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EU-Mehrwertsteuer

Steuerfrei über die Grenze

Geldschein © ilbusca/GettyImages.de

Die Reform des EU-Mehrwertsteuer-Systems nimmt Fahrt auf: Erste Stufe tritt am 1. Januar 2020 in Kraft.

Seit langem setzt sich die Europäische Kommission dafür ein, das geltende Mehrwertsteuersystem der Europäischen Union umzugestalten. Geplant ist die Überführung in ein „endgültiges“ System, das weniger betrugsanfällig, gleichzeitig aber effizienter und einheitlicher ist. Bevor es zur vollständigen Umstellung kommt, sollen zunächst einige kurzfristige Maßnahmen ergriffen werden, um dringend erforderliche Anpassungen schnell umzusetzen. Deshalb haben die europäischen Finanzminister Ende letzten Jahres ein erstes Maßnahmen-Paket (sogenannte „Quick Fixes“) beschlossen, das zum 1. Januar 2020 einheitlich in allen EU-Mitgliedstaaten in Kraft tritt.

Die Umsetzung in nationales Recht und damit eine Änderung des deutschen Umsatzsteuergesetzes ist im Laufe dieses Jahres zu erwarten. Ein erster Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen wurde am 8. Mai 2019 veröffentlicht. Inhaltlich bestehen die Neuerungen aus den vier Themenblöcken Umsatzsteuer-Identifikationsnummer und erforderliche Belege für die Steuerfreiheit von Warenlieferungen in andere EU-Mitgliedstaaten (sogenannte innergemeinschaftliche Lieferungen) sowie Reihengeschäfte und Konsignationslager.

Umsatzsteuer-Identifikationsnummer

Innergemeinschaftliche Lieferungen, bei denen der Gegenstand in ein anderes EU-Mitgliedsland versendet wird, sind unter bestimmten Voraussetzungen von der Umsatzsteuer befreit: Der Empfänger der Leistung muss ein Unternehmer sein, der den Gegenstand für sein Unternehmen erwirbt. Außerdem müssen auf den Abnehmer im anderen Mitgliedsland die Vorschriften über die Erwerbsbesteuerung anwendbar sein.

Ab dem 1. Januar 2020 kommen weitere Voraussetzungen hinzu, um in den Genuss der Steuerbefreiung zu kommen: Der Lieferant muss eine ausländische Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Abnehmers nachweisen, die zum Zeitpunkt der Lieferung gültig ist. Außerdem ist er verpflichtet, die sogenannte Zusammenfassende Meldung elektronisch an das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) zu übermitteln, in der die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers sowie die Summe der im Meldezeitraum an den Erwerber ausgeführten innergemeinschaftlichen Lieferungen anzugeben sind.

Wenn diese zusätzlichen Anforderungen in das Gesetz aufgenommen werden, gelten sie als materiell-rechtliche Voraussetzungen für die Steuerfreiheit von innergemeinschaftlichen Lieferungen. Das ist derzeit noch anders: Zwar spielt die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer in der Praxis bereits eine Rolle, jedoch stellt sie aktuell lediglich eine formelle Voraussetzung für die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung dar. Bei fehlender Umsatzsteuer-Identifikationsnummer kann man sich künftig nicht mehr auf die günstigere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes berufen.

Durch die Änderungen werden die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung von innergemeinschaftlichen Lieferungen deutlich verschärft. Fehlt es künftig an einer gültigen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer und deren Angabe in der Zusammenfassenden Meldung, ist die Lieferung im Abgangsstaat steuerpflichtig. Dabei schuldet grundsätzlich der Lieferant die Umsatzsteuer. Er trägt damit das Risiko, falls die Lieferung unzutreffend als steuerfrei behandelt wird.

Erforderliche Belege

Der Lieferant muss mit geeigneten Belegen nachweisen, dass die Waren tatsächlich in einen anderen Mitgliedstaat gelangt sind. Dieser Belegnachweis ist eine formelle Voraussetzung dafür, dass er die Steuerbefreiung von innergemeinschaftlichen Lieferungen beanspruchen kann. Da die europäische Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie bisher keine konkreten Nachweise nennt, werden diese in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich gehandhabt. Diesem Flickenteppich sollen die anstehenden Änderungen auf EU-Ebene entgegenwirken.

Damit wird innerhalb der Europäischen Union einheitlich geregelt, welche Dokumente vorgelegt werden können. Dazu zählen z. B. ein unterzeichneter CMR-Frachtbrief (gemäß dem „Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr“ CMR), ein Konnossement, eine Luftfracht-Rechnung oder eine Rechnung des Beförderers der Gegenstände. Wenn der Lieferant zwei dieser Dokumente vorweisen kann, gilt der Nachweis – in Form einer widerlegbaren Vermutung – als erbracht. Es ist erforderlich, dass diese beiden Dokumente von zwei unabhängigen Parteien stammen und sich nicht widersprechen. Dies stellt im Vergleich zur bisherigen Regelung in Deutschland eine Verschärfung dar, sodass viele Firmen die entsprechenden Prozesse anpassen müssen.

Liegt nur einer dieser Nachweise vor, sollen künftig für den zweiten Nachweis Ersatzdokumente zulässig sein. Dieses Ersatzdokument kann eine Versicherungspolice für den Transport der Gegenstände oder eine Bankunterlage sein, die die Bezahlung des Warentransports belegt, oder eine von einer öffentlichen Stelle (z. B. einem Notar) ausgestellte offizielle Unterlage, die die Ankunft der Gegenstände im Bestimmungsland bestätigt. Auch eine dort von einem Lagerinhaber ausgestellte Quittung, durch die die Lagerung der Gegenstände in dem EU-Mitgliedstaat bestätigt wird, kann als Nachweis genutzt werden.

In Abholfällen, wenn also der Abnehmer für den Transport verantwortlich zeichnet, ist zusätzlich zu den beiden genannten Transportnachweisen eine schriftliche Erklärung des Abnehmers notwendig, die dem Lieferanten spätestens zehn Tage nach Ablauf des Liefermonats vorliegen muss. Aus der Erklärung müssen neben weiteren Angaben sowohl die Transportverantwortung des Abnehmers als auch der EU-Mitgliedsstaat hervorgehen, in den die Lieferung erfolgt.

Reihengeschäfte

Von einem Reihengeschäft spricht man, wenn mehrere Unternehmer ein Geschäft über denselben Gegenstand abschließen, dieser aber unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer in der Reihe gelangt. Ein Reihengeschäft wird in der Praxis häufig angewandt, um den Transportweg möglichst kurz zu halten. Ein Beispiel: Unternehmer B bestellt bei Unternehmer A eine Maschine mit dem Auftrag, diese direkt an seinen Kunden C zu versenden.

Es findet in diesem Fall also nur ein einziger Transport (Warenbewegung) statt, in umsatzsteuerlicher Hinsicht liegen allerdings mehrere Lieferungen vor. Die zentrale Frage ist nun, welcher Lieferung die tatsächliche Warenbewegung zugeordnet wird. Oder steuerlich ausgedrückt: Welches ist die „warenbewegte Lieferung“, für die bei grenzüberschreitenden Reihengeschäften die Befreiung von der Umsatzsteuer in Betracht kommt?

Mit den EU-Vorgaben wird zum 1. Januar 2020 für bestimmte Fallgestaltungen der Reihengeschäfte eine einheitliche Zuordnungsregelung der Warenbewegung getroffen, die den bisherigen deutschen Regelungen in weiten Teilen ähnelt. Wenn ein Zwischenhändler für den Transport verantwortlich ist und dieser gegenüber seinem Lieferanten mit seiner Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Abgangslandes der Ware auftritt, gilt Folgendes: Die von ihm ausgeführte Lieferung (also die zweite Lieferung im Reihengeschäft mit drei Beteiligten) gilt künftig als die bewegte Lieferung. Verwendet er diese Umsatzsteuer-Identifikationsnummer nicht aktiv, so gilt die von ihm bezogene Lieferung als die bewegte Lieferung.

Weitere Fälle und Aspekte sind in den neuen EU-Regelungen zwar bislang unberücksichtigt, wurden jedoch im deutschen Referentenentwurf bereits aufgegriffen. So soll die Warenbewegung weiterhin der ersten Lieferung zugeordnet werden, wenn der erste Lieferant in der Kette die Ware befördert bzw. versendet. Holt der letzte Abnehmer in der Kette die Ware beim ersten Unternehmer ab, stellt die letzte Lieferung die sogenannte bewegte Lieferung dar. Der Referentenentwurf berücksichtigt darüber hinaus auch Drittlands- und Einfuhrfälle. Dadurch werden zumindest teilweise Unterschiede beseitigt, die sich in der umsatzsteuerlichen Beurteilung desselben Sachverhalts in den verschiedenen Mitgliedstaaten ergeben hatten.

Konsignationslager

Neu geregelt werden ab dem 1. Januar 2020 auch Lieferungen in ein Konsignationslager, das sich in der EU befindet. Diese Lager sind in der Regel in der Nähe der Kunden oder sogar auf deren Betriebsgelände zu finden, sodass diese die Waren dort bei Bedarf schnell abrufen können. Bisher wurde die Lieferung in ein solches Lager als Verbringen der Ware innerhalb der EU und als anschließende Inlandslieferung im Bestimmungsland angesehen. Dies soll sich künftig ändern: Wenn der Kunde die Waren aus dem Lager entnimmt, wird unter bestimmten Voraussetzungen davon ausgegangen, dass für den Lieferanten im ursprünglichen Abgangsstaat eine innergemeinschaftliche Lieferung vorliegt und für den Kunden im Bestimmungsland ein innergemeinschaftlicher Erwerb. Damit wird vermieden, dass das liefernde Unternehmen komplizierte umsatzsteuerliche Registrierungs- und Deklarationspflichten im Bestimmungsland erfüllen muss.

Mit diesen Änderungen werden die Vorschriften innerhalb der Europäischen Union weiter harmonisiert. Aus diesen „Quick Fixes“ der EU ergeben sich für die Unternehmer Chancen, aber auch Risiken: Gelten bisher noch unterschiedliche Regelungen und Maßnahmen je nach EU-Mitgliedsstaat, bietet sich jetzt die Chance der Vereinheitlichung. Deshalb ist langfristig damit zu rechnen, dass sich die Rechtsunsicherheiten beim grenzüberschreitenden Warenverkehr innerhalb der Europäischen Union verringern. Zunächst werden allerdings entsprechende Vorbereitungen erforderlich sein, um die genannten Maßnahmen ab dem 1. Januar 2020 umsetzen zu können. Den Unternehmen ist deshalb zu empfehlen, die weitere Entwicklung des deutschen Gesetzgebungsverfahrens im Blick zu behalten und das Jahr 2019 zur Vorbereitung zu nutzen.

Autor/in: 

Eva Carrillo Morantes ist Steuerberaterin und Fachspezialistin für Umsatzsteuer bei der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschafft HLB Hussmann in Nürnberg (info@hlb-hussmann.de, www.hlb-hussmann.de)

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 07|2019, Seite 32

 
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