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Landesgewerbeanstalt Bayern

Auf dem Prüfstand

LGA Bayern_TÜV Rheinland_EMV_Pruefung_von_Pedelecs2010 © TÜV Rheinland

Qualitäts-Check: In einem Testlabor in Nürnberg prüft ein Mitarbeiter des TÜV Rheinland ein Fahrrad.

Die LGA Landesgewerbeanstalt Bayern hat sich in 150 Jahren von einem Gewerbemuseum zu einer modernen Prüfanstalt gewandelt.

Schlecht und billig: Produkte aus deutschen Manufakturen hatten Mitte des 19. Jahrhunderts keinen guten Ruf. Die deutschen Kleinstaaten, die 1871 unter Wilhelm I. zum ersten deutschen Kaiserreich zusammengefasst werden sollten, lagen bei der Industrialisierung weit abgeschlagen hinter anderen westeuropäischen Ländern. Mit diesem technologischen Rückstand wollten sich die in Mittelfranken ansässigen Unternehmer nicht abfinden. Zu ihnen gehörten Theodor Cramer-Klett (1817–1884) und Johann Lothar von Faber (1817–1896). Der Maschinenbauer und der Bleistiftfabrikant nahmen viel Geld in die Hand und richteten mit anderen Kaufleuten und Gewerbetreibenden ein Gewerbemuseum in Nürnberg ein: Am 28. April 1869 trafen sich etwa 200 Unternehmer, Politiker, Vertreter der Handelskammer Nürnberg und Honoratioren der Stadt zur Gründungsversammlung des „Bayerischen Gewerbemuseums zu Nürnberg“, der Keimzelle der Landesgewerbeanstalt Bayern (LGA).

In den Statuten stand ein wesentliches Ziel der neuen Einrichtung: „technische Fertigkeiten und Kunstgeschmack unter dem Arbeiterstande und den Gewerbetreibenden des Landes zu fördern“. Technologietransfer und Berufsqualifizierung mit Best Practices würde die Übersetzung in heutiges Management-Deutsch lauten. Hierfür organisierte das Gewerbemuseum Ausstellungen sowie Aus- und Weiterbildungskurse für Handwerker und Meister. Weitere Aufgaben wie eine Bibliothek mit Fachliteratur, Beratungsangebote für Handwerksbetriebe und technische Dienstleistungen folgten.

Dieses umfangreiche Portfolio verlangte mehr Platz: Zwischen 1891 und 1897 entstand der Neubau am Gewerbemuseumsplatz. Das vierstöckige Gebäude in den repräsentativen Formen des fränkischen Barock mit dem eindrucksvollen Treppenaufgang zeugt in seiner Pracht von der Bedeutung der Institution Gewerbemuseum. Es wurde 1909 in Bayerische Landesgewerbeanstalt umbenannt (BLGA) und profilierte sich als Experte in allen Fragen der elektrischen Entwicklung. Später kam eine Abteilung für Brauereiwesen hinzu, die den regionalen Brauereien kaufmännische und technische Beratung anbot. 1916 verlieh König Ludwig III. der BLGA die Eigenschaft einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Damit wurde die Übertragung öffentlicher Aufgaben in den Bereichen Prüfung und Beratung quasi offiziell besiegelt.

Auf dem Weg zur Prüfanstalt

Nach dem Ersten Weltkrieg expandierte die BLGA: Das Institut für die „Prüfung von Standfestigkeitsnachweisen für Bauten und statische Berechnungen“ vergrößerte ab 1929 das Aufgabenfeld, 1936 folgte das Institut für Lebensmittel und Biochemie. „Während des Zweiten Weltkriegs lag die Arbeit weitgehend brach“, heißt es in den Annalen der LGA. „Doch sofort nach Kriegsende waren die Dienstleistungen der BLGA (…) im völlig zerstörten Nürnberg wieder sehr gefragt.“ In den 1950er Jahren entwickelte sich die „Prüfung von Ge- und Verbrauchsgütern aller Art“ als neues Geschäftsfeld, wofür die „Quelle“ die Initialzündung gab: Der Versandhändler hatte erkannt, dass ein unabhängiges Prüfsiegel für Qualität und technische Funktion das Vertrauen der Kunden enorm stärkt. Ein Tauchsieder war 1955 das erste Elektrogerät, das die BLGA für die Quelle prüfte. Das war der Start einer unabhängigen Produktprüfung in Deutschland. Bald darauf signalisierte der „Deutsche Hausfrauenbund“ Interesse an einer Kooperation mit der BLGA. 1964 begann eine intensive Zusammenarbeit mit der „Stiftung Warentest“. 1969 wurde der Buchstabe „B“ gestrichen: Aus der Bayerische Landesgewerbeanstalt wurde die Landesgewerbeanstalt Bayern mit der bis heute gebräuchlichen Kurzform „LGA“.

In den 1980er-Jahren machte die Raumnot der LGA zu schaffen: „Die Hauptstelle Nürnberg ist in Gebäuden untergebracht, die zum Teil den Erfordernissen eines reibungslosen Betriebsablaufes nicht mehr gerecht werden“, so seinerzeit die Klage in einer LGA-Broschüre. Abhilfe schaffen sollte der Neubau im Südwesten Nürnbergs. 1986 wurde der Grundstein in der Tillystraße gelegt. Damals hatte die LGA rund 760 Beschäftigte, die einen Umsatz von 60 Mio. DM erzielten. Als 1995 das neue Domizil eingeweiht wurde, schien die LGA auf dem Zenit angekommen: Sie war Deutschlands größter Möbelprüfer und europaweit der größte Spielzeugprüfer. Fast 1 000 Beschäftigte waren in den Bereichen Statik, Geotechnik, Materialprüfung, Umweltschutz, Produkte, Technische Information und Technische Dienste tätig. In Bayern hatte die LGA ein Netz von 21 Zweig- und Nebenstellen gespannt.

Aber dieses Hochglanz-Bild bekam Risse, als eine Verkettung mehrerer Faktoren die LGA in wirtschaftliche Bedrängnis brachte: Nach dem Verständnis der Europäischen Union galten staatliche Subventionen an institutionelle Einrichtungen, die wie die LGA teilweise auf dem freien Markt agierten, als wettbewerbsverzerrend. So überwies der Freistaat Bayern keine Zuschüsse mehr, die bislang an die LGA für die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben geflossen waren, und glich nicht länger die Defizite im LGA-Haushalt aus. Gleichzeitig waren die Kosten für den Neubau höher ausgefallen als geplant, zudem stiegen die Bauzinsen unerwartet an. Außerdem war die Auftragslage rückläufig.

Umbruch in der Konzernstruktur

Vor diesem Hintergrund geriet die LGA immer mehr in finanzielle Schieflage und musste einen Konsolidierungskurs einschlagen. Die Gewerbemuseumssammlung wurde an den Freistaat Bayern verkauft, der sie dem Germanischen Nationalmuseum als Dauerleihgabe überließ. Die Unternehmensstruktur wurde in einem mehrjährigen Prozess umgebaut: Der erste Schritt war die Reform der Satzung hin zum öffentlichen Unternehmen, dann folgten Management-Buyouts und Ausgründungen. 2003 waren die gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen für eine neue Konzernstruktur geschaffen: Einige Geschäftsfelder wurden in eigenständige Gesellschaften überführt, beispielsweise die LGA Bautechnik GmbH, die LGA Quali Test GmbH, die LGA Training & Consulting GmbH und die LGA Fachschulen. Andere Geschäftsfelder blieben in der Körperschaft, darunter die Prüfstatik, die Innovationsberatung und das Materialprüfungsamt. Die Konzernstruktur bestand nun aus zwei Teilen: der Körperschaft mit den öffentlichen Aufgaben und die LGA Beteiligungs GmbH als Zwischenholding, in die das gewerbliche Geschäft ausgegliedert worden war.

Für diese Zwischenholding wurde auf dem freien Markt ein Investor gesucht. Über 20 Investoren signalisierten Interesse. Schließlich verkündete der damalige Wirtschaftsminister Otto Wiesheu das Ergebnis des Bieterwettbewerbs: „Die Entscheidung fiel am 28. Juni 2005 für den optimalen Partner – die TÜV Rheinland Holding.“ Die Investorensuche hatte damit ein Happy End: TÜV Rheinland zählte schon damals zu den größten internationalen Prüfunternehmen. 2005 hatte der Prüfkonzern zunächst 49 Prozent der LGA Beteiligungs GmbH übernommen, seit 2007 gehört die Gesellschaft komplett zur TÜV Rheinland Holding. Diese beschäftigt heute weltweit über 20 000 Mitarbeiter und erzielt einen Jahresumsatz von 1,99 Mrd. Euro.

Neue Herausforderungen

Der Teil der LGA, der als Körperschaft des öffentlichen Rechts weitergeführt wird, hat seinen Hauptsitz nach wie vor in der Tillystraße. In der Nürnberger Zentrale sowie an den mehr als 20 Standorten in Bayern und Niederlassungen in Hannover und Leipzig sind rund 280 Beschäftigte tätig. Als Ingenieurdienstleister hat die LGA ihren Schwerpunkt auf die Prüfstatik gelegt: „Die statische Sicherheit von Gebäuden, Brücken, Fliegenden Bauten und U-Bahn-Tunnels nach dem Vier-Augen-Prinzip zu gewährleisten, ist das Stammgeschäft.“ Ob Elefantenhaus im Münchner Tierpark Hellabrunn, Marienkapelle Würzburg, Schloss Neuschwanstein oder die Nürnberger U-Bahn U3 – die Expertise der LGA-Ingenieure ist bei zahlreichen bedeutenden Bauwerken gefragt.

Zum 150. Geburtstag zieht die LGA nicht nur Bilanz, sondern stellt sich auch aktuellen Herausforderungen, die Thomas Weierganz, Sprecher des Vortandes, so zusammenfasst: „Digitalisierung und neues Personal gewinnen“. In puncto Digitalisierung ist die LGA schon längst aktiv. Ein Beispiel dafür ist das „Bauwerksmonitoring 24/7“: Bauwerke wie Brücken, Hallendächer oder historische Gebäude werden mittels Sensoren fortlaufend messtechnisch überwacht. So verfügen Auftraggeber über ein Frühwarnsystem, um Schäden rechtzeitig zu beheben. Mit solchen Angeboten festigt die LGA ihr Renommee, das in zahlreichen Glückwünschen zum Jubiläum deutlich wurde: „Die LGA hat als Wirtschafts- und Technologieförderer wichtige Impulse gesetzt und gilt heute in zahlreichen Spezialgebieten der Prüfstatik als Referenz“, so das Grußwort von Nürnbergs Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly.

Autor/in: 

aw.

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 09|2019, Seite 66

 
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