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Wissenschaft

Forscher gegen das Virus

UK_PK_DZI_Covid_Michael Rabenstein_Uni-Klinikum Erlangen © Michael Rabenstein/Uni-Klinikum Erlangen

Blutplasma von genesenen Corona-Patienten könnte Erkrankten helfen.Prof. Dr. Holger Hackstein mit einem Blutspender.

Zahlreiche Hochschulen und Forschungsinstitute der Region leisten wichtige Beiträge zur Bekämpfung des Corona-Virus.

Die Corona-Pandemie sorgt in den Hochschulen und Forschungsinstituten für zahlreiche neue und beschleunigte Aktivitäten. Einmal mehr stellt die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) ihre Innovationskraft mit einer Vielzahl an Forschungsprojekten im Kampf gegen das Virus Sars-CoV-2 unter Beweis. Beispielsweise haben Werkstoffwissenschaftler des Lehrstuhls für Polymerwerkstoffe (LSP) ein einfaches Konzept zur Produktion von Schutzmasken aus sogenanntem Meltblown-Vlies entwickelt. Die am LSP konstruierte – nicht zertifizierte – Maske hat anders als herkömmliche FFP2-Masken kein Ventil zum Ausatmen, sodass die Träger die Umwelt nicht durch die ungefiltert ausgeatmete Luft kontaminieren. Das LSP-Team hat sein Maskenherstellungsverfahren auf kommerzielles Vlies angepasst und in zwei Tagen über 2 000 passgenaue Masken für die Uni-Klinik gefertigt.

Der Bedarf an Schutzbrillen des Fachpersonals der Uni-Klinik wird durch den Lehrstuhl für Kunststofftechnik gedeckt. Nach Prüfung durch den Lehrstuhl für Mikrobiologie und Infektionsimmunologie begann die Serienproduktion von Schutzbrillen und -visieren in Kooperation mit der Neue Materialien Fürth GmbH und dem Bayerischen Polymerinstitut.

Eine Art mikroskopische Videoüberwachung könnte helfen, dem Corona-Virus beizukommen: Forscher des Max-Planck-Instituts für die Physik des Lichts in Erlangen und des FAU-Lehrstuhls für Experimentalphysik möchten live verfolgen, wie Zellen durch Sars-CoV-2 infiziert werden. Zu diesem Zweck installieren sie in einem virologischen Hochsicherheitslabor ein besonders leistungsfähiges Mikroskop. Es ermöglicht den Erlanger Wissenschaftlern, die Interaktion von lebenden Viren und Zellen über einen längeren Zeitraum mit hoher Zeit- und Ortsauflösung zu beobachten. Ziel der Kooperation ist es, Therapien gegen die Covid-19-Erkrankung zu entwickeln.

Medikamente, die gegen Autoimmunerkrankungen eingesetzt werden, sogenannte Zytokin-Hemmer, können auch Covid-19-Infektionen hemmen, bevor die Viren sich im Körper ausbreiten. Das hat eine Studie des Lehrstuhls für Innere Medizin III, des Lehrstuhls für Haut- und Geschlechtskrankheiten und des Lehrstuhls für Innere Medizin I gezeigt.

Außerdem sind Forscher der FAU und des Uni-Klinikums einem passiven Impfstoff gegen Covid-19 auf der Spur. Ziel ist es, spezielle Antikörper zu entwickeln, mit denen zum Beispiel medizinisches Personal, Betreuer in Alten- und Pflegeheimen sowie Hochrisikopatienten geschützt werden können. Außerdem könnten sich solche Antikörper eignen, schwer an einer Covid-19-Infektion erkrankte Patienten zu therapieren. Die besten identifizierten Antikörper werden nun vom Virologischen Institut weiter getestet. Dann soll im Tierversuch am Deutschen Primatenzentrum in Göttingen weiter geforscht werden. Mit ersten klinischen Studien an menschlichen Patienten ist frühestens zum Jahreswechsel zu rechnen.

Einen weiteren medizinischen Ansatz verfolgt die Transfusionsmedizinische und Hämostaseologische Abteilung des Universitätsklinikums. Als eine der ersten Einrichtungen in Deutschland hat sie die behördliche Erlaubnis zur Herstellung von therapeutischem Plasma erhalten, das zur Behandlung von schwer erkrankten Covid-19-Patienten genutzt werden kann. Aktuelle wissenschaftliche Daten weisen darauf hin, dass durch Blutplasma ehemaliger Corona-Patienten eine deutliche Abschwächung der lebensbedrohlichen Krankheitsverläufe möglich ist. Vor Kurzem übergab die Manfred-Roth-Stiftung eine Spende über 40 000 Euro, um das Forschungsprojekt zu unterstützen.

Ein Team aus Forschern des Universitätsklinikums Erlangen und des Universitätsklinikums Regensburg hat eine neue Studie zu Covid-19-Infektionen gestartet: Im Landkreis Tirschenreuth, der überdurchschnittlich viele Infizierte aufwies, soll mit einer zufälligen Stichprobenanalyse ermittelt werden, wie viele Menschen sich dort tatsächlich mit dem Virus infiziert haben. Dies geschieht, indem die Teilnehmer daraufhin untersucht werden, ob sie virusspezifische Antikörper gebildet haben. Die Wissenschaftler vermuten, dass die Zahl an Infizierten deutlich über derjenigen liegt, die durch den klassischen Virusnachweis ermittelt wurde. Die Summe der tatsächlich Infizierten kann Aufschluss über die Immunität in der Bevölkerung geben, was wiederum Rückschlüsse auf die Ausbreitungsdynamik zulässt.

Der Lehrstuhl für Aroma- und Geruchsforschung sowie eine Neurowissenschaftlerin beteiligen sich an einer breit angelegten Online-Studie des Global Consortium for Chemosensory Research (GCCR). Es soll erfasst werden, wie Covid-19-Patienten den Verlust von Geruch und Geschmack sowie die Veränderung des sensitiven Empfindens im Mund während der Erkrankung erleben.

Die FAU reagiert weit über die medizinnahe Forschung hinaus auf die Corona-Pandemie. So wurden am Lehrstuhl Informatik 7 (Rechnernetze und Kommunikationssysteme) zwei Simulationsmodelle entwickelt, mit denen der Verlauf der Covid-19-Pandemie nachgebildet werden kann. Auf diese Weise soll auch untersucht werden, wie sich die Pandemie entwickelt, wenn die einschränkenden Maßnahmen nach und nach gelockert werden. Das erste Modell nutzt im Wesentlichen Kenngrößen wie Basisreproduktionszahl, Inkubationszeit und Schweregrad des Krankheitsverlaufs. Das zweite sogenannte Agentenmodell simuliert beispielsweise, an welchen Orten sich bestimmte Personengruppen treffen und infizieren können, etwa in der Familie, bei Freizeitaktivitäten, im Arbeitsumfeld oder beim Krankenhausaufenthalt.

Der Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik, insbesondere Digitalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft erforscht die positiven und negativen Aspekte von Telearbeit und virtuellen Teams, um Rückschlüsse für die erfolgreiche Gestaltung solcher Arbeitsmodelle treffen zu können. Zudem untersucht dieser Stiftungslehrstuhl die Akzeptanz von digitalen Technologien im Gesundheitssektor. Durch die Pandemie haben u. a. ChatBots, Apps und andere Technologien einen deutlichen Schub erhalten. Im Fokus stehen unterschiedliche Anwendungsszenarien aus dem Gesundheitswesen, Diagnose von Krankheiten, Unterstützung bei der Therapie oder auch Verhaltenssteuerung in der Vorsorge. Durch das Projekt soll besser verstanden werden, welche Faktoren die Nutzung von digitalen Technologien hemmen können und wie sie optimal bei Gesundheitsdienstleistungen eingesetzt werden.

Bei den Betriebswirten an der Wiso-Fakultät untersucht der Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing die Stimmung der Deutschen während der Corona-Krise im Privat- und Berufsleben. Für das Corona-Stimmungsbarometer wird während des kompletten Zeitraums der Pandemie kontinuierlich eine Gruppe von Personen befragt, die repräsentativ für die Bevölkerung ist. Parallel erarbeitet der Lehrstuhl nach der gleichen Methode ein Corona-Politikbarometer, das die Meinung der Deutschen zur Politik sowie zu Entscheidungen und Entscheidungsträgern in den Mittelpunkt stellt.

Unter Federführung des Lehrstuhls für Pädagogische Psychologie und Exzellenzforschung sollen durch Online-Befragungen bei Studenten Erkenntnisse gewonnen werden, wie die Umstellung auf digitale Lehrformate vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie gelingen kann. Das "FAU-E-Learning-Monitoring 2020" setzt inhaltliche Schwerpunkte auf das Lernverhalten sowie auf gesellschaftliche und emotionale Faktoren.

Unter der Überschrift "ConKids" untersucht der Lehrstuhl für Pädagogik mit dem Schwerpunkt Medienpädagogik die Konsequenzen einer sich wandelnden Medienumgebung für die Sozialisation von Kindern. Auf diese Weise sollen Herausforderungen und Chancen von Homeschooling sowie die Bedeutung digitaler Medien bei der Bewältigung des Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen wissenschaftlich eingeordnet werden.

Mit der räumlichen Verteilung von Covid-19-Infizierten in Deutschland beschäftigen sich die FAU-Arbeitsgemeinschaft Digitale Gesundheitsgeographien und die kanadische Ryerson University. Unterstützt durch Künstliche Intelligenz soll untersucht werden, ob es Zusammenhänge gibt zwischen dieser räumlichen Verteilung und den räumlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen in den entsprechenden Regionen. Im Zuge der Studie „Corona und Alter“ untersucht der Lehrstuhl für Psychogerontologie die persönlichen Erfahrungen, Einstellungen, Sorgen und Verhaltensweisen sowie der Auswirkungen der Pandemie auf das Alternserleben und das Altersbild. Der Lehrstuhl für Soziologie mit dem Schwerpunkt Technik – Arbeit – Gesellschaft analysiert quantitativ die (Risiko-)Situation von Beschäftigten in kritischen Infrastrukturen. Und der Lehrstuhl für Psychologie, insbes. Wirtschafts- und Sozialpsychologie möchte von Medizinstudenten wissen, inwiefern sie sich während der Corona-Pandemie als Helfer zur Verfügung stellten und was ihre Gründe für den Einsatz bzw. für die Ablehnung eines Einsatzes waren. Außerdem wird gefragt, ob sich durch die Pandemie Arbeitsweisen etabliert haben, die weitergeführt werden sollten.

Die Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm unterstützt das Klinikum Nürnberg mit einem Gesichtsschutz (sogenannte Face Shields) aus dem 3D-Drucker. Insgesamt 1 000 Gesichtsvisiere liefert die Hochschule an das Klinikum, zusätzlich 100 Stück an das Bayerische Rote Kreuz in Nürnberg. Für die Herstellung im Schichtbetrieb ist ein Netzwerk aus über 20 Druckern in acht TH-Fakultäten im Einsatz. Das Institut für Chemie, Material- und Produktentwicklung (Ohm-CMP) der TH Nürnberg organisiert die Produktion und hat auch kurzfristig das Design an die klinischen Bedürfnisse angepasst. Das Leonardo Zentrum für Kreativität und Innovation, ein Kooperationsprojekt der TH Nürnberg mit der Hochschule für Musik und der Akademie der Bildenden Künste, übernimmt die Koordination und Materialbeschaffung und wird dabei vom Bundesforschungsministerium unterstützt.

Die Nürnberger Fraunhofer-Arbeitsgruppe SCS hat im Schatten der Pandemie sowohl vorhandene Aktivitäten beschleunigt bzw. angepasst als auch neue Projekte in Angriff genommen. Zu den neuen Projekten gehört die Entwicklung des Digitalen Corona-Checks ("DiCoCheck"): Mit dem kostengünstigen System soll in häuslicher Umgebung und an öffentlichen Orten schnell geprüft werden, wie hoch das Risiko einer Corona-Infektion ist. Durch eine schnelle Risikoanalyse soll die Sicherheit der Nutzer und Dritter an Orten mit hohem Menschenaufkommen erhöht werden. Das gilt etwa bei der Arbeit, in Einzelhandel und Kindertagesstätten, aber auch für Orte mit besonderen Risikogruppen wie Pflegeeinrichtungen.

Außerdem tüftelt das Fraunhofer SCS an einer prototypischen Anwendung unter der Überschrift "Fair and Fast Allocation of Scarce Protection Equipment" (Face). Ziel ist es, durch Analysetools und mathematische Optimierung kleinteilige Beschaffungs- und Verteilprozesse transparent und effizient zu machen. Im Fokus stehen die 90 Kreisverwaltungsbehörden in Bayern, die derzeit kritische Schutzausrüstungen wie Desinfektionsmittel, Masken, Schutzkleidung und Beatmungsgeräte zentralisiert beschaffen oder von Bund und Freistaat zugeteilt bekommen. Dennoch kam es während der Pandemie zu Versorgungsengpässen für die dringend benötigten Produkte. "Face" soll nach verschiedenen Kriterien einen automatisierten Vorschlag machen, wie die knappen Ressourcen zeitsparend und optimal an Krankenhäuser, Pflegeheime, Altenheime, mobile Pflegedienste und niedergelassene Ärzte verteilt werden.

Zu den Projekten, die die Fraunhofer-Arbeitsgruppe im Zug der Pandemie beschleunigt, gehört das Forschungsfeld zur besseren Versorgung im ländlichen Raum. Ein begehbarer Supermarkt in einem Lkw ist als mobiler Dorfladen unterwegs für die oberpfälzische Steinwald-Allianz, um 4 000 Bürger an 33 Stationen mit Produkten von 20 regionalen Erzeugern zu versorgen. Gerade in Corona-Zeiten mit gestörten Lieferketten an den Grenzen hat diese Art der Nahversorgung deutlich an Bedeutung gewonnen. Das Angebot wird jetzt weiter ausgebaut, außerdem wird verstärkt an kontaktlosen Lieferungen gearbeitet.

Weitere Projekte in diesem Kontext sind die Plattformlösung für die digitale medizinisch-pflegerische Versorgung und assistiertes Wohnen ("Digi-Ort") und die Nachbarschaftshilfe 2.0 ("Insel pro"). Fraunhofer SCS plant ein gegenseitiges Dienstleistungskonzept Nachbarschaftshilfe, um beispielsweise bei Kinderbetreuung oder im Krankheitsfall statt auf professionelle Hilfe auf Menschen in der näheren Umgebung zurückgreifen zu können.

Autor/in: 

tt.

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 07|2020, Seite 18

 
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