menschen aus der Oberpfalz in die Region Pilsen. Verlagerungen aus Kostengründen von Deutschland Richtung Tschechien sind hingegen nur vereinzelt vorgekommen – wenn überhaupt, dann fast nur in den ersten Jahren nach der Wende. „Heute macht man als Mittelständler eine Dependance auf, um im betreffenden Markt positioniert zu sein“, so die Beobachtung Siegerts.

Gleich nach der Wende vor 25 Jahren startete die IHK umfangreiche Aktivitäten, um Unternehmen zu beraten, die sich für Geschäftskontakte mit den mittelost- und osteuropäischen Reformstaaten interessierten. Diese Beratung war laut Siegert stark gefragt: „Die möglichen Partnerunternehmen in der Tschechoslowakei waren ja alles gelenkte Staatsbetriebe. Deswegen war es wichtig zu wissen, wann wo welche Betriebe privatisiert werden und wie man sich vor Ort einbringen kann.“ In der Nach-Wende-Zeit gab es deshalb zahlreiche Länder-Sprechtage in Nürnberg mit Spezialisten aus den neuen Partnerländern, aber auch Veranstaltungen vor Ort, etwa in Pilsen. „Dabei ging es hauptsächlich darum, tschechischen Firmen Gründungsberatung zukommen zu lassen.“ Bei Unternehmertreffen diesseits und jenseits der Grenze wurde die Basis für die heutige enge Vernetzung geschaffen. Außerdem war die Nürnberger IHK von Anfang federführend für den Bayerischen Gemeinschaftsstand auf der Maschinenbaumesse in Brünn – ein Engagement, das heute von der Handwerkskammer fortgeführt wird. „Aber für die frühen Kontakte war das von unschätzbarem Wert“, so Siegert im Rückblick.

Und wie stellt sich die Situation heute dar? 756 Unternehmen aus der Region Nürnberg unterhalten regelmäßig wirtschaftliche Kontakte in die Tschechische Republik, 273 von ihnen sind dort dauerhaft in Form von Produktionsstätten, Niederlassungen, Vertretungen und Joint-Venture engagiert – ein Zuwachs von rund zehn Prozent gegenüber 2010. Damit hat sich das Plus im Vergleich zu den Jahren nach der Wende naturgemäß abgeschwächt, aber damals wurde mit einem exponentiellen Wachstum der Geschäftskontakte das Fundament für die heutigen engen Beziehungen gelegt. Auf der Rangliste der Länder, in denen die mittelfränkische Wirtschaft am meisten investiert, nimmt die Tschechische Republik derzeit immer noch den dritten Rang ein – nach den USA und China. Auf der Liste der wichtigsten Länder, zu denen Export- und Importverbindungen bestehen, rangiert das kleine Land seit 2013 auf Rang 8. Und immerhin 14 tschechische Unternehmen sind aktuell in Mittelfranken ansässig, was den zehnten Platz im Länder-Ranking der insgesamt 400 im Handelsregister erfassten ausländischen Unternehmen bedeutet.

Für ein Engagement im tschechischen Markt sprechen laut Siegert neben dem ähnlichen Branchenmix die räumliche Nähe und die Tatsache, dass sich auf die bestehende Verflechtung gut aufbauen lässt. Auch die relativ niedrigen Löhne, die hohe Qualifikation der Fachkräfte und die Qualität der lokalen Zulieferer sind Argumente, mit denen die Tschechische Republik bei potenziellen Investoren aus dem deutschen Mittelstand punkten kann. Für kleine und mittlere Unternehmen sei ein Engagement in Österreich, in der Schweiz oder eben in Tschechien naheliegender als der kostspielige und riskantere Markteintritt in China oder den USA. Siegert sieht es als eine wichtige Aufgabe der IHK, die Unternehmen aber auch auf die Schwierigkeiten beim scheinbar leichten Markteintritt in den Nachbarländern aufmerksam zu machen und sie bei der Vorbereitung zu begleiten. Bürokratische Hürden, Unterschiede in der Mentalität und Sprachbarrieren seien in keinem Land zu unterschätzen. Die sogenannte SWOT-Analyse für die Tschechische Republik von „Germany Trade & Invest“ nennt unter der Überschrift „Weakness“ (Schwächen) u.a. auch das praxisferne Ausbildungssystem und die mangelnde Rechtssicherheit. Als Risiken werden die hohe Exportabhängigkeit des tschechischen Marktes und die schwankende Währung angeführt, unter „Chancen“ finden sich Schlagworte wie steigende Investitionen bei Forschung und Entwicklung und die nach wie vor wachsende Arbeitsproduktivität.

Messegäste aus Tschechien

Neben den zahlreichen Mittelständlern aus Mittelfranken von A wie Alfmeier Präzision bis Z wie Züst & Bachmeier, die bereits in der einen oder anderen Form in der Tschechischen Republik tätig sind, lohnt sich auch ein Blick auf ein Unternehmen, das überdurchschnittlich stark von der Wende vor 25 Jahren und von den Kontakten nach Osteuropa profitiert hat: die NürnbergMesse. Seit 1989 hat die Messegesellschaft die Zahl der Aussteller und die Nettofläche mehr als verdreifacht, während der Umsatz des Unternehmens um den Faktor 15 anstieg. „Seit der Wende 1989 gleicht unsere Umsatzkurve einer Exponentialfunktion“, sagt Geschäftsführer Peter Ottmann über diese Entwicklung, die den Messestandort zu einem der heute erfolgreichsten in Europa macht. Für 2016 wird ein Umsatz von 250 Mio. Euro angepeilt, woran auch die Tschechen wieder regen Anteil haben werden: „Sie stehen heute bei uns auf Platz 3 bei den Fachbesuchern aus dem Ausland und immerhin auf Platz zehn bei den Ausstellern“, erläutert Ottmann.

Bereits direkt nach der Grenzöffnung habe zunächst ein Ansturm auf die Nürnberger Konsumgütermessen (Consumenta, Freizeit) der Messegesellschaft Afag eingesetzt. Bei den Ausstellern und Fachbesuchern dauerte es ein wenig länger: „Wir haben schon vor der Wende unserer Fühler ausgestreckt, aber ab 1989 ging es dann richtig rund mit Pressekonferenzen, die auf unsere Messen aufmerksam gemacht haben.“ Ein Vorteil für die NürnbergMesse sei bisher gewesen, dass auf tschechischer Seite bis heute keine ernsthafte Konkurrenz im Messebereich entstanden sei. Die traditionell größte Beteiligung tschechischer Besucher und Aussteller erzielt nach wie vor die Spielwarenmesse, doch auch an den zahlreichen Eigenveranstaltungen der NürnbergMesse beteiligen sich die Tschechen stark.

Weitere Impulse für die fränkisch-tschechische Wirtschaftsfreundschaft und den beiderseitigen Tourismus erhoffen sich sowohl Siegert als auch Ottmann vom eben eingeläuteten Karlsjahr 2016 und der Bayerisch-tschechischen Landesausstellung, die im Mai zunächst in Prag eröffnet wird. Nürnberg und zahlreiche andere Städte entlang der „Goldenen Straße“ zwischen Nürnberg und Prag bereiten ein umfangreiches Begleitprogramm vor.

Einen Blick in die Zukunft nach der Landesausstellung richtete der Honorarkonsul der Tschechischen Republik, Hans-Peter Schmidt, der sich in seiner Zeit als IHK-Präsident intensiv für den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen und der Verkehrswege Richtung Tschechien eingesetzt hatte: „Mit der Landesausstellung wollen wir die Beziehungen zu unserem Nachbarn Tschechische Republik verstärken, vertiefen und dazu beitragen, dass wir uns besser verstehen. Deshalb werden wir in der Kaiserburg zu Lauf ein Sprachenzentrum einrichten für Tschechisch, Deutsch, Französisch und Englisch. Wir wollen, dass damit nach der Landesausstellung etwas für unsere europäische Zukunft bleibt.”

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 01|2016, Seite 20

 
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