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Kundenerlebnisse

Wohin geht die Reise?

Illu_Orig_WiM_1019 © Anton Atzenhofer

Bis ein Kunde ein Produkt kauft, durchläuft er zahlreiche Berührungspunkte mit dem Unternehmen – die sogenannte Kundenreise. Wie sieht diese idealerweise aus?

Modernes Logistikzentrum, größter und neuester IBM-Rechner: So innovativ und kundenzentriert wie das Versandhaus Quelle war, gilt der Online-Versandhändler Amazon heutzutage. Gründer Jeff Bezos hat es offensichtlich geschafft, seinen Kunden in allen Produktsparten ein Einkaufserlebnis zu vermitteln. Alle seine Entscheidungen richten sich auf drei Ziele aus: Erstens den Kunden, zweitens Innovationen und drittens Zukunft. Die Kundenzentrierung ist für Bezos das Ziel mit der höchsten Priorität. Denn wenn man sich nur auf Wettbewerber konzentriere, müsse man darauf warten, dass diese etwas unternehmen. Sei man dagegen auf den Kunden ausgerichtet, könne man eine Vorreiterrolle einnehmen, so der Amazon-Chef. Kundenzentrierte Ideen wie Bestseller-Listen für alle Produkte, der „Prime-Service“, 24-Stunden-Lieferungen, Kundenbewertungen und der „One-Click-Button“ sind höchst kundenrelevante Innovationen, die in vielen Branchen zum Standard geworden sind. Weitere kundenzentrierte Innovationen sind das automatische Bezahlen in Amazon Stores und Bestseller-Listen in Amazon Book Stores.

Etappen der Kundenreise 

Wie lassen sich solche Ideen, die für die Kunden einen enormen Wert darstellen, systematisch ausarbeiten? Eine sehr praxisnahe und einfache Methode ist die Entwicklung einer Kundenreise. Darunter versteht man die Etappen, die ein Kunde durchläuft, bevor er sich für den Kauf eines Produktes entscheidet. Die Kundenreise bezeichnet alle Berührungspunkte (Touchpoints) eines Konsumenten mit einer Marke, einem Produkt oder einer Dienstleistung. Für eine erfolgreiche Kundenreise und damit auch den eigenen Unternehmenserfolg gibt es fünf Schritte.

Damit man sich in den Kunden bestmöglich hineinversetzen kann und das Kundenerlebnis so realistisch wie möglich nachvollziehbar wird, gilt es zuerst einmal, zahlreiche Daten zusammenzutragen. Ein sehr praxisnahes Vorgehen an dieser Stelle ist das Messen des Verhaltens der Nutzer. Auch die direkte Befragung von Kunden oder Interessenten bietet sich an, schließlich können nur so die Gedanken und die Wahrnehmung der Betreffenden reflektiert werden.

Wer seine Produkte an den Mann bringen will, sollte am besten den Einkauf, den Bestellprozess bzw. die gewünschte Kundenreise selbst erleben. Dabei kann man die bereits gesammelten Informationen ergänzen und erlebt emotional die Gefühlswelt des Kunden. Ein Perspektivenwechsel lässt sich einfach vollziehen: Ob der Hotelier selbst in seinen Hotelzimmern schläft, der IT-Dienstleister beim Kundenservice anruft oder der Einzelhandelschef in einer Filiale einen Einkauf tätigt – das Durchleben der eigenen Kundenreise ist besonders wertvoll und erkenntnisreich. Dafür lassen sich auch Testkunden oder Testkäufer bzw. Mitarbeiter einsetzen, die die Kundenreise mitskizzieren und während des ganzen Kundenreiseprojekts hilfreiche Anregungen geben. Die gesammelten Daten bilden dann die Grundlage für das weitere Vorgehen und sollten daher in jeden der nachfolgenden Schritte einfließen. 

Status Quo der Kundenreise festlegen

Amazon-Chef Bezos hat einen weiteren Grund für den Erfolg seines Unternehmens benannt. Man habe sich über Jahre an drei wesentliche Prinzipien gehalten: Den Kunden an die erste Stelle setzen, innovativ sein, geduldig sein. Eine Kundenreise kann branchenübergreifend immer in drei Phasen eingeteilt werden: die Vorkauf-, die Kauf- und die Nachkaufphase. Eine lineare Darstellung ist zu Beginn sicherlich am einfachsten. Die einzelnen Phasen können je nach Branche und Geschäftsmodell spezifiziert werden. Branchenübergreifende Studien lassen den Schluss zu, dass die Unternehmen in der Praxis meist zu viel Wert auf die Vorkaufphase legen und die Kaufphase zu wenig im Blick haben. Insbesondere in gesättigten Märkten spielt die Kundenloyalität eine entscheidende Rolle für den langfristigen Unternehmenserfolg. Denn neue Kunden zu gewinnen wird in vielen Branchen immer aufwendiger und „teurer“. 

In den drei Phasen vor, während und nach dem Kauf gilt es mehrere Aspekte zu definieren. So sollte man die Kundenreise anhand der Aktivitäten beschreiben, die der Kunde unternimmt: Was fühlt er, was denkt er und wie handelt er? Im Anschluss stellt sich die Frage, welche Schritte sich daraus ableiten lassen. Außerdem ist der Status Quo des Gesamterlebnisses pro Schritt auf einer Skala von minus zwei bis plus zwei zu bewerten: Minus zwei bedeutet, das Gesamterlebnis ist aus Kundensicht sehr negativ und plus zwei aus Kundensicht sehr positiv.  Des Weiteren ist zu klären, welche drei Kontaktpunkte die wichtigsten in diesem Schritt sind, ob das Markenversprechen vermittelt wird, ob es Schmerzpunkte („Pain Points“) gibt, z. B. lange Wartezeiten oder Punkte, die der Kunde besonders positiv einstuft, und welche ersten Optimierungsideen bestehen.

Idealtypischen Kunden festlegen

Ein klar definierter Kunde (Persona) für ein neues oder bestehendes Produkt ist die Grundlage einer Kundenreise, da sie auf Kundenerfahrungen basiert. Personas sind Prototypen einer bestimmten Nutzergruppe, die nach Verhaltensmustern, Motiven, Gefühlen, Einstellungen und Lebensgewohnheiten eingeteilt werden. Man sollte ein möglichst konkretes Bild vom idealen Kunden zeichnen, in dem Alter, Lebensumstände, Beruf, Familienstand, persönliche Werte und der potenzielle Mehrwert durch das Produkt oder die Dienstleistung berücksichtigt werden. Am besten fügt man der fiktiven Persona noch ein Bild hinzu und gibt ihr einen Namen, sodass sie möglichst real und nahbar wird.

Zukunftskundenreise erschaffen

Im Anschluss bietet es sich an, die Schritte der Kundenreise mithilfe eines Storyboards, also eines Szenenbuchs, zu verbildlichen. Die zukünftige Kundenreise sollte basierend auf den Erkenntnissen des Status Quo und der Persona erfolgen. Um weitere Ideen zu entwickeln, haben sich folgende fünf Fragen als sehr hilfreich erwiesen: Welche Ideen aus anderen Branchen kann die Marke aufgreifen, um diese für die eigene Kundenreise zu nutzen? Wie agieren vorbildliche Wettbewerber aus der gleichen Branche und was kann man daraus hinsichtlich der Marke auf die Kundenreise übertragen? Welche Erwartungen haben die anspruchsvollsten Kunden an die Kundenreise? Gibt es bei der Kundenreise funktionale und emotionale Aspekte und wie kann vor allem der emotionale Aspekt verstärkt werden? Welchen nachhaltigen Trends ist die Marke unterworfen und wie lässt sich daraus der Wert der Kundenreise erhöhen?

Wichtig bei den Ideen und der zukünftigen Weiterentwicklung ist ein kanalübergreifendes Denken. Der Vergleich von einzelnen Kanälen ist hier wertvoll. Kaufen mehr Interessenten, die sich online informiert haben, oder solche, die eine persönliche Beratung in Anspruch genommen haben? Diese Beurteilung sollte unbedingt ein Ansatzpunkt für die Verbesserung des Kundenerlebnisses in Kanälen mit einer weniger guten Performance sein.

Darüber hinaus gilt es, vor allem solche Schritte bzw. Kontaktpunkte, die negative Emotionen bei den Kunden hervorrufen, zu entfernen bzw. so zu modifizieren, dass sie keine negativen Gefühle mehr auslösen. Das könnte zum Beispiel ein sehr umständlicher Bezahlprozess sein. Der (erneute) Kauf oder der Übergang am Ende der Kundenreise sollte im Mittelpunkt stehen und positive Emotionen auslösen, beispielweise eine Auftragsbestätigung, in der man dem Kunden zu seinem Kauf gratuliert und sich erkundigt, ob er mit dem Bestellvorgang zufrieden war.

Sobald alle Stationen der neuen Kundenreise eingerichtet sind, sollte man diese unbedingt selbst durchlaufen und reflektieren. Dabei sollte man sich in die Persona des skizzierten Kunden versetzen, kritisch reflektieren, ob sich die entworfenen Schritte mit der eigenen Erfahrung decken, und nicht zuletzt permanent und hartnäckig weitermessen und vor allem testen. Am einfachsten lässt sich das Kundenerlebnis mit einer Weiterempfehlungsfrage messen, bei der man auf einer Skala von null bis zehn angibt, ob man das Unternehmen weiterempfehlen würde.

Christoph Hack ist Gründer und Geschäftsführer der Brandification GmbH, einem Softwareunternehmen für das Brand Management mit Sitz in Nürnberg (www.brandification.io).

Autor/in: 

Christoph Hack

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 10|2019, Seite 30

 
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