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Baurecht

Das muss schneller gehen!

Illu_WiM_0919_Original © Anton Atzenhofer

Bundes- und Staatsregierung planen, die Bebaubarkeit von Grundstücken auch für Gewerbebauten auszuweiten.

Noch im September will die Bayerische Staatsregierung in einem „Wohnungsgipfel“ Möglichkeiten zur Linderung der Wohnungsnot suchen. Die Bundesregierung stuft das bezahlbare Wohnen als „die soziale Frage unserer Zeit“ ein. Im Juli dieses Jahres hat die u. a. von Vertretern aus Bund, Ländern und Wirtschaft besetzte „Baulandkommission“ Empfehlungen für die Änderung von Bundesgesetzen vorgestellt. Damit sollen die planungsrechtlichen Grundlagen zur Schaffung von Baurecht vereinfacht und beschleunigt werden. Auf Landesebene arbeitet das Bayerische Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr derzeit an einem umfangreichen Gesetzentwurf, der voraussichtlich im Oktober in den Landtag eingebracht werden soll, damit zu Beginn des kommenden Jahres Vorschriften u. a. zum Genehmigungsverfahren und zum Abstandsflächenrecht geändert werden können. Im Folgenden einige der Vorschläge zu Gesetzesänderungen.

Bundesrecht

Die Baulandkommission hat sich mit möglichen Änderungen der Bundesgesetzgebung, insbesondere des Baugesetzbuches (BauGB) und der Baunutzungsverordnung (BauNVO) beschäftigt. Sie empfiehlt, die bisherigen Obergrenzen für das Maß der Bebaubarkeit von Grundstücken in den verschiedenen Baugebietstypen (Wohngebiete, Dorfgebiete, Gewerbegebiete, Industriegebiete etc.) zu „Orientierungswerten“ herabzustufen und damit zu flexibilisieren. Die Werte sollten an die jetzigen Lebensverhältnisse (nach oben) angepasst werden. So ist nach § 17 BauNVO z. B. in Gewerbe- und Industriegebieten derzeit in der Regel eine Grundflächenzahl von maximal 0,8 (d. h. maximal 80 Prozent der Grundstücksfläche dürfen bebaut werden) und eine Geschossflächenzahl von maximal 2,4 zulässig (d. h. bei einer Bebauung von 80 Prozent der Grundstücksfläche in jedem Geschoss dürfen drei Geschosse errichtet werden).

Nachdem seit 2017 der neue Baugebietstyp „Urbanes Gebiet“ in Bebauungsplänen festgesetzt werden kann, empfiehlt die Baulandkommission die Einführung einer weiteren Gebietskategorie „Dörfliches Wohnen“, um in sich stark wandelnden ländlichen Räumen ein einvernehmliches Nebeneinander von Wohnen, landwirtschaftlichen Betrieben und gewerblicher Nutzung zu ermöglichen.

Die Baulandkommission empfiehlt weiter, bei Bauvorhaben die Pflicht zum Ausgleich von Eingriffen in Natur und Landschaft stärker als bisher (§ 1a Abs. 3 BauGB) durch Ausgleichszahlungen zu ermöglichen, statt Ausgleichsflächen bereitzustellen.

Wenn Wohnbebauung an vorhandene Gewerbebetriebe heranrücken soll, führt das bisherige rechtliche Instrumentarium oftmals zu relativ unflexiblen Schallschutzmaßnahmen an den Wohngebäuden. Die Baulandkommission begrüßt deshalb die Einführung einer Experimentierklausel, um Nutzungskonflikte zwischen Gewerbebetrieben und heranrückender Wohnbebauung, die an der Schnittstelle zwischen Baugesetz und Immissionsschutzrecht entstehen, (besser) zu lösen.

In der juristischen Fachliteratur wird zum Bundesrecht vorgeschlagen, dass dem Bauvorhaben nicht mehr zwingend gemeindliche Bebauungspläne zugrunde gelegt werden müssen, die seit mindestens 30 Jahren unverändert bestehen. Stattdessen soll der Bauherr wählen können, ob er den alten Bebauungsplan angewendet haben möchte oder ob sein Vorhaben so behandelt werden soll, als ob kein Bebauungsplan für sein Grundstück existiert. Dann würde sich die Bebaubarkeit innerhalb bebauter Ortsteile (bauplanungsrechtlicher Innenbereich) gemäß § 34 BauGB danach richten, ob sich das Vorhaben in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Zu prüfen sind dabei Aspekte wie die Art (z. B. Wohnen oder Gewerbe) und das Maß der baulichen Nutzung, die Bauweise und die Grundstücksfläche, die überbaut werden soll.

Begründet wird die Grenze von mindestens 30 Jahren damit, dass jede Stadt ungefähr alle 30 Jahre „neu gebaut“ wird, d. h. dass für nahezu jedes innerstädtische Grundstück innerhalb von 30 Jahren Baugenehmigungen (Abbruch, Neubau, Umbau, Ausbau, Sanierung etc.) beantragt und erteilt werden. Daher bilden 30 Jahre alte oder ältere Bebauungspläne den heute dort vorhandenen baulichen Bestand oft nicht mehr ab, sodass auch die damals mit dem Bebauungsplan verfolgten städtebaulichen Ziele häufig überholt sein dürften.

Dieser Vorschlag würde für die Städte und Gemeinden dazu führen, dass sie alte Bebauungspläne genauer unter die Lupe nehmen müssen, um zu überprüfen, ob an deren Festsetzungen noch festgehalten werden soll. Geschieht dies nicht, kann der Bauherr nach Maßgabe der gesetzlichen Grundlage bauen. Für den Bauherrn würde durch die Wahlmöglichkeit in der Regel die Schaffung des Baurechts beschleunigt. Denn alte Bebauungspläne, an denen die Gemeinde prinzipiell nicht mehr festhalten will, müssten nicht in einem kostenaufwändigen und unter Umständen sehr langwierigen förmlichen Verfahren außer Kraft gesetzt werden. Hinzu kommt, dass im Falle der Einführung einer Wahlmöglichkeit der Bauherr nicht mehr auf das – oft unsichere – Rechtsinstrument der Befreiung (§ 31 Abs. 2 BauGB) angewiesen wäre, wenn er abweichend vom Bebauungsplan bauen möchte. Denn es liegt grundsätzlich im Ermessen der Baugenehmigungsbehörde, ob sie die Befreiung erteilt. Zudem kann eine Befreiung nur erteilt werden, wenn dadurch die „Grundzüge der Planung“ nicht berührt werden. Die oft nicht einfach zu beantwortende Frage, wann die Grundzüge der Planung berührt werden, führt jedoch immer wieder zu unterschiedlichen Auffassungen zwischen Bauherren, Nachbarn, Behörden und Gerichten.

Landesrecht Bayern

Um weniger Flächen für Gebäude in Anspruch nehmen zu müssen, wird „engeres Bauen“ in Betracht gezogen. Derzeit ist nach der Bayerischen Bauordnung (BayBO) in Wohn- und Mischgebieten zwischen zwei Gebäuden im Regelfall eine Abstandsfläche von 1 H einzuhalten (mindestens jedoch drei Meter), wobei „H“ die Höhe der Außenwand darstellt. Die Stadt Nürnberg hat für ihr Gebiet diese mindestens einzuhaltende Abstandsflächentiefe seit 2016 durch eine Satzung auf 0,4 H reduziert. Nunmehr wird vom Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr eine Herabsetzung für ganz Bayern – also nicht nur für städtische Verdichtungsräume – in Erwägung gezogen, ohne dass die Gemeinden selbst noch durch entsprechenden Satzungserlass tätig werden müssen.

Des Weiteren ist nach Aussagen von Bayerns Bauminister Dr. Hans Reichhart beabsichtigt, den Dachgeschossausbau zur Wohnnutzung und die Errichtung von Gebäuden in bestimmter – zuvor allgemein geprüfter – Modul-/Systembauweise dadurch zu beschleunigen, dass hierfür keine Baugenehmigung mehr einzuholen ist.

Die weitgehendste Änderung, die derzeit auf Landesebene diskutiert wird, dürfte die Einführung einer „Genehmigungsfiktion“ in der Bayerischen Bauordnung darstellen. Dadurch sollen Bauanträge, zu denen die Genehmigungsbehörde (Stadt oder Landratsamt) nach einer bestimmten Frist (etwa drei Monate) keinen (stattgebenden oder ablehnenden) Bescheid erteilt hat, als genehmigt gelten – es sei denn, die Behörde hat zuvor gegenüber dem Bauherrn bzw. seinem Architekten bemängelt, dass die mit dem Bauantrag eingereichten Unterlagen und Pläne unvollständig seien. Einzelheiten zu diesem Änderungsvorschlag sind noch nicht bekannt.

Die Notwendigkeit, zu handeln, um die Nachfrage nach Wohnraum zu befriedigen und gleichzeitig das Ziel des Flächensparens nicht aus den Augen zu verlieren, wurde auch auf politischer Ebene erkannt. Es bleibt jedoch abzuwarten, welche der vielfältigen Vorschläge zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren und zur Vereinfachung und Ausweitung der Baurechtsschaffung sich in den Gesetzgebungsverfahren durchsetzen werden. Spätestens in einem Jahr dürfte man Näheres wissen.

Autor/in: 

Rechtsanwalt Sebastian Siemer ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht bei der Kanzlei Dr. Waldmann Kohler & Kollegen, Nürnberg

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 09|2019, Seite 1002

 
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