Telefon: +49 911 1335-1335

Kooperationen mit Start-ups

Mit den Aufsteigern gewinnen

AleksandarNakic_GettyImages-672826820_bearb © AleksandarNakic/GettyImages.de

Junge Unternehmen entwickeln Ideen und Anwendungen, von denen auch viele etablierte Firmen in Mittelfranken profitieren.

Sie haben Ideen, die etablierte Unternehmen oft staunen lassen: Start-ups entwickeln wertvolles Know-how, das sich Firmen durch Kooperation, Beteiligungen oder komplette Übernahmen erschließen können. „Es gibt hier noch viel Potenzial“, diagnostiziert Dr. Elfriede Eberl, Innovationsmanagerin der IHK Nürnberg für Mittelfranken.

Mehr als 70 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) können sich eine Zusammenarbeit mit einem Start-up vorstellen. Allerdings hat nur etwas mehr als ein Drittel aller KMUs Erfahrungen darin. Das ergab eine Untersuchung des RKW Kompetenzzentrums in Eschborn. Dabei könnten sich die Firmen durch eine Entwicklungspartnerschaft, ein Zulieferverhältnis oder eine Kooperation einen Vorsprung am Markt erarbeiten, ist sich Innovationsmanagerin Eberl sicher. Sie forciert das Thema bei jeder Gelegenheit, gerade weil viele Mittelständler nicht alles in Eigenregie entwickeln können. Man müsse hierfür aber gedanklich offen sein.

Gerade in den letzten Jahren interessieren sich Unternehmen immer stärker für einen Technologietransfer aus der Start-up-Szene. Das hat Dr. Carsten Rudolph beobachtet. Er organisiert als Geschäftsführer der Nürnberger BayStartUp GmbH nicht nur den Businessplan-Wettbewerb Nordbayern, sondern bringt auch Investoren und sogenannte Business Angels, die junge Firmen unterstützen, mit Gründern an einen Tisch.

So wurde z. B. beim Businessplan-Wettbewerb 2008 die Sunhill Technologies GmbH aus Bubenreuth ausgezeichnet, die ein Bezahlsystem für Parkgebühren per Mobiltelefon entwickelt hatte. Vor drei Jahren übernahm die Volkswagen Financial Services die Mehrheit der Gesellschafteranteile. Letztlich leisten Start-ups so einen wichtigen Beitrag zum  Erfolg eines Wirtschaftsstandorts.

Innovationen vor der Haustür

Doch viele KMUs hätten das Potenzial junger Technologieunternehmen für ihr eigenes Geschäft noch gar nicht auf dem Schirm, stellt Rudolph fest. Andere würden ins US-amerikanische Silicon Valley oder in die israelischen Gründerhochburgen fliegen, um dann doch in der Heimat die passenden Technologie-Start-ups zu finden. Es gebe natürlich keinen Königsweg. Aber bei den BayStartUp-Veranstaltungen sollten interessierte Firmen nicht nur unverbindlich vorbeischauen, sondern klare Ziele und Bedarfe formulieren. Habe man ein viel versprechendes Start-up gefunden, rät Rudolph erst einmal zu Kooperationen statt zu Beteiligungen: „Das ist am Anfang sinnvoller.“

Einer der Sponsoren der ersten Stunde des Gründerwettbewerbs, die Nürnberger Kanzlei Rödl & Partner, unterstützt nicht nur mit Geld und Coachings. Dr. Rolf Leuner, Partner und Fürther Niederlassungsleiter, engagiert sich auch als Juror. Sein Haus verfolgt das Gründergeschehen in Nordbayern, aber auch bundesweit und international. Sehen sie bei einem Gründer das Potenzial, bei einem Mandanten ein Problem zu lösen, bringen sie beide Seiten unter Einhaltung der Compliance-Anforderungen zusammen.

Kommt es zu einer Zusammenarbeit, sind viele Fragen zu den Themen Kooperation, Beteiligung oder Übernahme zu klären. Dabei kann es um Zugriff auf Quellcodes gehen, die Nutzung von Patenten oder die Frage, wie man bei einem Start-up Leistungen einkaufen kann, wenn nicht die drei üblichen Jahresabschlüsse vorliegen bzw. diese defizitär sind. Auch ein Verlustvortrag kann bei einer Übernahme ein Thema werden.

Für Leuner ist der mögliche Technologietransfer weniger von der eigentlichen Firmengröße abhängig. Er unterteilt lieber nach der mentalen Bereitschaft, sich systematisch und strategisch mit einem Technologietransfer von Jungunternehmen zu beschäftigen. Diese Motivation sei bei erfolgreichen Firmen vielfach stärker ausgeprägt, die sich nach Ergänzungen für ihr Geschäftsmodell umsehen oder mögliche neue Wettbewerber einbinden wollen. Andere Unternehmen sind laut Leuners Beobachtung so stark mit ihrem Tagesgeschäft beschäftigt, dass ihnen der Blick über den Tellerrand abhanden komme. Sie reagierten nicht auf die dunklen Wolken am Horizont, die ihnen in den nächsten Jahren das Überleben schwer machen, und versäumten es, sich rechtzeitig Partner für Innovationen zu suchen.

Wie eine Zusammenarbeit fruchten kann, erklärt Benjamin Bauer, Geschäftsführer beim Zollhof Tech Incubator, dem digitalen Gründerzentrum in Nürnberg-Zollhof. Hier wurde ein Chatbot entwickelt, der einen Bauleiter beim Einrichten einer Baustelle unterstützen kann, z. B. bei den nötigen Absicherungen. Die mittlerweile 30 Start-ups im Zollhof profitieren u. a. vom Büroservice und von der Netzwerkunterstützung. Das Jungunternehmen Smart City System GmbH wiederum hat gemeinsam mit einem Mittelständler Magnetfeldsensoren entwickelt und getestet, die anzeigen, ob ein Parkplatz besetzt oder frei ist. Auch für den Mittelständler hat sich das gelohnt, er produziert nun die Sensoren.

Wissenstransfer bei digitalen Projekten

Die NürnbergMesse hat im vergangenen Jahr ein „Digital Office“ ins Leben gerufen. Dort diskutieren Fachexperten verschiedener Unternehmensbereiche neue Technologien und Geschäftsmodelle. So wird ein hohes Maß an interner Kooperation und Wissensaustausch sichergestellt, berichtet Dr. Martin Kassubek, Abteilungsleiter Strategie- und Unternehmensentwicklung. Für ihn sei der Wissensaustausch mit den Start-ups besonders wertvoll bei der digitalen Produktentwicklung, ebenso wie der Ansatz, alle Dienstleistungen des Unternehmens auf die Prioritäten des Kunden auszurichten. Dabei geht es auch um neue digitale Services, die für Aussteller und Besucher interessant sein können. Aus der Kooperation mit dem „Virtual Reality“-Jungunternehmen Nous GmbH aus Nürnberg ist eine erste gemeinsame VR-Anwendung entstanden, die auf der Branchenmesse Fensterbau Frontale auf beachtliches Interesse stieß.

Für viele Großunternehmen in Mittelfranken wie Siemens oder Schaeffler ist der Technologietransfer bereits Alltag. Das Nürnberger Bosch-Werk kooperiert seit eineinhalb Jahren mit einem Start-up, um beim 3D-Druckverfahren den Ausschuss signifikant zu verringern. Dr. Jürgen Zeiner, Leiter der Hauptabteilung technische Funktionen, beobachtet Start-ups unter zwei Aspekten: Erstens wolle er deren Arbeits- und Denkweisen kennenlernen, zweitens sei der Technologietransfer insbesondere im digitalen Bereich wichtig.

Der Nürnberger Technologiekonzern Diehl hat mit seiner Tochter Diehl Ventures GmbH eine eigene Stelle gegründet, die die Start-up-Szene intensiv und strukturiert beobachtet. Man vernetzt nicht nur die entsprechenden Unternehmensbereiche mit interessanten Jungunternehmen, sondern beteiligt sich auch strategisch an ihnen. Dazu zählen die Minderheitsbeteiligungen an der Kölner Rockethome GmbH für eine Zusammenarbeit mit der Diehl Connectivity Solutions und an der österreichischen Symvaro GmbH für Diehl Metering.

Die Datev aus Nürnberg beobachtet die Start-up-Szene mit Fokus auf den Bereich kaufmännische Prozesse sowie bezüglich der Arbeitsabläufe in Kanzleien von Steuerberatern und Rechtsanwälten. Zusätzlich sucht die Genossenschaft nach möglicherweise disruptiven Innovationen und Partnern, die die Geschäftsmodelle der Mitglieder tangieren könnten. Hierbei gilt das Interesse u. a. auch Technologien wie Künstliche Intelligenz bzw. maschinelles Lernen und Blockchain.

Potenzielle Mitbewerber identifizieren

Die Nürnberger Versicherungsgruppe kooperiert seit 2017 mit dem Start-up-Zentrum Factory Berlin und ist zusätzlich im Münchner InsurTech Hub Munich aktiv. Darüber engagiert sich der Versicherer im Zollhof und hat in unmittelbarer Nachbarschaft die eigene Tochterfirma CodeCamp:N GmbH gegründet. Angesichts der schnellen Digitalisierung in der Versicherungsbranche will die Nürnberger potenzielle neue Wettbewerber früh identifizieren. Darüber hinaus hält der Versicherer Ausschau nach Anwendungen aus den Bereichen Künstliche Intelligenz oder Internet der Dinge, um Geschäftsprozesse wie die Kommunikation mit Kunden und Vermittlern zu vereinfachen und zu beschleunigen. Das können Produktinnovationen wie eine Bilderkennung bei der Antragsbearbeitung oder eine digitalisierte Schadenbearbeitung sein.

Auch die Sparkasse Nürnberg hat sich von der Haltung verabschiedet, alles allein am besten machen zu können, erklärt Michael Maier, Direktor „digital.direkt“. Das Denken in Netzwerken hat bei dem Kreditinstitut zu neuen Kooperationen geführt. Eingeführt wurde die Technik der Münchner Gini GmbH, die Daten aus Texten oder Smartphone-Fotos ausliest und interpretiert. Auf dieser Grundlage führte die Sparkasse die Fotoüberweisung ein, die nach Rechnungserkennung mit ein paar Klicks den Geldtransfer ausführt. Die Anwendung wurde von der gesamten Sparkassen-Gruppe in deren Banking-App übernommen.

Das Innovationsteam der Sparkasse identifizierte außerdem die Fino Run GmbH aus Kassel, die einen Kontowechsel automatisiert und damit deutlich erleichtert. Mit der App der Berliner Cringle GmbH lässt sich per Smartphone Geld an eine andere Handynummer senden – ohne die üblichen IBAN des Empfängers oder TANs zur Bestätigung. Die Kontaktaufnahme mit einem der Start-ups hat Maier aber ganz pragmatisch gelöst. Er hatte sich den Kontakt über einen Social Media-Dienst herausgesucht und einfach mal angefragt.

Autor/in: 

tt.

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 07|2018, Seite 14

 
Device Index

Alle Ansprechpartner/innen auf einen Blick