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Nutzfahrzeuge

Wasserstoff marsch!

Wasserstoff LKW und Zapfsäule © audioundwerbung-1224556028 | gettyimages

Lastwagen mit Wasserstoff antreiben? Ein Webinar zeigte Potenziale und technische Herausforderungen auf.

Zu Wasser und zu Lande gehen die Niederlande beim Einsatz von Wasserstoff im Schwerlastverkehr voran. In Pilotprojekten werden Wasserstoffantriebe für Binnen- und Hochseeschiffe getestet. Auf der Straße sollen bis 2025 rund 1 000 Lkw unterwegs sein, die mit H2 angetrieben werden. Gerard Koning, Experte für nachhaltige Mobilität beim Verband der niederländischen Fahrrad- und Autoindustrie RAI, erläuterte beim Webinar "Wasserstoff-Nutzfahrzeuge" der IHKs Nürnberg und Bayreuth die ehrgeizigen Pläne von Regierung und Wirtschaft.

Das dicht besiedelte Land ist laut Koning – nicht zuletzt wegen des Hafens Rotterdam – der Start- und Zielpunkt vieler europäischer Logistik-Verbindungen. Deshalb wird derzeit entlang der Hauptverkehrswege eine Wasserstoff-Infrastruktur aufgebaut – und zwar nicht nur für Pkw, sondern auch für Lkw. Die Planungen der Niederländer gehen dabei über das eigene Land hinaus, denn eine zentrale Rolle in dem Konzept spielt das Dreieck zwischen den Häfen Rotterdam, Antwerpen und Duisburg: Mit Partnern in Belgien und Deutschland sollen entlang der Autobahnen Wasserstoff-Tankstellen entstehen, an denen die Fahrer ihre Lastwagen schnell betanken können. Wenn dort eine verlässliche Versorgung mit Wasserstoff sichergestellt sei, könnten diese Wasserstoff-Korridore entlang weiterer transeuropäischer Verkehrswege fortgeführt werden, wie Koning ausführte. Der Industrieverband RAI arbeite darüber hinaus mit Politik, Unternehmen und Wissenschaft an zahlreichen anderen Einsatzgebieten der Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Technologie in Verkehr und Logistik (u. a. Busse, Müllwagen, Baustellen- und Minenfahrzeuge, Rennautos und Fahrräder).

Treibhausgas-Emissionen senken

Der Schwerlastverkehr bietet ein großes Potenzial für den Klimaschutz, unterstrich Dr. Boris Zimmermann, Logistik-Professor an der Hochschule Fulda und vormals Geschäftsführer des Speditionsunternehmens Zimmermann in Bad Windsheim. Die Treibhausgas-Emissionen durch den Schwerlastverkehr seien im letzten Vierteljahrhundert um etwa ein Viertel gestiegen. Weltweit würden rund 20 Prozent der CO2-Emissionen durch den Straßentransport verursacht. Doch der Weg hin zu klimaschonenden alternativen Antrieben in der Logistik sei noch weit, warnte Zimmermann mit Verweis auf die Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA): Rund 3,1 Mio. Nutzfahrzeuge sind in Deutschland registriert, darunter nur knapp 18 000 mit Elektroantrieb sowie nur 15 000 mit Flüssiggas (LPG) und 14 000 mit Erdgas (CNG) betriebene Fahrzeuge. Fast alle diese Fahrzeuge haben eine Nutzlast von weniger als einer Tonne, im Schwerlastverkehr spielen alternative Antriebe aktuell so gut wie keine Rolle.

Zielkonflikte bei alternativen Antrieben

Zimmermann kennt aus eigener Erfahrung die Chancen der alternativen Antriebstechnologien, aber auch die Hürden, die einen Durchbruch in der Logistik bisher verhindert haben. So hat er an der Hochschule Fulda schon eine Reihe von Projekten begleitet, in denen die Alltagstauglichkeit verschiedener Konzepte getestet wurde. In diesem Jahr startet in Osthessen ein weiteres Projekt, bei dem der Einsatz von Brennstoffzellen-Fahrzeugen im Wirtschaftsverkehr untersucht wird. Beim IHK-Webinar erläuterte er die Zielkonflikte, mit denen sich Transportunternehmer auseinandersetzen müssen, wenn sie ihren Fuhrpark nachhaltiger aufstellen wollen. Einige Beispiele: Eine größere Batterie erhöht zwar die Reichweite, bringt aber höhere Kosten und eine geringere Nutzlast mit sich. Und je schwerer der Lkw, desto geringer die Reichweite. Die Kalkulation ist auch davon abhängig, wo der Lkw hauptsächlich bewegt wird: meist im Flachland, wo Verbrauch und Reichweiten besser planbar sind, oder öfter auf bergigen Strecken? Außerdem spielt eine Rolle, ob die Fahrzeuge in Regionen mit unterschiedlichen Klimabedingungen bewegt werden, denn Kälte und Wärme beeinflussen ebenfalls den Verbrauch und die Reichweite von E-Fahrzeugen. Weitere wichtige Punkte: Wie sieht es mit der Ladeinfrastruktur für die verschiedenen Energieträger entlang der Verkehrswege, aber auch in den eigenen Niederlassungen und an den Laderampen bei den Kunden aus? Wie werden die Kosten abgerechnet, wenn bei den Logistikpartnern getankt bzw. die Batterie aufgeladen wird?

Mit dem Vergleich zwischen Elektro- und Wasserstoff-Lkw machte Zimmermann deutlich, wie komplex die Analyse ist. Da ist einmal die Kostenseite: So koste eine Dieseltankstelle rund 100 000 Euro, eine Elektroladestation mit 90 Kilowatt Leistung rund 350 000 Euro und eine Wasserstofftankstelle etwa eine Mio. Euro. Den Anschaffungspreis für einen E-Lastwagen mit 18 Tonnen veranschlagt Zimmermann mit rund 250 000 Euro, ein 18-Tonner mit Wasserstoffantrieb koste derzeit noch zwischen 1,5 und drei Mio. Euro. Auch bei den Verbrauchskosten schlage der E-Lastwagen den Wasserstoff-Lkw noch deutlich (0,16 Euro gegenüber 0,6 Euro je Kilometer). Aber die Kosten sind nicht alles: Bei der Reichweite liegt ein Wasserstoff-Lkw deutlich vorne (bis zu 400 Kilometer, beim Elektro-Lkw nur etwa die Hälfte). Auch bei der Tankzeit kann Wasserstoff klar punkten (zehn Minuten gegenüber zehn Stunden). Hinzu kommt, dass viele E-Ladestationen an den Autobahnen nicht für Lkw geeignet sind, das Netz an Wasserstofftankstellen aber stetig wächst.

Logistik-Experte Zimmermann wagte beim IHK-Webinar folgende Prognosen: Der Gesetzgeber habe die Weichen in Richtung Klimaschutz auch im Schwerlastverkehr gesetzt. Die Hersteller seien deshalb gezwungen, alle Potenziale bei den konventionellen Dieselantrieben auszuschöpfen und gleichzeitig die Entwicklung alternativer Antriebe voranzutreiben. Der Elektroantrieb sei derzeit allerdings keine Alternative für die Logistikbranche. Der Wasserstoff stehe zwar erst am Anfang, könnte aber zu einem ernsthaften Konkurrenten für die anderen Antriebe heranwachsen. Den rund 100 Teilnehmern an dem IHK-Webinar machte der Hochschulprofessor jedoch keine Hoffnung auf schnelle Erfolge: "Die Forschung wird noch viel Zeit und Geld kosten."

Ein wichtiger Akteur in der Wasserstoff-Forschung ist die Hydrogenious LOHC Technologies GmbH in Erlangen, die als Ausgründung der Universität Erlangen-Nürnberg entstanden war und im Jahr 2017 mit dem IHK-Gründerpreis ausgezeichnet wurde. Das junge Unternehmen konzentriert sich mit heute bereits über 100 Mitarbeitern auf Technologien, um Wasserstoff sicher speichern und über weite Strecken transportieren zu können, wie Vertriebsleiter Dr. Marcus Guzmann erläuterte. Der sichere Umgang mit Wasserstoff sei seit jeher eine große Herausforderung. Sehr hoher Druck oder aber extrem niedrige Temperaturen seien nötig, um eine ausreichende Speicherdichte zu gewährleisten.

Wasserstoff sicher transportieren

Hier schaffe die Technologie "Liquid Organic Hydrogen Carrier" (LOHC) Abhilfe, indem der Wasserstoff in einem Öl auf Toluol-Basis chemisch gespeichert wird. Die daraus entstehende Flüssigkeit ist ungiftig, schwer entflammbar und nicht explosiv – und damit auch kein Gefahrgut. Der Wasserstoff ist in der Trägersubstanz gebunden und kann in den von Hydrogenious entwickelten Anlagen mit chemischen Prozessen und einem Katalysator wieder freigesetzt werden. Der Tankvorgang dauert in etwa genauso lange wie bei herkömmlichen Kraftstoffen. Auch für den Transport hat LOHC Vorteile: Nach Worten Guzmanns zeichnet sich die Technologie durch eine hohe Speicherdichte und Sicherheit aus, sodass die Kosten deutlich niedriger seien als beim verdichteten Wasserstoff. Außerdem könnte für den Transport die bestehende Infrastruktur (Lkw, Schiff, Bahn-Kesselwagen usw.) genutzt werden.

Zudem könnten aus einem großen Vorratstank unterschiedliche Fahrzeugtypen wie Pkw, Lkw oder Züge betankt werden. Auf dem eigenen Firmengelände in Erlangen errichtet Hydrogenious gerade eine Photovoltaik-Anlage, um "grünen" Wasserstoff zu erzeugen. Weitere Projekte, die u. a. mit Forschungspartnern wie dem Erlanger Helmholtz-Institut durchgeführt werden, beziehen sich auf den Einsatz von Wasserstoff in Schiffen und Zügen. Mit seinen Entwicklungen will Hydrogenious nach Aussage Guzmanns wichtige Beiträge leisten für eine globale Wasserstoff-Infrastruktur. Bei dem IHK-Webinar wagte Guzmann eine Prognose, in welcher Reihenfolge Wasserstoffantriebe im Bereich Mobilität großflächig zum Einsatz kommen könnten: zunächst in Schiffen, dann in Zügen und Lkw und schließlich möglicherweise auch in Pkw.

Autor/in: 

(bec.)

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 02|2021, Seite 26

 
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