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Arbeitsschutz

Zu stark belastet?

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Welche Anforderungen müssen Arbeitsplätze im Betrieb und im Homeoffice erfüllen? Ein IHK-Fachforum gab Tipps für die Praxis.

Die Verhütung von Unfällen ist nicht eine Frage gesetzlicher Vorschriften, sondern der unternehmerischen Verantwortung und zudem ein Gebot wirtschaftlicher Vernunft." Dieses Zitat von Werner von Siemens ist fast 140 Jahre alt, aber zeitlos gültig. Arbeitsschutz ist nach wie vor ein Thema, das Unternehmen und Mitarbeiter stark beschäftigt. Zum "Update" und Erfahrungsaustausch veranstalten die IHKs Nürnberg, Oberfranken und Coburg jedes Jahr das IHK-Fachforum "Arbeitsschutz in der betrieblichen Praxis".

"Arbeitsschutz ist viel mehr als die Schutzbrille und der Gehörschutz", stellte Andreas Neubig, Leiter des Gewerbeaufsichtsamts Nürnberg, bei der jüngsten Veranstaltung in Nürnberg klar. Damit machte er gleich zu Beginn seines Vortrags deutlich, dass der Wandel der Arbeitswelt auch die Anforderungen an den Arbeitsschutz verändert: Früher lag der Schwerpunkt auf Gefahren- und Unfallvermeidung. Inzwischen werden auch die Zusammenhänge zwischen Arbeitsbedingungen und moderner Technik, die Interaktion zwischen den Beschäftigten und die Führungskultur betrachtet.

Dieser weiter gefassten Sichtweise trägt das Arbeitsschutzgesetz Rechnung. Als "Grundgesetz des Arbeitsschutzes" hat es nicht nur das Ziel, Unfälle und Berufskrankheiten zu verhüten, sondern auch die Gesundheit und das Wohlbefinden der Beschäftigten zu erhalten und arbeitsbedingten Krankheiten vorzubeugen. Unabhängig von seiner Größe hat jedes Unternehmen zu ermitteln und zu dokumentieren, welchen Gefahren und Gefährdungen die Beschäftigten ausgesetzt sind und entsprechende Arbeitsschutzmaßnahmen festzulegen. Diese sogenannte Gefährdungsbeurteilung (GBU) ist Pflicht. Der entzieht sich allerdings ein Großteil der Betriebe: Laut einer Befragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) erstellen 45 Prozent der Unternehmen in Deutschland keine Gefährdungsbeurteilung. Sehr zum Leidwesen von Andreas Neubig: Angesichts zahlreicher ausführlicher Checklisten und diverser Leitfäden kann er nicht nachvollziehen, dass Unternehmen die GBU-Vorschrift mit Argumenten wie „nicht umsetzbar“ oder „nicht verständlich“ unterlaufen. "Die Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung macht Arbeit, hilft aber letztlich dem Unternehmen", so Neubig.

Der Leiter des Gewerbeaufsichtsamts sprach auf dem IHK-Fachforum auch das Thema Arbeitszeit an. Seine Einschätzung: "100 Jahre nach seiner Einführung sind wir vom Acht-Stunden-Tag teilweise noch weit entfernt." Immer mehr Anträge auf Sonn- und Feiertagsarbeit habe seine Behörde zu bearbeiten. Immer häufiger würden Pausen und Ruhezeiten sowie die maximale Arbeitszeit von zehn Stunden pro Tag nicht eingehalten. Viele dieser Verstöße blieben unentdeckt, weil mangels Personal immer weniger Arbeitsschutzkontrollen durchgeführt werden könnten.

Arbeiten im Homeoffice 

Die Erfassung der Arbeitszeit hat sich zu einem heiklen Thema entwickelt, seitdem wegen der Digitalisierung die Gleichung "Anwesenheit im Unternehmen = Arbeiten" nicht mehr stimmt. Mit Laptop, Tablet und Smartphone lassen sich E-Mails, Präsentationen und Konzepte überall schreiben. Und genau diese räumliche Entgrenzung wirft in puncto Arbeitsschutz viele Fragen auf. Mit ihnen beschäftigte sich Andreas Zapf vom Bayerischen Arbeitsministerium in seinem Vortrag "Telearbeit und mobiles Arbeiten".

Die Differenzierung dieser beiden Begriffe ist entscheidend, da sich jeweils unterschiedliche Anforderungen an den Arbeitgeber in Sachen Arbeitsschutz ergeben. Was unter "Telearbeit" zu verstehen ist, regelt die 2016 runderneuerte Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV). Dort steht: "Telearbeitsplätze sind vom Arbeitgeber fest eingerichtete Bildschirmarbeitsplätze im Privatbereich der Beschäftigten, für die der Arbeitgeber eine mit den Beschäftigten vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit und die Dauer der Einrichtung festgelegt hat. Ein Telearbeitsplatz ist vom Arbeitgeber erst dann eingerichtet, wenn Arbeitgeber und Beschäftigte die Bedingungen der Telearbeit arbeitsvertraglich oder im Rahmen einer Vereinbarung festgelegt haben."

Für Telearbeitsplätze gelten die Regelungen der Bildschirmarbeitsverordnung, die in die ArbStättV integriert ist. Außerdem sind Arbeitgeber verpflichtet, eine Gefährdungsbeurteilung vorzunehmen, sobald ihr Mitarbeiter im Homeoffice startet. Wie Andreas Zapf betonte, gelten wesentliche Regelungen der ArbStättV auch beim Arbeiten in den eigenen vier Wänden: Beispielsweise darf sich der Arbeitsplatz nicht in einem fensterlosen Keller befinden und er muss beheizbar und belüftbar sein. Außerhalb des Anwendungsbereichs der Arbeitsstättenverordnung bewegt sich die sogenannte "mobile Arbeit". Unter diesen Begriff fällt beispielsweise, wer im Café, im Zug oder auf der Wohnzimmercouch seine geschäftlichen E-Mails auf dem Laptop checkt.

Psychische Belastungen

Seit 2013 sind "Psychische Belastungen bei der Arbeit" im Arbeitsschutzgesetz explizit in der Liste der Gefährdungen aufgeführt, die der Arbeitgeber bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen zu berücksichtigen hat. Doch auch fünf Jahre nach dieser Gesetzesnovelle kursieren viele Unklarheiten über die "Gefährdungsbeurteilung Psychische Belastungen". Prof. Dr. Arno Weber, Professor für Arbeits- und Gesundheitsschutz an der Hochschule Furtwangen, bemühte sich auf dem IHK-Fachforum, solche Missverständnisse auszuräumen. Der Wissenschaftler stellte klar: "Es geht hier nicht um die Analyse der Psyche einzelner Mitarbeiter. Es geht um das Erkennen möglicher Belastungen von außen unter Berücksichtigung individueller Leistungsvoraussetzungen."

Mitunter reagieren Unternehmen gereizt, wenn sie auf die Gefährdungsbeurteilung angesprochen werden. Reaktionen wie "Bei uns gibt es keine psychische Belastung" sind durchaus kein Einzelfall. Ein Grund für diese Abwehrhaltung ist, dass "Belastung" im normalen Sprachgebrauch einen negativen Touch hat. Dagegen verwendet die Arbeitswissenschaft diesen Begriff neutral. Sie definiert "psychische Belastungen" als "Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse", die auf die Sinnesorgane, das Denken, das Lernen, die Konzentration, das Gedächtnis und die Empfindungen einwirken – im Gegensatz zu physischen Belastungen, die auf Knochen, Muskeln und Gelenke gehen.

"Nicht jede Belastung ist vermeidbar", unterstrich Arno Weber. Entscheidend sei aber, wie Belastungen (z. B. Schichtarbeit im Gesundheitswesen) menschengerecht gestaltet werden können. Und auf diese Frage ließen sich mithilfe der "Gefährdungsbeurteilung Psychische Belastungen" Antworten finden. So trage dieses Instrument letztendlich zu besseren Arbeitsbedingungen bei, die sich idealerweise in einer höheren Produktivität niederschlagen. Um solche positiven Effekte zu erzielen, sollten nicht nur Führungskräfte in die Erstellung der Gefährdungsbeurteilung eingebunden werden. Gespräche mit Beschäftigten und Befragungen könnten durchaus gute Dienste leisten, um Belastungen zu identifizieren.

Autor/in: 

aw.

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 01|2019, Seite 30

 
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