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Studienabbrecher

Als Azubis gefragt

Studienabbrecher © Thinkstock.com/Wavebreakmedia Ltd

Wenn an der Hochschule der Theorie-Schock zuschlägt, schwenken viele Studenten auf eine Ausbildung um. In der Wirtschaft sind sie hoch willkommen.

Programmieren fand Robin schon als Teenager faszinierend und so kreierte er am Rechner Spiele und Websites. In der Realschule wurde seine Begabung entdeckt und in einem „Talentkurs“ gefördert. Nach dem Abitur am technischen Zweig der Fachoberschule schrieb er sich für das Informatik-Studium an der Fachhochschule ein. Dort traf ihn dann die „Frustkeule“, und zwar mit voller Wucht, so der 22-Jährige im Rückblick. Zwar schaffte er seine Klausuren, aber er vermisste die Kreativität und den Praxisbezug. Stattdessen sollte er dicke Skripte mit Programmier-Syntax auswendig lernen. Nach dem vierten Semester zog Robin die Reißleine und exmatrikulierte. Inzwischen hat er bei der Nürnberger Roompad GmbH eine Ausbildung als Fachinformatiker Fachrichtung Anwendungsentwicklung begonnen.

Robin ist kein Einzelfall: 29 Prozent aller Bachelor-Studierenden brechen ihr Studium ab; an den Universitäten liegt die Quote bei 32 Prozent, an Fachhochschulen bei 27 Prozent. Rund 40 Prozent der Studienabbrecher haben ein halbes Jahr nach der Exmatrikulation eine Berufsausbildung begonnen. Diese Zahlen lieferte eine vom Bundesbildungsministerium geförderte Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), deren Ergebnisse im Juni vorgestellt wurden.

Motive für den Studienabbruch

Die Studie, die auf Auswertungen des Absolventen-Jahrgangs 2014 basiert, beschäftigt sich auch mit den Motiven für den Studienabbruch. Demnach sind „unbewältigte Leistungsanforderungen“ der häufigste Grund für den Ausstieg aus der Akademikerlaufbahn. Auf den nächsten Plätzen folgen die Motive „mangelnde Studienmotivation“ und der „Wunsch nach einer praktischen Tätigkeit“. Knapp die Hälfte der Studienabbrecher verlässt die Hochschule in den ersten beiden Semestern, fast ein Drittel im dritten oder vierten Semester.

Anlaufstellen für Ex-Studenten

Nach dem Exit aus dem Hörsaal stellt sich die Frage „Was nun?“. Bei der Suche nach Antworten finden Betroffene verschiedene Anlaufstellen – von der Studienberatung der Hochschulen über die Arbeitsagentur bis hin zu Kammern und Berufsverbänden. Bei der IHK Nürnberg für Mittelfranken unterstützt Theodor Wolfrum Studienaussteiger, die sich für eine Berufsausbildung interessieren. In die kostenfreie Beratung kommen junge Leute mit ganz unterschiedlichen Ausgangssituationen: Die einen plagen sich noch mit der Entscheidung herum, ob sie ihr Studium fortsetzen wollen. Die anderen haben keine Wahl mehr, weil sie wegen mehrfach verpatzter Prüfungen exmatrikuliert wurden. Die einen haben gar keinen Plan, wie es weitergehen soll. Die anderen wollen ihrer Fachrichtung treu bleiben und suchen eine berufliche Ausbildung, die zu ihrem Studienfach passt.

Zu dieser Kategorie gehörte Robin. Wie viele IT-Studienaussteiger wollte er seinen Berufsweg mit einer Ausbildung als Fachinformatiker fortsetzen. Wolfrum stellte den Kontakt zu Marc Frauenholz her, dem Inhaber und Gründer der Roompad GmbH in Nürnberg. Das Unternehmen entwickelt digitale Lösungen für die Hotelbranche. Der Gast kann über ein Tablet im Hotelzimmer oder über die Roompad-App auf seinem mobilen Endgerät vom Check-in über Zimmerservices bis zum Check-out alle Dienstleistungen digital abrufen. Obendrein gibt es Informationen über die Umgebung des Hotels. Beim neuen Projekt von Roompad geht es um Alexa, den cloud-basierten Sprachdienst von Amazon. Robin arbeitet in dem Team, das Alexa die erforderlichen Fähigkeiten beigebracht hat, um die Wünsche von Hotelgästen zu verstehen und zu erfüllen.

Marc Frauenholz hatte gar keine Bedenken, einen Studienabbrecher einzustellen, im Gegenteil: „Ich sehe es als große Chance, jemanden ins Unternehmen zu holen, der bereits etwas ausprobiert und dabei Lebenserfahrung gesammelt hat.“ Der Firmeninhaber wollte einen Kandidaten, der als (angehender) Fachinformatiker selbstständig an Projekte herangeht und kreative Lösungen findet. Mit diesen Ansprüchen tun sich jüngere Azubis „frisch von der Schulbank“ manchmal schwer. Robin dagegen hat diese Erwartungen bislang voll erfüllt: Mit Herzblut ist der 22-Jährige in die Projektentwicklung eingestiegen und freut sich, dass er seine Leidenschaft für das Programmieren nun in der Praxis ausleben kann. Sein Chef ist zufrieden: „Robin ist eine Bereicherung für unser Team.“

Auch Berater Theodor Wolfrum macht immer wieder die Erfahrung, dass Arbeitgeber junge Leute, die die Hochschule ohne Abschluss verlassen, keineswegs als Versager betrachten. „Für Ausbildungsbetriebe sind Studienaussteiger eine besonders interessante Zielgruppe“, erklärt Wolfrum. Sie haben Abitur sowie Kenntnisse und Erfahrungen aus dem Studium. „Das im Vergleich zu Schulabgängern etwas höhere Alter nehmen Unternehmen als Pluspunkt wahr, gerade wenn Selbstständigkeit oder Einfühlungsvermögen beim Kundenkontakt gefragt sind“, so der Berater. Er ist mit einigen Unternehmen im Gespräch, die gerne Studienabbrecher einstellen wollen. So hat sich ein Datenpool entwickelt, auf den Wolfrum zugreifen kann, wenn er den Kontakt zwischen Studienaussteigern und Ausbildungsbetrieben herstellen will.

Gerade IT-Studienabbrecher sind auf dem Arbeits- bzw. Ausbildungsmarkt sehr begehrt. So suchen einige IT-Häuser in Stellenanzeigen explizit Bewerber aus dieser Zielgruppe. Auch Betriebswirtschaftsstudenten, die aus dem Hörsaal in die Praxis wechseln, werden gern als Auszubildende in kaufmännische Berufe übernommen. Studienabbrecher anderer Fachrichtungen haben grundsätzlich ebenfalls gute Karten auf dem Ausbildungsmarkt. Ihnen rät Theodor Wolfrum, bei der Bewerbung nicht die Gründe für das Scheitern des Studiums in den Vordergrund stellen, sondern die Kompetenzen und Erfahrungen zu betonen, die ihnen die Zeit an der Hochschule gebracht hat. Die Industrie- und Handelskammern in Bayern haben besondere Ausbildungsmodelle entwickelt, die speziell auf Studienabbrecher zugeschnitten sind. Bei dreijährigen Ausbildungsberufen ist eine Verkürzung auf 18 Monate möglich, bei dreieinhalbjährigen Ausbildungsberufen auf 24 Monate. Allerdings müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein: Das abgebrochene Studium hat einen Bezug zum Ausbildungsberuf. Die Studiendauer hat mindestens zwei Semester betragen. Während des Studiums wurden mindestens 30 Credit Points (ECTS) erreicht.

Selbst wenn diese Anforderungen erfüllt sind, wird der Shortcut zur Abschlussprüfung in der Praxis von den ehemaligen Studenten nicht immer genommen. Manchmal zeige sich, dass die Studieninhalte sich nicht eins zu eins für den theoretischen Teil der Ausbildung übernehmen lassen, berichtet Theodor Wolfrum. „Es gibt durchaus Auszubildende, die von der Hochschule kommen und von der Verkürzungsoption keinen Gebrauch machen.“

Karriere mit Ausbildung

Der IHK-Experte weist in seinen Beratungsgesprächen immer wieder darauf hin, dass der Abschluss einer Ausbildung eine Vielzahl von Karrierewegen eröffnet. Nach der bestandenen IHK-Prüfung ist eine Weiterbildung zu Fachwirten, Fachkaufleuten und Meistern möglich. Diese Abschlüsse entsprechen der Stufe 6 des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) – und damit dem Niveau eines Bachelor-Abschlusses an einer Hochschule. Danach können mit Lehrgängen zum Betriebswirt (IHK) oder zum Technischen Betriebswirt (IHK) weitere Stufen der Aufstiegsfortbildung genommen werden.

Auch wenn Studienabbrecher derzeit gute Perspektiven haben, ihre Berufslaufbahn mit einer betrieblichen Ausbildung in eine erfolgreiche Richtung zu lenken: Für viele junge Menschen ist der „Umweg“ über die Hochschule überaus mühsam. Deshalb plädiert Wolfrum dafür, dass an allen Schularten noch stärker über die Vielfalt der Karrierewege und die Chancen einer beruflichen Aus- und Weiterbildung informiert wird. Dabei sollten auch die Eltern eingebunden werden, die sich oft unbedingt eine akademische Laufbahn für ihren Nachwuchs wünschen und zu wenige Informationen über alternative Berufswege haben. Theodor Wolfrum: „Eine bessere Information würde einigen jungen Menschen viel Frust und Zeit ersparen.“

Autor/in: 

(aw.)

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 07|2017, Seite 24

 
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