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Sportunfälle in der Freizeit

Zu viel zugemutet

Muss es der Arbeitgeber hinnehmen, wenn Mitarbeiter häufig durch Unfälle in der Freizeit ausfallen? Von Christian Günther; Illustration: Anton Atzenhofer

Sportarten wie Fußball, Joggen, Schwimmen und Radfahren zählen zu den beliebtesten Freizeitaktivitäten. Das freut auch die Arbeitgeber, wenn die Mitarbeiter dadurch gesünder und im Beruf leistungsfähiger sind. Das Gegenteil ist aber der Fall, wenn Beschäftigte durch häufige und schwere Verletzungen ausfallen, die sie sich durch ihre sportliche Betätigung in der Freizeit zuziehen. Kann der Arbeitgeber dann gegebenenfalls die Lohnfortzahlung verweigern oder gar kündigen?

Frage des Verschuldens

Arbeitnehmer, die unverschuldet krank werden und deshalb ihre Arbeitsleistung nicht erbringen können, haben Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Das bedeutet im Umkehrschluss: Verschuldet ein Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit, entfällt der Anspruch, sodass der Arbeitgeber keinen Lohn fortzahlen muss. Doch wann ist ein Sportunfall selbst verschuldet?

Selbstüberschätzung

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat für die Beurteilung dieser Frage einige grundlegende Aspekte festgestellt: Schuldhaft handelt demnach, wer sich deutlich über seine Kräfte und Fähigkeiten hinaus sportlich betätigt und dadurch gesundheitliche Schäden erleidet. Ein Selbstverschulden liegt also nahe, wenn untrainierte bzw. unerfahrene Menschen eine für sie zu anspruchsvolle Sportart betreiben – etwa an einem Marathon oder an hochalpinem Bergsteigen teilnehmen.

Will ein Arbeitgeber deshalb die Lohnfortzahlung verweigern, muss er die Selbstüberschätzung seines Arbeitnehmers im Streitfall darlegen und beweisen. Bei verbreiteten Sportarten wie Fußball und Skifahren lehnen Gerichte das in aller Regel ab, sofern keine grobe Selbstüberschätzung vorliegt. Eine solche lässt sich beispielsweise bei Ski-Anfängern annehmen, die die „schwarze“ Piste hinunter rasen. In der Praxis mussten Richter auch schon über kuriose Fälle befinden: Zum Fingerhakeln entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg, dass ein Selbstverschulden nur bei besonders schwachen und verletzungsanfälligen Fingerknochen anzunehmen sei (LAG Baden-Württemberg, Aktenzeichen 4 Sa 53/86).

Erhebliche Regelverstöße

Ein Verschulden trifft Arbeitnehmer auch dann, wenn sie in besonders grober Weise und leichtsinnig gegen anerkannte Regeln der von ihnen ausgeübten Sportart verstoßen. Im Einzelfall können beispielsweise Verletzungen beim Skifahren abseits der Piste oder das Spielen ohne Helm beim Eishockey dazu führen, dass der Arbeitgeber die Fortzahlung des Entgeltes verweigern kann.

Gefährliche Sportarten

Darüber hinaus gelten diejenigen Sportverletzungen als selbst verschuldet, die sich ein Arbeitnehmer bei besonders gefährlichen Sportarten zuzieht. Dabei ist es nicht entscheidend, dass auch die Umstände der Verletzung gefährlich waren. Vielmehr genügt die bloße Ausübung der gefährlichen Sportart. Kennzeichnend für die Gefährlichkeit ist dabei ein Verletzungsrisiko, das objektiv betrachtet so groß ist, dass auch ein gut ausgebildeter Sportler, der alle Regeln sorgfältig beachtet, Verletzungen nicht vermeiden kann. Das ist der Fall, wenn der Sportler das Geschehen nicht kontrollieren kann und sich damit unbeherrschbaren Gefahren aussetzt.

Die Gefährlichkeit einer Sportart muss der Arbeitgeber darlegen und beweisen. Nicht ausreichend ist laut der aktuellen Rechtsprechung, dass er dabei lediglich auf hohe Unfallzahlen bei der jeweiligen Sportart verweist. Auch die landläufige Bezeichnung des Sports als „Extremsportart“ reicht als Beweis nicht aus. Vielmehr kommt es auf deren Inhalt an. So machte das Arbeitsgericht Hagen (Aktenzeichen 4 Ca 648/87) die Gefährlichkeit von Kickboxen an den vielen zwar erlaubten, aber dennoch gefährlichen Techniken fest (z.B. gesprungene Fußtreffer zum Kopf). Demgegenüber wird Amateurboxen als keine besonders gefährliche Sportart angesehen, wenn es unter ständiger Betreuung eines Trainers ausgeübt wird (Urteil des Bundesarbeitsgerichts, Aktenzeichen 5 AZR 601/75).

Auch Drachenfliegen gilt als nicht besonders gefährlich, wenn die bekannten Sicherheitsvorkehrungen und Regeln beachtet werden (Urteil des Bundesarbeitsgerichts, Aktenzeichen 5 AZR 338/79). Selbst Motorsport sehen Gerichte bei regelkonformer Ausübung und sicheren Strecken als nicht gefährlich an (LAG Rheinland-Pfalz, Aktenzeichen 5 Sa 823/98). Im vorliegenden Fall hatte ein Arbeitnehmer in der Freizeit an Motorradrennen teilgenommen und sich dabei verletzt. Gegenüber dem Arbeitgeber hatte er zuvor für einen solchen Fall auf die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall verzichtet. Weil das Gericht solche Vereinbarungen aber für unwirksam erklärte, musste der Arbeitgeber das Entgelt fortzahlen.

Kündigung bei häufigen Sportverletzungen

Arbeitnehmern droht bei häufigen Sportverletzungen auch die Kündigung, dazu müssen die Fehlzeiten aber ein unzumutbares Ausmaß erreichen. Statt einer bestimmten Anzahl an Fehltagen muss eine Prognose ergeben, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitspflichten künftig nicht mehr erfüllen kann bzw. wird. Bei regelmäßigen Sportverletzungen ist vor allem entscheidend, ob der Arbeitnehmer ernsthaft vom Sport Abstand nimmt, um weitere Verletzungen zu vermeiden.

Des Weiteren ist Voraussetzung für eine Kündigung, dass die bisherigen und zukünftig zu erwartenden Sportunfälle das Unternehmen entweder erheblich wirtschaftlich belasten oder die betrieblichen Abläufe erheblich beeinträchtigen würden. Für den Arbeitnehmer darf sich zudem keine andere Möglichkeit der Weiterbeschäftigung im Betrieb ergeben. Abschließend muss eine Interessenabwägung erfolgen, bei der insbesondere die bisherige Dauer des Beschäftigungsverhältnisses, das bisherige Verhalten des Mitarbeiters und dessen soziale Situation berücksichtigt werden müssen.

Autor/in: 

Christian Günther ist Assessor und Redakteur bei der anwalt.de Services AG in Nürnberg, die das Anwaltsverzeichnis anwalt.de betreibt (redaktion@anwalt.de).

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 05|2016, Seite 30

 
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