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Weltmacht China

Wohin marschiert der Wirtschaftsriese?

Aufstrebend: Das Geschäftsviertel Pudong in Shanghai.

Im 40. Jahr der Reform- und Öffnungspolitik stehen wirtschaftliche Fragen weit oben auf der Agenda der chinesischen Regierung.

Mit industriepolitischen Strategien wie „Made in China 2025“ will das Land die Weichen für den Aufstieg zur führenden Industriemacht bis 2049 stellen. Auf dem Nationalen Volkskongress (NVK) im März spielten deshalb wirtschaftspolitische Themen eine wichtige Rolle. Die jährliche Tagung des fast 3000-köpfigen Gremiums in Peking wurde dieses Jahr in Deutschland besonders aufmerksam verfolgt. Im Vordergrund stand dabei die erwartete Aufhebung der Befristung des obersten Staatsamtes, die Xi Jinping über die bisher übliche zweite Amtszeit hinaus ermöglicht, Staatspräsident zu bleiben. Zusammen mit der Aufnahme der „Xi-Jinping-Gedanken über den Sozialismus chinesischer Prägung für eine Neue Ära“ in die Staatsverfassung setzt sich die Stärkung der Person Xi Jinpings fort, die bereits vom 19. Parteitag der Kommunistischen Partei (KP) Chinas im Oktober 2017 verabschiedet worden war.

Unmittelbar gravierendere Auswirkungen insbesondere auch für die Unternehmen im Land könnten aber die Verfassungsänderungen und institutionellen Umstrukturierungen haben, mit denen die Verschmelzung von Staat und KP vorangetrieben wird. Experteneinschätzungen zufolge handelt es sich um den größten Umbau der Verwaltung seit 20 Jahren.

Rund 30 Prozent des Handels zwischen der EU, dem größten Handelsblock der Welt, und China finden mit Deutschland statt. Im vergangenen Jahr wurde das Reich der Mitte zum zweiten Mal in Folge wichtigster Handelspartner Deutschlands. Das bilaterale Handelsvolumen legte erneut kräftig zu – um neun Prozent auf 186,6 Mrd. Euro. Das stärkere Wachstum der Exporte (zwölf Prozent auf 86,2 Mrd. Euro) gegenüber den Importen (sechs Prozent auf 100,5 Mrd. Euro) reduzierte dabei den deutschen Importüberschuss auf 14,3 Mrd. Euro. Für die rund 5 200 deutschen Unternehmen im Land war 2017 insgesamt ein überaus erfolgreiches Geschäftsjahr. Gleichzeitig blieben die Zuflüsse an chinesischen Direktinvestitionen in Deutschland mit schätzungsweise rund elf Mrd. Euro in etwa auf dem Niveau des Rekordjahres 2016. Aus zeitlichen und regulatorischen Gründen wurden davon allerdings erst 1,8 Mrd. Euro realisiert, die übrigen Investitionen stehen in 2018 an. Diese starke wirtschaftliche Verflechtung ist Basis für die strategischen Beziehungen zwischen China und Deutschland; mit keinem anderen Land hält China regelmäßig Regierungskonsultationen in der Form gemeinsamer Kabinettssitzungen ab, wie sie in der zweiten Hälfte dieses Jahres wieder in Berlin stattfinden werden. Gleichzeitig geht damit auch eine gegenseitige Abhängigkeit einher, die immer wieder Quelle von Reibungen ist.

Marktzugang beschränkt

Laut der Geschäftsklimaumfrage der Deutsch-Chinesischen Auslandshandelskammer (AHK) wächst die Sorge der deutschen Unternehmen in China über die Zukunft: Der Wettbewerb im Land nimmt mit steigender Innovationskraft der chinesischen Unternehmen zu, während der gleichberechtigte Zugang ausländischer Unternehmen zum Markt ein Versprechen der chinesischen Führung bleibt.

Das in vielen Bereichen unscharf formulierte Cybersicherheitsgesetz vom Juni 2017, das im Januar 2018 in Kraft getretene Normungsgesetz und das im Laufe dieses Jahres erwartete Exportkontrollgesetz mit exterritorialen Elementen stehen für die Absicht der chinesischen Regierung, die weit definierte „nationale Sicherheit“ zu wahren. Relevante Entwicklungen auch im Wirtschaftsbereich könnten unter die Kontrolle des Staates bzw. der KP gelangen.

Präsident Xi Jinping hat auf dem 19. Parteitag der KP im Oktober 2017 mit den Worten des Großen Vorsitzenden Mao Zedong angekündigt, die Partei solle „Regierung, Militär, Volk, Erziehung, Ost, West, Süd, Nord und die Mitte“ leiten. Seit seiner Wahl zum Staatspräsidenten und Vorsitzenden der KPCh vor fünf Jahren ist zu beobachten, dass der Einfluss der Partei stetig ausgeweitet wurde.

Besondere Bedeutung kommt der auf dem NVK beschlossenen neuen Nationalen Aufsichtskommission zu: Mit ihr wird die Antikorruptionskampagne mit Kompetenzen institutionalisiert, die weit über die Partei hinaus- und in den Staatsapparat hineinreichen und die auch Nicht-Parteimitglieder betreffen. Damit kann eine weitgehende Verschmelzung von Staat und Partei einhergehen, so die Einschätzung politischer Beobachter.

Auf seiner diesjährigen Sitzung hat der NVK auch eine Reihe konkreter Maßnahmen beschlossen, um die wirtschaftspolitische Administration zu straffen. Sie unterstreichen den Willen der Regierung, die Umstrukturierung der chinesischen Wirtschaft voranzubringen, um langfristig Wohlstand und Wachstum zu sichern und laut Präsident Xi Jin-ping ein „ökologisch ausgewogenes und lebenswertes Umfeld“ zu schaffen. Bis 2020 soll das Pro-Kopf-Einkommen gegenüber 2010 verdoppelt werden, 2035 will China Innovationsführer in allen wichtigen Technikbranchen sein und 2049 – 100 Jahre nach der Staatsgründung – die führende Industriemacht.

Vorgesehen sind insbesondere folgende Maßnahmen:

Schaffung eines staatlichen Zentralamts für Marktregulierung: Dieses Zentralamt soll Kompetenzen haben in den Bereichen Wettbewerbs- und Kartellrecht, Preispolitik, Lebens- und Arzneimittelsicherheit, Industrie und Handel sowie Qualitätsüberwachung. Dafür wurden Verantwortlichkeiten verschiedener Behörden zusammengelegt. Die neue Behörde wird nicht zuletzt für die Automobilbranche sowie für Medizintechnik- und Pharmahersteller eine hohe Relevanz haben.

Fusion der Banken- und Versicherungsaufsicht in einer Kommission: Dieser Schritt soll mehr Transparenz schaffen und helfen, die hohe Unternehmensverschuldung zu reduzieren. Die Kommission hat kein Gesetzesinitiativrecht, sie soll aber eine tragende Rolle spielen, um drängende Probleme zu lösen (z. B. Kapitalflucht und hohe Schuldenlast eindämmen; Abwendung einer Bankenkrise).

Stärkung der Zentralbank PBOC: Künftig wird die Zentralbank für neue Gesetzes- und Regulierungsentwürfe zuständig sein. Die Aufwertung in den Rang eines Ministeriums ist ein weiteres Zeichen dafür, welchen Stellenwert die Finanzstabilität für die chinesische Regierung hat.

Schaffung einer Agentur für die Initiative „Belt and Road“ („Neue Seidenstraße“): Der Agentur wurden bisherige Kompetenzen des Handels- und Außenministeriums übertragen, sie verfügt nun über Ministeriumsrang – ein deutliches Signal für den Stellenwert der Initiative in der chinesischen Geo- und Außenwirtschaftspolitik. Inwiefern die Agentur auch als Projekt-Koordinierungsstelle agiert, wie es von der Wirtschaft gefordert wurde, ist noch nicht klar.

Schaffung einer Immigrationsbehörde: Dies gilt für in China lebende Ausländer als potenziell wichtiger Schritt hin zu einer verbesserten Visa- und Immigrationspolitik, die vorher in der Zuständigkeit des Ministeriums für öffentliche Sicherheit (MPS) lag. Die Motivation für die chinesische Regierung liegt vermutlich nicht nur in der gestiegenen Zu- und Abwanderung, sondern vor allem auch im Wettbewerb um globale Talente, die China aufgrund seiner demografischen Entwicklung und wirtschaftlichen Ambitionen zunehmend braucht.

Steuerbehörden und Schutz des geistigen Eigentums: Darüber hinaus wurde eine Reform der Steuerbehörden beschlossen. Nationale und lokale Steuerbehörden ab der Provinzebene wurden zusammengelegt. Außerdem wurden dem Staatlichen Amt für geistiges Eigentum (Sipo) zusätzliche Kompetenzen übertragen. Damit soll ein System zum Schutz des geistigen Eigentums aufgebaut sowie die Registrierung und Beurteilung von Marken, Patenten und geografischen Angaben beschleunigt werden.

Die beschriebenen Maßnahmen sind verbunden mit entsprechenden personellen Weichenstellungen. Viele der neuen Regierungsmitglieder sind enge Vertraute von Präsident Xi Jinping – ein Zeichen von Macht, aber auch von Skepsis gegenüber möglichen Gegnern, die der Führung aus der Antikorruptionskampagne erwachsen sind. Die Zentralisierung auf seine Person gilt gleichzeitig als Achillesferse des Systems, denn die Möglichkeit zur Kritik und damit die Korrektur von Fehlentwicklungen wird dadurch eingeschränkt.

Für 2018 hat Ministerpräsident Li Keqiang ein Wachstumsziel von 6,5 Prozent ausgegeben. Dazu beitragen sollen Maßnahmen im Umweltschutz sowie die Belt-and-Road-Initiative. Die groß angelegte wirtschaftliche, geopolitische und diplomatische Initiative stößt in Deutschland wie in vielen anderen Ländern auf großes unternehmerisches Interesse, aber auch auf politische Skepsis. Den Chancen durch die Beteiligung an vielfältigen Projekten stehen nach Auffassung von Politikern und Wirtschaftsverbänden ein Mangel an Transparenz, vielerorts schwierige Rahmenbedingungen und die klare Zielsetzung gegenüber, eher chinesische Unternehmen zu fördern.

Für die Unternehmen im Land bleibt abzuwarten, wie die praktischen Konsequenzen des nunmehr in der Verfassung postulierten Primats der Partei aussehen werden – und wie sie sich zu den von Premier Li Keqiang angekündigten Maßnahmen verhalten, die Märkte weiter zu öffnen. (AHK / DIHK)

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 07|2018, Seite 26

 
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