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Brexit

Auf der Insel gestrandet?

Brexit Großbritannien EU © oversnap/GettyImages.de

Erfahrungsberichte aus Mittelfranken: So läuft der Handel mit dem Vereinigten Königreich nach dem Brexit.

Seit den 1970er Jahren war das Vereinigte Königreich Mitglied in der Europäischen Union (EU). Bei dem Referendum im Jahr 2016 entschieden sich knapp 52 Prozent der Briten für einen Austritt aus der EU. Nach langwierigen Verhandlungen und mehrmaliger Verschiebung des Austritts trat Großbritannien Ende letzten Jahres aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion aus. Seit 1. Januar 2021 gilt vorläufig ein zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich ausgehandeltes Handels- und Kooperationsabkommen (TCA), der sogenannte Brexit-Handelspakt. Ende April stimmte das Europa-Parlament dem Vertragswerk endgültig zu.

Mit dem Brexit hat die EU nicht nur ein politisches Schwergewicht verloren, auch der deutsche Außenhandel mit den Briten war im Schatten der Brexit-Diskussion rückläufig. Im Jahr 2019 war Deutschland noch der größte Lieferant des Landes mit einem Anteil von über zwölf Prozent an den britischen Einfuhren gewesen. Unter den Abnehmerländern lag Deutschland nach den USA auf Platz 2 mit rund zehn Prozent der britischen Exporte. Im Jahr 2020 ging es mit dem deutsch-britischen Warenaustausch deutlich nach unten: Die deutschen Exporte auf die Insel brachen um 15 Prozent auf knapp 67 Mrd. Euro ein, die Importe von dort sanken um sechs Prozent auf 38 Mrd. Euro. Allerdings trug dazu sicher auch die Corona-Pandemie bei, sodass sich die Brexit-Folgen nicht klar feststellen lassen.

Auch die Außenhandelszahlen des Monats Januar 2021 können deshalb nur eine Momentaufnahme sein, werfen aber dennoch ein ernüchterndes Schlaglicht auf den deutsch-britischen Handel: Während die gesamten deutschen Exporte im Vergleich zum Vorjahresmonat um "nur" acht Prozent zurückgingen, brach der Export nach Großbritannien um 29 Prozent ein. Schlimmer noch das Ergebnis bei den Einfuhren: Die Importe nach Deutschland sanken insgesamt um zehn Prozent, die Importe nach Deutschland aus UK um 56 Prozent.

Dies dürfte auch die mittelfränkische Wirtschaft mit ihrer starken Außenhandelsorientierung stark treffen. Denn rund 822 Unternehmen aus der Region unterhalten Geschäftsbeziehungen mit Partnern im Vereinigten Königreich, rund 120 von ihnen sind dort langfristig mit Produktionsstätten, Niederlassungen oder Repräsentanzen engagiert. Die hiesigen Unternehmen hätten sich – soweit dies angesichts des lange Zeit unklaren Verhandlungsausgangs möglich war – frühzeitig auf den Brexit vorbereitet, konstatiert Ariti Seth, Außenwirtschaftsexpertin der IHK Nürnberg für Mittelfranken. Sie verweist dabei auf die Vielzahl von Anfragen bei der IHK und die gut besuchten IHK-Webinare. Zahlreiche Unternehmen beklagten allerdings Defizite bei der Vorbereitung auf britischer Seite: Dort werde das kurz vor Jahresfrist ausverhandelte TCA-Vertragswerk häufig mit einem Freihandelsabkommen verwechselt. Dies habe dazu geführt, dass die anstehenden Veränderungen im Handel mit der EU häufig auf die leichte Schulter genommen worden seien.

Für die Unternehmen brachte der Brexit auf jeden Fall zahlreiche Unwägbarkeiten mit sich, auf die sie sich nur ansatzweise vorbereiten konnten. Die Tatsache, dass das Vereinigte Königreich nun im Verhältnis zu den EU-Staaten als Drittland gilt, erzeuge einen höheren Bürokratie- und Zeitaufwand, so die Klage zahlreicher Unternehmen gegenüber der IHK. Denn nun müssen alle Waren zollrechtlich abgefertigt werden, was insbesondere zu Jahresbeginn den Versand selbst von kleineren Päckchen empfindlich gestört hat. Eine Hilfe ist, dass der deutsche Zoll seine Datenbank "Warenursprung und Präferenzen" aktualisiert hat, sodass sich die Unternehmen vor dem Warenversand über die aktuellen Regelungen informieren und den sogenannten Präferenzursprung ermitteln und nachweisen können.

Auswirkungen auf Irland-Geschäft

Komplexer ist auch der Handel mit dem EU-Mitglied Irland geworden. Auf der klassischen Route von Deutschland durch das Vereinigte Königreich nach Irland werden beispielsweise Kfz-Bauteile einmal aus der EU aus- und dann wieder in die EU eingeführt – immer mit dem kompletten zollrechtlichen Programm. Für das britische Nordirland sieht das Protokoll zu Nordirland einen Sonderstatus für den Warenverkehr vor. Zwar bleibt Nordirland Teil des britischen Zollgebiets, zollrechtlich wird es aber so behandelt, als ob es noch zur EU gehören würde.

Auch der Austausch von bestimmten Waren ist komplizierter geworden. Anfang April haben die Briten beispielsweise die Anforderungen für den Handel von tierischen Produkten mit der EU verschärft. Seth verweist auch auf Änderungen beim Handel mit Arzneimitteln und bei der Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen in Großbritannien. Sie geht jedoch aktuell davon aus, dass sich bis zur Jahresmitte vieles in der täglichen Praxis einpendeln werde.

Entsendung von Mitarbeitern stark begrenzt

Neue Hürden gibt es auch bei der Entsendung von Mitarbeitern, wie Ariti Seth berichtet. Für entsendete Bauarbeiter sind viele kleine Details geändert worden, die in Summe die "Anforderungen extrem hoch" schrauben. Messeaktivitäten und Meetings sind weiterhin gut möglich, auch exportierende Maschinenbauer können ihre Anlagen durch eigene Techniker bei den Kunden auf der Insel in Betrieb nehmen. Aber für andere Formen der Mitarbeiterentsendung (z. B. für Dienstleistungen wie Bau- und Montagearbeiten) gibt es jetzt starke Einschränkungen: Die Einreise von EU-Staatsangehörigen zwecks Erbringung von Dienstleistungen oder freiberuflichen Tätigkeiten ist laut dem TCA nur noch unter engen Voraussetzungen möglich. Nur Branchen, die ausdrücklich im Anhang des Handelsabkommens aufgeführt sind, können Dienstleitungen in Großbritannien erbringen. Dem Anhang sind auch die Beschränkungen für zugelassene Dienstleistungen wie z. B. Bau- und Ingenieurdienstleistungen zu entnehmen. Hier sollen in den nächsten Monaten weitere Klarstellungen erfolgen. Klar ist aber bereits: Die Mitarbeiter benötigen eine vorherige Genehmigung, deren Erteilung keineswegs garantiert ist. Nicht erteilt wird sie beispielsweise für Leiharbeiter oder wenn die Bezahlung der Dienstleister in Großbritannien erfolgen soll. Außerdem gibt es strenge Regelungen, was die geforderten Qualifikationen der Dienstleister betrifft.

Die Aussagen mittelfränkischer Betriebe fallen mit Blick auf das Großbritannien-Geschäft aktuell durchaus unterschiedlich aus. So ist Großbritannien für die Fürther Bruder Spielwaren GmbH + Co. KG ein wichtiger Absatzmarkt, die Ausfuhr von Spielzeugautos dorthin hat sich in den letzten Jahren relativ gleichbleibend entwickelt. "Seit 2020 ist die Situation schon etwas schwieriger geworden", erklärt Geschäftsführer Paul Heinz Bruder. Man könne derzeit aber noch nicht beurteilen, inwiefern das auf den Brexit oder die Corona-Pandemie zurückzuführen ist. Zwar profitiert der Spielzeughersteller von seinen langjährigen Erfahrungen als Exporteur, dennoch verursache beispielsweise die Umstellung der Warenkennzeichnung von der bisherigen CE-Konformität auf die UKCA-Kennzeichnung einen erheblichen personellen und finanziellen Zusatzaufwand. Unklar sei auch die Frage, ob sich die Briten künftig stärker an EU-Normen oder an eigenen Standards orientieren werden bzw. ob die künftigen Standards noch EU-konform sein werden.

Auch die Fath GmbH aus Spalt beklagt die mit dem Brexit gewachsene Bürokratie. Die Unternehmensgruppe mit ihren 360 Mitarbeitern ist auf Entwicklung, Herstellung und Vertrieb von Systemkomponenten etwa für Maschinenbau, industriellen Gehäusebau und Betriebsmittelbau spezialisiert. Unter den sieben Auslandsstandorten findet sich auch einer im Vereinigten Königreich. Dieser Standort laufe zwar trotz der zurückhaltenden Stimmung in UK gut, aber man müsse teils "Purzelbäume" schlagen, um Waren zuzuliefern, berichtet Geschäftsführer Wido Fath. Die Belieferung per Streckengeschäft hat im Schatten der neuen Brexit-Formalitäten eine weitere Folge: Weil Lkw nur mit Verzögerungen von der Insel kommen, fehlen am Markt die üblichen Kapazitäten. "Das treibt die Preise nach oben", hat Fath beobachtet.

Bei der Heinloth Holding GmbH & Co.KG aus Roth sorgt der Brexit seit Jahresbeginn für wachsendes Geschäft. Der Logistiker mit insgesamt rund 400 Beschäftigten hat sich u. a. auf prozessoptimierte Gütertransporte von Tür zu Tür spezialisiert. Der Verkehr von und nach Großbritannien gehört zu den Kernkompetenzen und ist neben den Verkehren von und nach Italien sowie Skandinavien eine der Hauptsäulen des Transportgeschäftes. "Die Mengenentwicklung ist insgesamt sehr positiv, wir haben seit Januar zusätzliches Geschäft akquirieren können", lautet das erste Fazit von Vertriebs- und Marketingdirektor Markus Maier. Derzeit werden im Monat nahezu 1 000 Teil- und Komplettladungen nur im Export nach Großbritannien abgefertigt, dafür sind derzeit knapp 250 Sattelauflieger im Einsatz.

Für den erhöhten administrativen Aufwand durch die Zollformalitäten wurden zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Zudem kalkuliert Heinloth seit Jahresbeginn bei seinen Komplettladungen nach Großbritannien damit, dass sich die Laufzeit um mindestens einen Tag verlängert. Bei Teilladungen sind es sogar eher zwei bis drei Tage, berichtet Maier. Heinloth übernimmt mit der britischen Tochter Heinloth UK Ltd. die gesamte Einfuhrverzollung ins Königreich sowie die Ausfuhrabfertigung. Dabei profitiere man enorm von der eigenen Niederlassung in UK. Gerade in der für alle Beteiligten ungewohnten Brexit-Anfangsphase hätten die britischen Kollegen ihre Kompetenz im Bereich Zoll und ihre Erfahrungen auf dem Heimatmarkt eingebracht. Derzeit sieht Maier noch keine Normalisierung, der Markt sei noch sehr volatil. Das gelte zum einen auf die notwendigen Ressourcen, also beispielsweise geeignete Fährrouten und vor allem ausreichend Plätze und Festbuchungen. Zum anderen fehle es aktuell bei manchen Verladern noch an einer zuverlässigen Abwicklung und an einem prozessorientierten Dokumentenmanagement.

Auch für die Nürnberger Niederlassung der Frankfurter Schenker Deutschland AG sind die GB-Verkehre ein fester Bestandteil ihrer paneuropäischen Logistikaktivitäten. Der Aufwand für neue Zollformalitäten sei extrem hoch und wesentlich größer als bei anderen europäischen Zollländern wie der Schweiz oder Norwegen. Schenker beobachtet bei Firmen, die direkt an Konsumenten vermarkten, dass sie sich zusätzlichen Kosten durch Verzollung und gesteigerten Transportaufwand ausgesetzt sehen. Für Industrieunternehmen, die mit niedrigen Lagerbeständen arbeiten und dadurch auf eine zuverlässige Zustellung angewiesen sind, liege die Herausforderung insbesondere in den erhöhten Durchlaufzeiten. Als zusätzliche Prozessschritte, die weitere Kosten verursachen, nennt man bei Schenker die Import- und Exportdeklaration, die für jede Sendung von und nach Großbritannien benötigt wird. Aufwändiger seien auch die Touren nach Nordirland, das eigentlich aus EU-Sicht unverändert beliefert wird, was aber wegen des Transits durch Großbritannien mit den vorhandenen Systemen anspruchsvoll ist.

Nach einem Einbruch in den ersten beiden Monaten des Jahres registriert Schenker im März und April wieder leichte Steigerungen bei den Transporten von und nach Großbritannien. Aktuell rechnet das Logistikunternehmen mit einer schrittweisen Verbesserung der Situation, allerdingst dürfte es lange dauern, bis sie sich auf dem Niveau wie zu EU-Zeiten einpendeln wird.

Für die Fürther Uvex Winter Holding GmbH & Co. KG spielt Großbritannien als Beschaffungsmarkt eine eher geringe Rolle. Umgekehrt ist der britische Markt für den Teilkonzern Safety Group (Arbeitsschutz) als größter europäischer Einzelmarkt sehr wichtig. Deshalb ist die Safety Group dort auch mit einer eigenen Tochtergesellschaft vertreten. Für die Sports Group (Sportartikel) von Uvex rangiert Großbritannien unter den Top 10 weltweit und soll weiter erschlossen werden. Die Exportumsätze der Safety Group legten 2020 in UK trotz Brexit und Corona-Krise zu. Allerdings ist darin ein Sondereffekt erhalten, weil Uvex vor dem Brexit vorgesorgt und die Lager vor Ort aufgestockt hatte. Entsprechend sind die Exportumsätze im ersten Quartal 2021 stark gesunken, da nun die Lagerbestände sukzessive wieder abgebaut werden. Dank ihrer Internationalität und Sendungsstruktur mit größeren Liefereinheiten sieht sich Uvex mit den vorhandenen IT-Systemen und Prozessen für Exporte außerhalb der EU gut aufgestellt. Dennoch stiegen die internen und externen Aufwendungen und Kosten für die einzelne Lieferung nach UK erheblich an. Das Familienunternehmen schätzt den Anstieg des internen Verwaltungsaufwands auf durchschnittlich rund 30 Prozent.

Welche Auswirkung der Brexit im weiteren Jahresverlauf haben wird, kann man bei Uvex auch wegen der Corona-Krise heute kaum beurteilen. Der Absatz der englischen Tochtergesellschaft vor Ort ist in 2020 leicht gesunken. Uvex macht dafür aber überwiegend die Corona-Krise verantwortlich, die Verunsicherungen der Märkte durch den Brexit seien nur für einen geringeren Teil verantwortlich. Die Zulieferungen der Sports Group in den britischen Markt konnten leicht gesteigert werden, allerdings seien die Wachstumsziele nicht erreicht worden. Für den Bereich Arbeitsschutz wird bei Uvex keine schnelle Entspannung erwartet. Kurz- und mittelfristig rechnet man mit niedrigeren Umsätzen – auch weil auf bestimmte Produktgruppen, u.a. wenn sie nicht oder nur teilweise in der EU gefertigt werden, zusätzliche Zölle erhoben werden. Die damit verbundenen Preissteigerungen für die britischen Kunden würden vermutlich zu Umsatzrückgängen führen. Daher entwickelt Uvex Gegenmaßnahmen in der Wertschöpfungskette, um den aktuellen Brexit-Nachteil auszugleichen.

Autor/in: 

tt.

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 05|2021, Seite 22

 
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