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XR Hub Nürnberg

Virtuelle Welten werden real

Virtual Reality © Damir Khabirov/GettyImages.de

Design, Produktion oder Veranstaltungen: Extended Reality bietet viele faszinierende Einsatzgebiete.

In der Spiele-Welt sind virtuelle Anwendungen längst Standard: Pokémons, die auf dem Bildschirm in der echten Umgebung vor einem herlaufen, täuschend echte Flugsimulatoren oder Fußball- und Basketballspiele in 360-Grad-Ansicht. Die Extended Reality (kurz XR) ist aus dem Gaming-Bereich nicht mehr wegzudenken.

XR steht dabei als Oberbegriff für die virtuellen Technologien wie Augmented Reality (AR), Virtual Reality (VR) und Mixed Reality (MR). Sie unterscheiden sich durch das Verhältnis von realer und virtueller Welt. Das reicht vom Einblenden virtueller Inhalte in eine reale Umgebung (AR und MR) bis hin zum völligen Ausblenden der Realität (VR). Nutzer tauchen in eine virtuelle Welt ein oder interagieren mit einer virtuell erweiterten Welt. Die imaginären Inhalte können dabei sehr realitätsnah dargestellt werden. Der Grad der Immersion – des Eintauchens in eine virtuelle Umgebung – ist wesentlich auch von der Hardware-Ausrüstung abhängig. XR ist dabei nicht beschränkt auf visuelle Anwendungen, sondern kann alle Sinne ansprechen, dazu können beispielsweise auch Raumklang oder Fühlen gehören.

Doch die immersiven Technologien, die computergenerierte Umgebungen oder Objekte simulieren, sind inzwischen weit mehr als Spielerei: "Der Gaming-Sektor ist sicherlich Vorreiter für XR. Aber auch in der Produktion, in der Gesundheitstechnik, im Bereich Kultur und Tourismus oder im Bildungsbereich werden die Anwendungen immer wichtiger", sagt Benjamin Ulsamer, Projektmanager beim XR Hub Nürnberg.

Und die Pandemie hat diese Entwicklung teilweise stark beschleunigt: Weil seit einem Jahr keine Messen und Veranstaltungen mehr stattfinden können, boomen virtuelle Ausstellungen und Events. Auch in der Ausbildung kommt XR zum Einsatz, beispielsweise wenn angehende Hotelfachkräfte in virtuellen Räumen lernen, welche Tätigkeiten in einem Zimmer auszuführen sind. Der Prozess der Spieleentwicklung und der Entwicklung von wirtschaftsrelevanten Anwendungen ist gar nicht so unterschiedlich: "Die Vorgehensweise ist sehr ähnlich," weiß der Projektmanager. Oft seien sogar Game-Entwickler an der Entwicklung von Anwendungen für Firmen beteiligt.

XR-Kompetenz in der Metropolregion

Die Metropolregion Nürnberg ist einer der führenden Standorte für Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) in Europa und damit auch für XR-Technologien. "Wir haben hier unzählige Unternehmen, die an diesem Thema arbeiten", so Inci Strauß, Geschäftsführerin der Nürnberger Initiative für die Kommunikationswirtschaft (NIK e. V.). Darunter seien etliche Start-ups, aber auch große Konzerne aus der Automobilzulieferbranche oder der Medizintechnik sowie Hochschulen.

Bereits 2017 gründete sich deshalb unter der Schirmherrschaft der NIK e. V., der Wirtschaftsförderung der Stadt Nürnberg und der IHK Nürnberg für Mittelfranken das Unternehmensnetzwerk VR-NUE. Mit dem Ziel, den Einsatz der Technologie in der Öffentlichkeit bekannter zu machen, wurden in der Vergangenheit bereits einige Aktivitäten in der Region durchgeführt wie der "VR-Day 2018" oder "VR-NUE – Virtual Reality in Nürnberg" im Rahmen des Nürnberg Digital Festivals.

Nun wurde die Kompetenz der Region in den XR-Technologien durch den Nürnberger Standort des "XR Hub Bavaria" gestärkt, der im Jahr 2020 eingerichtet wurde und dessen Projektträger der NIK e. V. ist – unterstützt von der Wirtschaftsförderung der Stadt Nürnberg. Die erste Förderperiode umfasst zwei Jahre und ermöglicht in Nürnberg eine Personalstelle, die sich Benjamin Ulsamer mit seiner Kollegin Julia Wittmann teilt. Diese Initiative des Bayerischen Staatsministeriums für Digitales soll den Medien- und Wirtschaftsstandort Bayern stärken. Weitere XR Hubs gibt es in München und Würzburg.

Ihre Mission beschreibt die Initiative so: "Der XR Hub Nürnberg verfolgt das Ziel, den Austausch, die Sichtbarkeit und den Marktzugang der XR-Unternehmen zu unterstützen sowie die XR-Technologie für Unternehmen aus der Metropolregion Nürnberg zugänglich zu machen." Dazu setzt sie vor allem auf Aufklärung: "Wir wollen den Mehrwert, der durch XR-Anwendungen generiert werden kann, aufzeigen und den Standort überregional sichtbar machen", sagt Inci Strauß. "Kerne pflanzen", nennt Ulsamer das: "Die Technologie in die Unternehmen hineintragen, damit der Trend nicht verschlafen wird."

Ziel ist es auch, die Unternehmen zusammenzubringen, das bestehende Netzwerk auszubauen sowie die Aktivitäten und den Austausch zu fördern und auch Fragestellungen wie rechtliche Aspekte beispielsweise zum Datenschutz oder ethischen Fragen zu klären. Derzeit gehören dem Netzwerk 33 Unternehmen an. "Im Austausch stehen wir aber mit weit über 50", so Ulsamer. Im Fokus der Aktivitäten des XR Hub Nürnberg sind vor allem XR-Lösungen für Industrie, Automotive, Energie, aber auch für Gesundheit, Pflege und Inklusion sowie Tourismus, Kultur, Games, Animation, Handel, Architektur, Design, Bildung und Marketing.

Die Anwendungsmöglichkeiten für XR sind nahezu unbegrenzt. So macht der digitale Umbruch gerade in Corona-Zeiten auch vor Messen nicht Halt. Virtuelle Marktplätze sind derzeit die einzig machbare Form für Ausstellungen. Dank XR-Anwendungen lassen sich komplette Messestände, Konferenzräume, Bühnen oder Vorträge in den virtuellen Raum transferieren. Schon in den letzten Jahren wurden VR-Brillen am Messestand gerne eingesetzt, um die Präsentation immersiv zu erweitern, beispielsweise für Spiele oder imaginäre Firmenbesichtigungen. Heute wird der virtuelle Besuch von Messen und Veranstaltungen zu einem Erlebnis der besonderen Art. Mit den neuen Technologien ist es jetzt auch möglich, die Messebesucher virtuell an den Messestand zu holen, mit Hilfe von 3D- und 360-Grad-Technologie. Dafür ist man in der Region gerüstet: Eines der größten XR-Studios befindet sich im Nürnberger Messegelände.

Auch die Bereiche Tourismus und Kultur können von XR profitieren. So sind dank VR imaginäre 360-Grad-Rundgänge durch Gebäude oder Städte möglich. Im Museum werden die Ausstellungsstücke durch virtuelle Informationen erweitert oder Schnitzeljagden simuliert. Das St. Pauli-Museum in Hamburg bietet jetzt zum Beispiel eine Hightech-Brille mit Audiodeskription. Blinde und Sehbehinderte können damit durch eine Kombination aus virtueller Welt und Realität die Ausstellung intensiver erleben. Und Ausstellungsstücke sowie Hindernisse werden hörbar. Ermöglicht hat dies ein Nürnberger Unternehmen.

Anwendungen in der Industrie

In der Industrie wird XR für Produktentwicklung, Produktionsplanung, Marketing und Trainings eingesetzt. Beispielsweise können die Eigenschaften von Produkten schon in der Konzeptionsphase mit Hilfe von digitalen Prototypen getestet und optimiert werden. Digitale Zwillinge modernisieren längst die gesamte Wertschöpfungskette und ermöglichen die Simulation neuer Fertigungsverfahren und Produktionskonzepte. Ein virtuelles Abbild des Produkts oder der Fertigung macht eine nahtlose Verknüpfung der Prozessschritte möglich. "XR ist heute State of the Art im Prototypenbau. Dabei kann man auch gleich sehen, wie sich Mitarbeiter in einer neuen Fertigungslinie bewegen, und die Arbeitsschritte entsprechend anpassen", weiß Ulsamer. Virtuelle Untersuchungen helfen bei der Abschätzung, ob der vorhandene Raum für ein Bauteil vorhanden ist, und stellen sicher, dass sich Bauteile gut ein- und ausbauen bzw. warten lassen. Die Planungs- und Hochlaufphase wird dadurch deutlich verkürzt und verbessert. Das steigert die Effizienz, minimiert die Fehlerquote, verkürzt die Entwicklung und eröffnet neue Geschäftsmöglichkeiten. Mit den entsprechenden Tools können auch Maschinenbediener eingewiesen und angeleitet sowie bei der Fehlersuche unterstützt werden. Möglich sind u. a. auch virtuelle Sicherheitstrainings, um den Arbeitsschutz für die Mitarbeiter erfahrbar zu machen, sowie virtuelle Zertifizierungen.

Auch Design-Prozesse werden durch Augmented Reality erheblich beschleunigt. So hat zum Beispiel ein Aufzughersteller eine Virtual-Reality-Simulation für eine horizontal und vertikal fahrbare Aufzugsanlage entwickelt und konnte damit schon frühzeitig Konstruktionsfehler erkennen sowie mechanische Konfigurationen und physikalischen Beanspruchungen bewerten.

Zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten für XR gibt es auch im Gesundheitsbereich. Bei einer Telekonsultation stehen Experten den Ärzten von außen zur Seite und sind dank XR trotzdem mittendrin. Damit ist der Informationsaustausch gewährleistet und gleichzeitig werden Kontakte reduziert. Eine weitere Möglichkeit: Mit Virtual-Reality-Simulationen üben angehende Chirurgen in interaktiven Operationsszenen gefahrlos an virtuellen Objekten.

Weitere Anwendungen gibt es auch in der Baubranche: Mit digitalen Stadtplanungstools werden imaginäre Stadtteile visualisiert. Und Bauherren oder Makler können Häuser und Wohnungen in 3D- und 360-Grad-Ansicht besichtigen. Und auch das Internet wird durch XR verändert: Künftig wird es möglich sein, Suchergebnisse in 3D anzuzeigen.

Hardware-Komponenten

Noch sind die VR-Brillen und andere Hardware-Komponenten recht teuer. Aber hier wird sich bald etwas tun, glaubt Ulsamer: "Alle großen Hersteller haben verschiedene Lösungen im Köcher." Die Technologie werde sich auf breiter Basis durchsetzen, wenn die Komponenten dafür erschwinglich sind. Und die notwendige Ausrüstung wird mehr und mehr Standard: Die sogenannte Wearable Technology – kleine, vernetzte Computer, die man am Körper oder am Kopf trägt und die den Alltag des Trägers unterstützen sollen – ist inzwischen im Alltag angekommen. Dazu gehören Smartwatches ebenso wie Fitnessarmbänder oder digitale Brillen.

Gebremst wird die schnell wachsende Technologie laut Ulsamer vor allem durch einen "enormen Fachkräftemangel". Auch hier spiele der Standort eine wichtige Rolle: "XR-Anwendungen mit ihren sehr unterschiedlichen Lösungen sind meist beratungsintensiv. Für viele Projekte muss man eine ganze Reihe unterschiedlicher Fachleute zusammenbringen, beispielsweise Projektmanager, 3D-Artists, Storyschreiber, Fachkräfte für Sound, Animation oder auch Recht", so der Projektmanager. Für die nahe Zukunft sehen Ulsamer und Strauß eine rasche Ausweitung der XR-Technologien. "Viele Unternehmen arbeiten weltweit an Standards für XR auf dem Smartphone", so Ulsamer, der sich davon einen weiteren Schub für die Technologie erhofft.

Ein nächster Schritt wird sein, dass das Handy in die Brille wandert. "In einigen Jahren werden die Brillen eigenständige Computer sein, die keine weiteren Komponenten mehr benötigen", prognostiziert Strauß. Außerdem werden VR-Anzüge Interaktionen spürbar machen. Die Ganzkörperanzüge, die reale Bewegungen in die virtuelle Realität übertragen und ein haptisches Feedback erzeugen, sind bereits in Entwicklung. "Die Technologie bietet riesige Chancen, jeden aus der Gesellschaft wieder in die Mitte zu nehmen", ist sich Ulsamer sicher. Sie trägt auf diese Weise zum Barriereabbau bei: In einer virtuellen Umgebung kann man sich gemeinsam als Avatar treffen und präsentieren, trainieren und zusammenarbeiten. So können auch Menschen mit einer Behinderung ohne Einschränkungen dabei sein.

Autor/in: 

leo.

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 06|2021, Seite 42

 
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