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Abmahnungen

Unerfreuliche Post

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Illustration: Anton Atzenhofer

Wer eine Abmahnung im Briefkasten vorfindet, sollte nicht gleich zahlen, sondern sich rechtlich beraten lassen.

Datenschutz-Grundverordnung: Die Abmahn-Maschinerie ist angelaufen“: Schlagzeilen wie diese verstärken die Sorgen kleinerer Unternehmen und Selbstständiger. Viele befürchten, dass die Neuregelung des europäischen Datenschutzrechts eine Welle von Abmahnungen wegen angeblicher Datenschutzverstöße auslöst. Ein paar Wochen nach dem Inkrafttreten der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) lassen sich diese Ängste empirisch weder entkräften noch belegen. Aber die Verunsicherung über den Umgang mit Abmahnungen bleibt groß.

Im Wettbewerbsrecht versteht man unter einer Abmahnung eine schriftliche Aufforderung, ein wettbewerbswidriges Verhalten künftig zu unterlassen. Eigentlich ist dies ein sinnvoller Baustein im deutschen System der außergerichtlichen Streitbeilegung. Damit können beispielsweise Unternehmen einen Konkurrenten auf einen Rechtsverstoß hinweisen und Konflikte lösen, ohne Behörden oder Gerichte zu bemühen. Uneigentlich haben aber einige Marktakteure wie unseriöse Abmahnvereine und Rechtsanwaltskanzleien im Zusammenwirken mit vermeintlichen Mitbewerbern das Instrument der Abmahnung zu einem dubiosen, aber lukrativen Geschäftsmodell umfunktioniert. Dabei geht es nicht mehr um die Durchsetzung eines Fair Play nach den Spielregeln des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (UWG), sondern um die finanziellen Interessen der Abmahnenden.

Für sie erweist sich der Boom des Online-Handels als Eldorado. Nach einer Umfrage des Gütesiegel-Anbieters Trusted Shop haben von den 1 530 teilnehmenden Online-Händlern 44 Prozent mindestens einmal eine Abmahnung erhalten. Mehr als die Hälfte der Händler gab an, sich aufgrund von Abmahnungen in ihrer Existenz bedroht zu fühlen.

Abgemahnt werden meist formale, leicht im Internet recherchierbare Verstöße gegen Kennzeichnungsvorschriften und Fehler bei den vielen Informationspflichten im Fernabsatz, so Stefanie Zimmermann, Juristin im Geschäftsbereich Recht | Steuern bei der IHK Nürnberg für Mittelfranken. Sie nennt als Beispiele ein fehlerhaftes Impressum mit nicht ausgeschriebenem Vornamen, einen fehlenden oder nicht anklickbaren Link zu einer Online-Streitbeilegungsplattform oder ein fehlendes Widerrufsformular.

Besonders kleine Händler laufen Gefahr, gegen eine der vielen Wettbewerbs-, Kennzeichnungs- und Widerrufsvorschriften zu verstoßen. Nicht aus bösem Willen, sondern weil sie als Laien den Überblick in den Regelungen diverser Gesetze verlieren. „Ich hab das doch nicht absichtlich falsch gemacht“ – Sätze wie diesen bekommt Stefanie Zimmermann häufig zu hören, wenn sich Unternehmen wegen einer Abmahnung beraten lassen. Allerdings sucht nur eine Minderheit der Betroffenen externen Rat. Viele zahlen die Abmahngebühren und unterschreiben die Unterlassungserklärung stillschweigend ohne Gegenwehr, um sich weitere Scherereien und eine gerichtliche Auseinandersetzung zu ersparen.

Dieses – menschlich nachvollziehbare – Verhalten ist das Wasser, das die Mühlen der unseriösen Abmahner am Laufen hält. Katja Berger, ebenfalls im Geschäftsbereich Recht | Steuern der IHK Nürnberg als Juristin tätig, weiß aus Erfahrung, dass manche Unternehmer einen großen Schreck bekommen, wenn sie eine kostenpflichtige Abmahnung im Posteingang finden: „Panik ist unbegründet, aber Ignorieren bringt auch nichts.“ Ihr Rat: Wer sich zu Unrecht abgemahnt fühlt, sollte auf jeden Fall fachkundigen Rat einholen. Zu klären ist vor allem, ob überhaupt eine Berechtigung zur Abmahnung vorliegt und der Abmahngrund wettbewerbsrechtlich relevant ist. Auch die Höhe der geforderten Gebühren sollte überprüft werden. Es kommt durchaus vor, dass Anwaltskanzleien als Grundlage ihrer Gebührenrechnung einen Streitwert ansetzen, der den im gewerblichen Rechtsschutz üblichen Rahmen sprengt.

Inhalt der Abmahnung ist auch stets die Aufforderung, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. Katja Berger rät dringend davon ab, diese ungeprüft zu unterzeichnen. Häufig seien darin hohe Vertragsstrafen festgelegt, die bei Verletzung der Unterlassungserklärung fällig werden. Zugleich seien deren Formulierungen meist weit gefasst, was die Wahrscheinlichkeit von Verstößen steigen lasse. „In vielen Fällen können juristische Laien die Tragweite nicht erkennen, wenn sie vorformulierte Unterlassungserklärungen unterschreiben. Dann hängt lange ein Damoklesschwert über den Unterzeichnern“, erklärt Katja Berger.

Dieses Damoklesschwert traf eine Goldschmiedin, die ihre Schmuckstücke auf der E-Commerce-Plattform Dawanda anbot. Ein Wettbewerbsverein schickte ihr eine Abmahnung. Beanstandet wurde u. a. der Satz „Ich verschicke meine Waren versichert“, weil diese Formulierung eine verbotene Werbung mit Selbstverständlichkeiten sei. Die Goldschmiedin sollte 232 Euro Aufwendungsersatz zahlen und eine Unterlassungserklärung unterschreiben. Kurz darauf erhielt sie wieder Post vom Abmahner: Weil sie nach wie vor gegen wettbewerbsrechtliche Regeln verstoße, werden nun 3 000 Euro Vertragsstrafe fällig. Der Grund: Bei der Überarbeitung ihrer Website hatte die Goldschmiedin bei zwei von rund 150 Produkten den beanstandeten Hinweis versehentlich nicht gelöscht.

Angesichts solcher drakonischer Strafen für Flüchtigkeitsfehler schließen viele kleine Händler ihre Online-Shops, sobald die erste Abmahnung im Briefkasten gelandet ist. Einige Betroffene gehen jedoch von der Resignation zum Angriff über, so wie Vera Dittrich. Sie hat online selbst entworfene Schals verkauft, deren Material sie als „Wolle-Kaschmir- Mischung“ angab – ein Verstoß gegen die Textilkennzeichnungsverordnung, der ihr eine Abmahnung einbrachte. Denn korrekt hätte es heißen müssen „50 Prozent Wolle, 50 Prozent Kaschmir“. Vera Dittrich wehrte sich erfolgreich vor Gericht gegen die Abmahnung und hat im März 2018 die Petition 77.180 an den Bundestag initiiert, die eine gesetzliche Reform des Abmahnwesens fordert.

IHKs gegen Missbrauch von Abmahnungen

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) hat im Juli 2017 gemeinsam mit zehn anderen Verbänden den Appell „Private Rechtsdurchsetzung stärken – Abmahnmissbrauch bekämpfen“ veröffentlicht. In diesem Papier fordert die Dachorganisation der deutschen Industrie- und Handelskammern eine „Nachjustierung des Rechtsrahmens, um Missbrauch von vornherein bestmöglich auszuschließen“. Dazu gehört, die Anforderungen an die Klagebefugnis zu verschärfen. Denkbar wäre beispielsweise eine Vorab-Prüfung, welche Verbraucherschutzvereine, aber auch welche Wettbewerbsvereine welche Rechtsverstöße abmahnen dürfen. Außerdem soll genauer definiert werden, wann ein „Rechtsmissbrauch“ vorliegt. Ein weiterer Vorschlag an den Gesetzgeber ist die Einführung einer Streitwert- oder Kostendeckelung für einfach gelagerte Fälle. Auch die Einschränkung des sogenannten „fliegenden Gerichtsstands“ wird in dem Positionspapier angeregt. Denn aktuell können Abmahner bei Rechtsverstößen im Internet frei wählen, bei welchem deutschen Landgericht sie rechtliche Schritte einreichen.

Diese Anliegen sind bei der Politik auf positive Resonanz gestoßen: Im Koalitionsvertrag hatte die Bundesregierung angekündigt, gegen den „Missbrauch des bewährten Abmahnrechts“ aktiv zu werden. Inzwischen nehmen diese Pläne konkrete Formen an: Am 14. Juni 2018 haben die Koalitionspartner einen Entschließungsantrag verabschiedet. Darin fordern sie die Bundesregierung auf, bis zum 1. September 2018 einen „Gesetzesvorschlag zur Bekämpfung von Abmahnmissbrauch“ vorzulegen.

Autor/in: 

Von Andrea Wiedemann

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 07|2018, Seite 31

 
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