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Brexit

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Für Unternehmen mit den britischen Rechtsformen Ltd. und PLC wird der Brexit weitreichende Folgen haben. Sie sollten jetzt handeln. Von Wilfried W. Krauß und Daniel Blöchle, Illustration: Anton Atzenhofer

Die Zeit läuft ab: Voraussichtlich zum 29. März 2019 wird Großbritannien aus der Europäischen Union ausscheiden. Derzeit ist mit einem sogenannten harten Brexit zu rechnen, weil die Austrittsverhandlungen kaum vorankommen und es deshalb unsicher ist, ob bis zum Austrittstermin überhaupt ein Vertragswerk zwischen Großbritannien und der EU zustande kommt. Das würde bedeuten, dass Großbritannien sogar den Europäischen Wirtschaftsraum (derzeit Island, Liechtenstein und Norwegen) verlässt und im Verhältnis zu Deutschland ein echter Drittstaat wird.

Haftungsbeschränkte britische Gesellschaften

Unternehmen sollten sich schon jetzt für den Fall der Fälle wappnen und sich auf den Brexit vorbereiten. Das gilt in gesellschaftsrechtlicher Hinsicht insbesondere für Kapitalgesellschaften nach englischem Recht (Satzungssitz in Großbritannien), deren Hauptverwaltung
(d. h. Geschäftsleitung bzw. Management) aber in Deutschland sitzt. Dies trifft auf ca. 10 000 Gesellschaften in der Rechtsform einer Limited (Ltd.) bzw. einer Public Limited Company (PLC) zu, außerdem auf weitere etwa 3 000 Ltd. und PLC, die als persönlich haftender Gesellschafter (Komplementär) an einer deutschen Kommanditgesellschaft beteiligt sind.

Viele Unternehmen hatten sich zur Errichtung solcher Gesellschaften entschieden, weil das britische Recht relativ niedrige Voraussetzungen für eine Gründung vorsieht. So ist ein Mindestkapital von einem Euro ausreichend. Auch kann die Unternehmensmitbestimmung durch Arbeitnehmer, wie sie in Deutschland üblich ist, durch Einsatz einer britischen Gesellschaft als persönlich haftender Gesellschafter (z. B. Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG, Rolls-Royce Deutschland Ltd. & Co. KG oder Müller Ltd. & Co. KG) vermieden werden. Nun werden diese vermeintlichen Vorteile angesichts des Brexit zum Problem. Weniger gravierend sind dagegen die gesellschaftsrechtlichen Folgen für Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen mit Satzungs- und Verwaltungssitz in Großbritannien, von denen es derzeit ca. 2 500 gibt.

Wenn der EU-Austritt wirksam wird, fällt auch die europäische Niederlassungsfreiheit weg. Dann gilt nach allgemeiner höchstrichterlicher Spruchpraxis für die betroffenen Ltd.- und PLC-Gesellschaften grundsätzlich die sogenannte Sitztheorie: Danach wäre nicht mehr das Gesellschaftsrecht Großbritanniens, wo die Gesellschaft ihren Satzungssitz hat, anwendbar. Es würde vielmehr das Gesellschaftsrecht Deutschlands gelten, wo sich der Verwaltungssitz der Gesellschaft befindet.

Zwar wären auch nach deutschem Recht britische Kapitalgesellschaften weiterhin rechtsfähig. Sie müssten aber – sofern ihr Verwaltungssitz in Deutschland liegt – aus deutscher Sicht in ein Personenunternehmen umqualifiziert werden, weil die in Deutschland geltenden besonderen Regeln für die Gründung einer Kapitalgesellschaft (z. B. Anforderungen an die Aufbringung des Gesellschaftskapitals, Formvorschriften) nicht beachtet wurden. Britische Gesellschaften würden dann bei mehreren Gesellschaftern als Personengesellschaft (OHG oder GbR) und bei einem Gesellschafter als Einzelunternehmen behandelt.

Haftungsfragen

Eine weitreichende Konsequenz wäre der Wegfall der Haftungsbeschränkung der Gesellschaft. Folglich besteht die Gefahr, dass dann alle bisherigen Ltd.- und PLC-Gesellschafter persönlich und unbeschränkt für Verbindlichkeiten der britischen Gesellschaft haften. Hinzu kommen weitere rechtliche Unsicherheiten, etwa hinsichtlich Vertretung der Gesellschaft, Vollstreckung, Grundbuchfähigkeit etc. Insbesondere hinsichtlich der Vertretung können sich praktische Schwierigkeiten ergeben, wenn die britische Gesellschaft nur durch einen oder mehrere Fremd-Geschäftsführer (d. h. Geschäftsführer, die nicht gleichzeitig Gesellschafter sind) vertreten wird. Nach deutschem Gesellschaftsrecht muss nämlich mindestens ein Gesellschafter die Gesellschaft auch tatsächlich vertreten.

Deshalb sollte in Zukunft darauf verzichtet werden, eine britische Gesellschaft einzurichten, deren Hauptverwaltung sich in Deutschland befindet. Stattdessen sollte eine Gesellschaftsform eines anderen EU-Staates oder eine Gesellschaft deutscher Rechtsform verwendet werden (unter Umständen eine Unternehmergesellschaft, die ebenfalls mit einem Mindestkapital von einem Euro errichtet werden kann).

Diese genannten Risiken sind aber auch bei bereits bestehenden britischen Gesellschaften noch vermeidbar, wenn bis März 2019 gesellschaftsrechtliche Strukturmaßnahmen durchgeführt werden. Dabei kommen u. a. folgende Möglichkeiten in Frage:

  • Zusätzlich zum Satzungssitz wird auch der Verwaltungssitz der Gesellschaft (also die Geschäftsleitung) nach Großbritannien verlegt. Das wird in der Praxis aber häufig daran scheitern, dass gerade dies meist nicht gewollt ist.
  • Umwandlung (Verschmelzung oder Formwechsel) auf eine deutsche oder eine andere EU/EWR-Gesellschaft. Dadurch würde die britische Gesellschaft erlöschen.
  • Übertragung der Wirtschaftsgüter der britischen Gesellschaft auf eine deutsche Gesellschaft (sogenannter Asset Deal) und anschließende Liquidation der britischen Gesellschaft.

Unabhängig davon wird im Zusammenhang mit den Brexit-Verhandlungen diskutiert, Vertrauensschutz für sogenannte Alt-Gesellschaften zu schaffen – d. h. für britische Gesellschaften, die vor der Brexit-Abstimmung am 23. Juni 2016 gegründet wurden. Möglicherweise wird für eine Übergangszeit die bislang bestehende rechtliche Behandlung britischer Gesellschaften beibehalten. Verlassen sollte man sich darauf aber keinesfalls, denn ob dieser Vertrauensschutz kommt und wie er gestaltet wird, ist derzeit völlig unklar.

Steuerliche Folgen

Die gesellschaftsrechtliche Umqualifizierung einer britischen Kapitalgesellschaft mit Verwaltungssitz in Deutschland in eine Personengesellschaft (bei mehreren Gesellschaftern) bzw. in ein Einzelunternehmen (bei nur einem Gesellschafter) hätte auch erhebliche steuerliche Auswirkungen. Die britische Gesellschaft unterläge dann am Tag des Brexit nicht mehr der Körperschaftsteuer in Deutschland, sondern würde steuerlich als Personengesellschaft behandelt. Faktisch wäre dies ein Formwechsel, sodass etwaige stille Reserven und thesaurierte Gewinne auf Ebene des Gesellschafters sofort besteuert würden. Zum anderen würden laufende Gewinne der Gesellschaft – bei mehreren Gesellschaftern wie bei einer deutschen Personengesellschaft nach den Grundsätzen der Mitunternehmerbesteuerung – einkommensteuerlich unmittelbar den Gesellschaftern zugerechnet. Diese Folgen könnten z. B. durch die erwähnten Strukturmaßnahmen vermieden werden.

Steuerlich weitreichend wären auch die Konsequenzen für britische Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen, die neben ihrem Satzungssitz auch ihren Verwaltungssitz in Großbritannien unterhalten:

  • Steuerlich begünstigte grenzüberschreitende Umstrukturierungen (Verschmelzungen, Spaltungen, Formwechsel) unter Beteiligung einer britischen Gesellschaft werden erheblich erschwert oder gar unmöglich.
  • EU-Richtlinien wären nicht mehr anwendbar. Dadurch müsste u. a. wieder die Quellensteuer auf Dividenden, die eine britische Gesellschaft an eine deutsche Muttergesellschaft ausschüttet, einbehalten und das Finanzamt abgeführt werden.
  • Wesentliche Änderungen dürften sich auch bei der Umsatzsteuer ergeben, weil nach dem Brexit die Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie nicht mehr angewandt werden kann und weil es deutliche Verschärfungen im Zollbereich geben wird.
  • Der Brexit würde steuerlich auch natürliche Personen betreffen, die über Betriebsvermögen in Großbritannien verfügen.
  • Betriebsvermögen, das in Großbritannien liegt, würde nicht mehr bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer privilegiert.
  • Folgen hätte es auch, wenn eine natürliche Person, die an einer Kapitalgesellschaft mit einer Beteiligungsquote von mindestens einem Prozent beteiligt ist, von Deutschland nach Großbritannien umzieht: Insoweit kann keine zinslose Stundung der infolge des Wegzugs ausgelösten Steuern mehr erfolgen.

Alle Gesellschaften, die vom Brexit betroffen sind, sollten sich schon jetzt mit den Auswirkungen auseinandersetzen, damit sie gesellschaftsrechtliche Probleme und steuerliche Belastungen vermeiden oder zumindest verringern. Doch die Materie ist komplex, zumal deutsches und britisches Recht beachtet werden müssen. Es ist deshalb ratsam, Entscheidungen auch mit einem britischen Berater abzustimmen.

Autor/in: 

Wilfried W. Krauß ist Rechtsanwalt und Steuerberater bei der Beratungsgesellschaft PwC PricewaterhouseCoopers in Nürnberg. Daniel Blöchle ist Steuerberater bei PwC (wilfried.krauss@pwc.com; daniel.bloechle@pwc.com).

Illustrationen: Anton Atzenhofer

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 12|2017, Seite 30

 
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