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Bürowelten

Zonen der Ruhe

Das klassische Großraumbüro erfährt eine Wandlung: In neuen Bürogebäuden setzt man auf eine Mischung aus offenen Büroflächen und geschlossenen Räumen.

Die Hölle, das sind die anderen“: Das Sartre-Zitat bringt auf den Punkt, wie sich viele Beschäftigte im Großraumbüro fühlen. Sie sind genervt durch laute Stimmen, aufdringliches Rasierwasser und Essensgerüche. Nicht nur introvertierte Mimosen fühlen sich in einer solchen Umgebung oft unwohl und gestresst. Auch Arbeitsschutz-Experten halten das klassische Großraumbüro nicht gerade für ein Biotop der Konzentrationsfähigkeit: Dort sei es nahezu unmöglich, wissenschaftliche Texte zu schreiben oder komplexe Berechnungen anzustellen.

Mitunter geht die Reizüberflutung auch zulasten der Gesundheit: Eine Studie der Universität von Stockholm verglich die Fehlzeiten von Mitarbeitern im Großraumbüro mit denen von Angestellten, die in kleineren Büros, in Einzelbüros oder im Home Office arbeiten. Ergebnis: Von den 2 000 Studienteilnehmern hatte die Großraum-Gruppe doppelt so lange Absenzen wie die anderen Fraktionen. In dieselbe Richtung weist die „StiB-Studie – Schweizerische Befragung in Büros“: Je größer das Büro, umso häufiger die Nennungen von Symptomen wie Müdigkeit, Schlafstörungen, brennende Augen und Kopfschmerzen.

Flexible Bürostrukturen

Führt angesichts solcher Befunde und Befindlichkeiten der Königsweg zu Wohlbefinden und Produktivität der Belegschaft doch wieder zurück in die sogenannten „Zellenbüros“, in denen Angestellte allein oder in Zweier- und Dreier-Formation sitzen? Eher nicht, denn solche Bürostrukturen erweisen sich als zu starr für die Anforderungen der „Arbeit 4.0“, auch als „New Work“ bezeichnet. Charakteristisch für sie sind Transparenz, Kommunikation, Kooperation, flache Hierarchien, Verdichtung und Beschleunigung von Prozessen sowie Flexibilität. Das Schlüsselwort für moderne Bürokonzepte heißt Agilität, verstanden als Gewandtheit und Beweglichkeit von Organisationen und Personen. Dazu gehört die Fähigkeit, flexibel auf neue Anforderungen und unvorhergesehene Ereignisse zu reagieren. Starre und hierarchisch gegliederte Bürostrukturen können agile Prozesse ausbremsen. Stattdessen sind Umgebungen gefragt, die auf unterschiedliche Anforderungen eingehen und die Zusammenarbeit in wechselnden Teams unterstützen.

Wie solche Bürowelten aussehen sollten, versuchte das IHK-Gremium Erlangen im Themen-Café „Großraumbüros: Ist der Hype vorbei?“ zu ergründen. Auf diese Titel-Frage hatte Jörg Meister, Geschäftsführer der Nürnberger Kommunikationsagentur SWZ – Schultze.Walther.Zahel.GmbH, eine klare Antwort: „Großraumbüro ist out, das Zonenbüro ist in.“ Auf Anglo-Neudeutsch heißt das Zonenbüro „Multispace“ oder „Open Space“. Im Kern beschreiben diese Begriffe eine Mischstruktur, die offene Büroflächen und geschlossene Räume kombiniert. Dieser Mix soll ein intelligentes Wechselspiel zwischen Teamarbeit und Rückzugsmöglichkeiten für fokussierte Solo-Arbeiten ermöglichen. Oft wird im „Multispace“ das sogenannte „Desk Sharing“ praktiziert, auch „non-territoriales Arbeiten“ genannt: Mitarbeiter haben keinen eigenen Schreibtisch, sondern wählen ihren Arbeitsort flexibel innerhalb der „Home Zone“ ihres Teams oder ihrer Abteilung.

Vit Matousek, Gastgeber der IHK-Veranstaltung und Geschäftsführer der Codemanufaktur GmbH in Erlangen, setzt in seinem IT-Unternehmen auf das Multispace-Bürokonzept inklusive Desk Sharing. Seine Überzeugung: Ein offenes Bürokonzept muss authentisch sein und zu den Unternehmenswerten passen. Entscheidend sei dabei eine Kultur der gegenseitigen Rücksichtnahme und des Vertrauens: „Das Konzept darf nicht dazu dienen, den ‚gläsernen Mitarbeiter‘ zu schaffen.“ Von „Geselligkeitsdruck“ hält Vit Matousek nichts. Wer zum Arbeiten Ruhe brauche, dürfe und solle sich zurückziehen, entweder in eine der Stillarbeitszonen oder ins Home Office.

Die Kommunikationsagentur SWZ hat mit dem Umzug aus einer Gründerzeitvilla in den Nürnberger Tullnaupark ihre Bürostrukturen gründlich verändert – sowohl in Bezug auf die Raumgestaltung als auch die Prozessorganisation. Jörg Meister unterschlägt nicht, dass es durchaus Vorbehalte gegen die Einführung des „Zonenbüros“ gab. Auf Platz eins der Mitarbeiter-Ängste rangierte ein höherer Lärmpegel. Dieser Befürchtung hat man sich offensiv gestellt, wie Meister berichtet. In der Agentur klingeln keine Telefone mehr; ankommende Gespräche werden auf dem Bildschirm signalisiert. Das Non-Territorial-Prinzip wird allerdings nur in der Light-Variante umgesetzt: Es gibt keinen werktäglichen Schreibtisch-Wechsel; die Sitzplatz-Rotation erfolgt en bloc je nach Team- und Projektzugehörigkeit. Diese Variante des Open Spaces-Büros habe sich in der Praxis bewährt, so der SWZ-Geschäftsführer auch mit Hinblick auf interne Messungen der Profitabilität.

Mitarbeiter einbinden

Die Siemens AG setzt ebenfalls auf neue Büro- und Arbeitsformen, allerdings in anderen Dimensionen als inhabergeführte Mittelständler. Gabriele Engel und Robert Jäger von Siemens berichteten bei der IHK-Veranstaltung über die Planungen des Siemens Campus Erlangen. Dort soll bis 2030 auf dem bisherigen Forschungsgelände im Süden der Universitätsstadt statt eines geschlossenen Siemens-Standorts ein offener Stadtteil entstehen, der eine moderne Büroinfrastruktur mit großzügigen Grünflächen und Wohnungen kombiniert. In diesem neuen Quartier will der Konzern zukunftsweisende Bürolandschaften verwirklichen. „Es wäre ein Fehler, den Status quo einfach in neue Räume zu transferieren“, betonte Robert Jäger.

Wichtig sei dabei, die Beschäftigten schon früh in der Planungsphase einzubeziehen. So gab es beispielsweise einen Workshop, der eine Gruppe von Mitarbeitern auf eine Zeitreise in die Arbeitswelt des Jahres 2030 schickte. Außerdem werde jede Abteilung in die Bürogestaltung eingebunden, versichert Jäger. „Wir stellen immer die Frage ‚Wie arbeitet ihr, was braucht ihr dafür?‘“ Auch Vit Matousek sieht diese Mitwirkung der Beschäftigten als kritischen Erfolgsfaktor bei der Verwirklichung neuer Bürokonzepte: „Jeder Mitarbeiter ist ein Individuum mit Bedürfnissen und Gewohnheiten. Das muss man respektieren.“

Autor/in: 

aw.

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 11|2018, Seite 40

 
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