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Technologie-Marken

Nicht verstecken

Wie werden innovative Unternehmen vom Hidden Champion zum wertgeschätzten Branchenprimus? Von Jürgen Gietl

Deutsche Technologieunternehmen sehen sich vielfach in der Zange – zwischen günstigeren Wettbewerbern aus Asien und amerikanischen Konkurrenten, die mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Preisaufschläge, nur weil Marken aus Deutschland kommen, sind längst kein Automatismus mehr. Wie gelingt es innovativen Unternehmen, sich langfristig aus dieser Klemme zu befreien? Lange Zeit reichte es aus, als Hidden Champion zu leben, also Weltmarktführer zu sein und gleichzeitig von der breiten Öffentlichkeit unentdeckt zu bleiben. Doch dieses Konzept entstand in einer Zeit, als deutsche Ingenieurskunst dem Wettbewerb aus Übersee und Asien weit überlegen war und weltweit Bewunderung hervorrief. Auch wenn in der Wirtschaftspresse aktuell der neue Begriff der „Hidden Tech-Champions“ die Runde macht: Auch für sie wird das alte Modell, nur Technologien zu entwickeln und diese auf klassischem Wege zu vermarkten, nicht mehr funktionieren.

„Made in Germany“ mit Kratzern

Qualität, Zuverlässigkeit und Innovationsstärke sind Leistungen, die nicht länger ausschließlich von deutschen Technologieunternehmen gepachtet sind. Lange diente „Made in Germany“ als eine Art Schutzschild für deutsche Unternehmen im internationalen Wettbewerb. Bessere Produkte und deutsche Herkunft, das reichte oft. Der Dilettantismus beim Flughafen Berlin-Brandenburg und auch der Abgas-Skandal bei VW haben dem Prädikat „Made in Germany“ aber Schaden zugefügt, es taugt nicht mehr als alleiniges Verkaufsargument. Deshalb ist es für Technologieunternehmen zunehmend wichtig, nicht nur mit generellen Werten (z.B. „deutsche Qualität und Zuverlässigkeit“) zu argumentieren, sondern herauszufinden, wodurch sie im Speziellen punkten können. Welche bewiesenen Spitzenleistungen machen das Unternehmen und seine Produkte glaubwürdig, was sind die Attraktivitätstreiber für die bestehenden und die potenziellen Kunden? Wodurch differenziert sich das Unternehmen in der Gesamtleistung und in der Gesamtidee tatsächlich vom Wettbewerb?

Wertschätzung wird Wertschöpfung

In Zukunft werden diejenigen Unternehmen gewinnen, die die überlegenen Leistungen, zu denen sie imstande sind, in Wertschätzung verwandeln und damit die Voraussetzung für zukünftige Wertschöpfung schaffen. Es geht nicht darum, am lautesten zu schreien, sondern darum, die größtmögliche Attraktivität für Kunden und Mitarbeiter zu erzeugen. Das gilt auch für viele fränkische Unternehmen, die eine Spitzenposition in ihrer Branche innehaben. An Innovationskraft mangelt es der Metropolregion Nürnberg jedenfalls nicht, so liegt sie bei den Patentanmeldungen je Einwohner europaweitweit auf Rang 3, so die Wirtschaftsförderung der Stadt Nürnberg, und zählt damit zu den führenden Innovationsregionen. Wie erhalten Erfinder und deren Firmen aber die Wertschätzung, die sie verdienen, und damit auch die Margen, die sie für zukünftige Innovationen und Investitionen benötigen?

Kundennutzen im Fokus

Die Marktkapitalisierung aller Dax 30-Unternehmen liegt bei einer Billion Euro, die von Apple, Google, Microsoft, Facebook und Amazon alleine aber bei 1,8 Billionen Euro. Diese Firmen haben es geschafft, ihren Wert nicht nur von ihrer Leistung abhängig zu machen. Sie wissen genau, welchen Wert sie ihren „Usern“ stiften. Sie wissen genau, wofür sie stehen, und welche Knappheiten ihrer Kunden sie besser befriedigen als der Wettbewerb. Und sie sind in der Lage, nicht nur darüber zu informieren, sondern diesen Wert auch erfahrbar zu machen. Was wir davon ableiten können? Die Technologiefirmen der Zukunft produzieren ihre Leistung zweimal: in der Fabrik und im Kopf der Kunden.

In vielen Technologieunternehmen ist Marketing noch immer ein Stiefkind, denn der Vertrieb hat oft das Sagen. Das Marketing ist dann der operative Umsetzungsassistent für Messeauftritte, Website und Kundenpräsentationen. In Zukunft muss sich diese Rolle radikal verändern. Die Aufgabe der Marketing-Strategen wird darin liegen, ihren Firmen zu unverwechselbaren Positionierungen zu verhelfen, um für Kunden unverzichtbar zu werden. Sie werden dafür sorgen müssen, dass die gegenüber Kunden getätigten Versprechen auch gehalten werden. Somit entwickelt sich das Marketing zum verlängerten Arm bzw. zum integrierten Teil der Unternehmensführung. Genau darin besteht heute ein signifikanter Unterschied zu den Wettbewerbern im Silicon Valley. Diese machen die Besonderheit, den Charakter und die Werte des Unternehmens an jedem nur erdenklichen Kontaktpunkt mit dem Kunden spürbar. Sie richten die Unternehmensführung, die Organisation, die Unternehmenskultur, die Produkte und Services sowie die Kommunikation strikt danach aus, den Wert der eigenen technologischen Spitzenleistungen wahrnehmbar werden zu lassen. All dies macht sie zu einer starken Marke mit eindeutigen und nachvollziehbaren Werten.

Vielleicht werden deutsche Technologieunternehmen nie so extrovertiert und unterhaltsam sein wie ihre Vorbilder aus dem Silicon Valley, aber sie müssen lernen, Wertvermittlung als Disziplin zu verstehen und nicht als „nice-to-have“ abzutun. Auch in Deutschland gibt es exzellente Beispiele von Unternehmen, die die Mechaniken der Markenführung als Steuerungs- und Wertschöpfungsinstrument verstehen und nicht nur als Disziplin der Unternehmenskommunikation – man denke an den Industriegas-Spezialisten Linde oder an das Medizintechnikunternehmen Ottobock.

Agilität und Stabilität

Ständiger Wandel gehört heute zum wirtschaftlichen Alltag. Doch wie viel Wandel verträgt ein Unternehmen? Beim Ausloten der Grenzen, wie weit es dabei gehen kann (Sortimentsdehnung, neue Geschäftsmodelle), können die Marke und ihre Kernwerte wichtige Eckpfeiler setzen. Was wird dem Unternehmen und seiner Marke aus der Perspektive der Kunden und Investoren zugetraut und was nicht? Doch bei aller Agilität darf ein Unternehmen auch die Stabilität im Wandel nicht vergessen. Ein Aspekt, der für Kunden und Mitarbeiter elementar wichtig ist. In unsicheren, sich schnell verändernden Rahmenbedingungen steigt bei Mitarbeitern die Sehnsucht nach Stabilität.

Um noch einmal zu den Hidden Champions zurückzukommen: Eine Studie zur Zukunftsfähigkeit deutscher B2B und B2C Marken („Made in Germany 4.0“ von BrandTrust) hat zehn Resilienz-Indikatoren untersucht – also Faktoren, die Unternehmen stabil und agil machen. Durchgängig unterdurchschnittlich ausgeprägt sind die Aspekte der Unverzichtbarkeit und der gesellschaftlichen Relevanz, also die Aufgabe, eine Rolle in der Gesellschaft einzunehmen und diese zu erfüllen. Das ist noch ein Grund mehr, die Spitzenleistungen des Unternehmens wahrnehmbar zu machen – und zwar differenzierend, glaubwürdig und attraktiv. So entstehen Unverzichtbarkeit und Wertschätzung für das Unternehmen, seine Produkte und Dienstleistungen.

Autor/in: 

Jürgen Gietl ist Experte für Technologiemarken, Buchautor und Partner bei der Managementberatung BrandTrust GmbH in Nürnberg (www.brand-trust.de).

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 10|2016, Seite 36

 
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