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CodeCamp:N

Die Gamer-Bude

CodeCamp:N © Thomas Tjiang

Geschäftsführer Martin Pluschke: Die Arbeitsräume unterscheiden sich stark von denen in einer strukturierten Konzernorganisation.

Die Tochter der Nürnberger Versicherung entwickelt digitale Anwendungen für die Finanz-, Versicherungs- und Gesundheitsbranche.

"Code-Truppe" und "Camper": So unterscheidet Versicherungskaufmann und Wirtschaftsinformatiker Martin Pluschke seine Mannschaft intern. Er ist Geschäftsführer der CodeCamp:N GmbH in Nürnberg, die neue digitale Geschäftsideen für die Finanz- und Versicherungsbranche entwickeln soll. Nicht von ungefähr, denn das Start-up ist eine hundertprozentige Tochter der Nürnberger Versicherungsgruppe. Bei Pluschkes Unterteilung steht "Code" für IT-Projekte mit klassischer Software-Entwicklung, Testing und Architektur. Der Bereich "Camp" fungiert als Inkubator, ist also für die Entwicklung innovativer Produkte zuständig. Diese werden auch als sogenannte White-Label-Lösungen vertrieben, bei denen also Hersteller und Marke nicht in Erscheinung treten. Dazu gehört beispielsweise eine digitale Gesundheitsplattform für die Muttergesellschaft Nürnberger. Von dieser App namens "Humanoo" hat das CodeCamp eine White-Label-Lösung für private Endkunden erstellt und umgesetzt. Ein weiteres Beispiel für ein neues Produkt ist die Multibanking-Anwendung "Bankz". Damit können Finanzberater auf Basis der europaweiten PSD-2-Regulierung mit Zustimmung der Kunden in Echtzeit digitale Kontoanalysen vornehmen. Durch eine automatisierte Vertragsanalyse erkennt die Software potenzielle Deckungslücken.

Für Verbraucher hat CodeCamp:N das Portal "meine-Vorsorgedokumente.de" entwickelt. Dort können digital rechtssichere Vorsorgedokumente, etwa eine Patientenverfügung, eine Vorsorgevollmacht oder eine Betreuungsverfügung, erstellt und abgelegt werden. Damit sei gesichert, dass die Dokumente auch im Notfall abrufbar sind. Der Basispreis beinhaltet neben der digitalen Ablage und einem Glossar für Fachbegriffe auch eine jährliche Erinnerung an eine mögliche Aktualisierung.

CodeCamp:N verfügt auch über ein eigenes "Usability Lab". Dort werden nicht nur die eigenen Entwicklungen unter die Lupe genommen – das Labor steht auch Dritten offen, die etwa eine Expertenbewertung für die Nutzerfreundlichkeit einer App benötigen. Darüber hinaus können Probanden verschiedene Anwendungsfälle eines Digitalangebots ausprobieren, um individuelle Eindrücke zu gewinnen oder Stolpersteine frühzeitig zu entdecken. Auch eine Analyse der Blickverläufe von Testern mittels Eye-Tracking ist möglich.

Eigene Unternehmenskultur

Als das Nürnberger Start-up 2018 gegründet wurde, positionierte es sich von Anfang an mit einer eigenen Unternehmenskultur: Man setzt auf flache Hierarchien und arbeitet in einer Bürowelt, die eher an Berlin oder New York als an die Frankenmetropole erinnert. Pluschke entschied sich zunächst für alte, verwinkelte Räume im Nürnberger Kohlenhof. Der loftartige Hinterhaus-Charme setzte einen räumlichen Kontrapunkt zum mächtigen Glas- und Stahlbau des Mutterkonzerns. Diese Gegensätze ziehen sich durch die gesamte Firmenkultur der CodeCamper: Schon bei den Gründen, für das CodeCamp:N zu arbeiten, geht es laut Pluschke weniger um das Prinzip "Zeit für Geld", sondern eher um Begeisterung und Lust auf Neues. Das Stammbüro im Kohlenhof, das in diesem Herbst geräumt werden muss, macht das deutlich: Die Café-Bar, der Kicker und der Riesenbildschirm zum Zocken sind nicht zur Deko da, sondern werden tatsächlich genutzt und unterstreichen den Anspruch, dass es anders als in einer strukturierten Konzernorganisation zugeht.

Ab Herbst geht es vom Kohlenhof dann an einen neuen Standort. Dieser soll in der Nähe der Solgerstraße liegen, wo das Start-up im vergangenen Jahr ein Rückgebäude bezogen hat. Auch hier macht das Labyrinth an Treppen und Räumen deutlich, dass es anders zugeht als in etablierten Konzernstrukturen. Im Erdgeschoss gibt es unter anderem eine Vortrags- und Event-Fläche sowie eine professionell ausgestattete Küche, um außerhalb der Pandemie-Zeiten gemeinsam zu kochen. Außerdem findet sich dort eine Art große Lounge mit britischen Clubsesseln und Sofa vor einer rohen Backsteinwand, Kicker, Billard und Computerspielecke. "Glam Flat" heißt dieser Raum, kultig eingerichtet mit Bildern von Comic-Figuren und einem ausgedienten Bock aus dem Sportunterricht.

Gamer-Bude statt fester Plätze zum Arbeiten

"Wir sind eine Gamer-Bude", erklärt Pluschke, das Zocken sei ein elementarer Bestandteil der "Tekkies", die bei ihm arbeiten. Er selbst hat kein eigenes Geschäftsführerbüro, sondern sucht sich einen freien Platz. Am liebsten setzt er sich im "Glam Flat" aufs Sofa und arbeitet dort mit seinem Laptop. Die Treppenaufgänge sind mit Super-Mario-Motiven verziert, in den oberen Stockwerken gibt es Besprechungszimmer in der Optik des Computerspiels "World of Warcraft" und ein üppig bepflanztes Dschungel-Zimmer als Coworking-Space. Im Kohlenhof hat die gesamte Mannschaft selbst beim Einrichten mit angepackt, in der Solgerstraße war es ähnlich. Feste Arbeitsplätze gibt es nicht, das ist laut Pluschke nur hinderlich für die Flexibilität. Man kann sich aber, sobald man das Areal betritt, über das Firmen-WLAN einen Arbeitsplatz buchen. Und man kann so auch nachschauen, wo die anderen Kollegen gerade sitzen, falls man sich persönlich austauschen will.

Die Atmosphäre ist eine bewusste Mischung aus Büro und Zuhause. Er wolle die Trennung von Arbeit und Freizeit auflösen, erklärt Pluschke: "Die Software-Entwicklung folgt keiner streng getakteten Produktionslogik." Für ein Projekt könnten zwei gelungene Arbeitsstunden besser sein als ein vorgegebener 7,5-Stunden-Tag. Daher drehe sich alles um eine kreativitätsfördernde Umgebung. Überraschenderweise stößt man an einer Ecke an eine digitale Zeiterfassung. Die ist aber für Beschäftigte der Muttergesellschaft, wenn die zum Austausch oder Arbeiten ins CodeCamp kommen. Für Pluschkes Leute gilt ein hoher "Trust-Level", also ein vertrauensvoller Umgang.

Für typische Führungskräfte mit hierarchischen Befugnissen und definierten Aufgaben ist in der agilen Umgebung kein Platz. Das Jungunternehmen managt seine Projekte und Produkte mit dem Tool Scrum, einem Werkzeug für agile und flexible Arbeitsformen. "Die Führungsaufgabe heißt Leadership, also Menschen hinter einer Idee vereinen", so Pluschke. Für die einzelnen Teams sind sogenannte "Enabler", also "Ermöglicher" zuständig. Sie haben nicht nur die Projektziele im Blick, sondern schauen, ob es den Mitarbeitern gut geht und sie an der richtigen Aufgabe eingesetzt sind. Seine Programmierer und Entwickler legten auf die Offenheit viel Wert, erklärt der Geschäftsführer. "Wenn ich anfange, den Leuten zu sagen, was sie tun sollen, habe ich schon verloren."

Gestartet ist das CodeCamp:N im Jahr 2018 mit zwölf Mitarbeitern, Ende 2020 waren es bereits 146. Das ist ein rasantes Tempo und viel weiter will der oberste CodeCamper vorerst nicht wachsen: "Sonst verlieren wir unsere Identität." Dafür ist bei der Umsatzentwicklung das Tempo aktuell hoch: 2019 beliefen sich die Einnahmen auf 3,8 Mio. Euro, im Corona-Jahr 2020 verdoppelte CodeCamp:N das Geschäft auf 7,8 Mio. Euro. Für das laufende Jahr peilt Pluschke ein weiteres Wachstum von über 20 Prozent an, um einen zweistelligen Umsatz zu erreichen.

Der Firmenchef ist mit der Entwicklung von CodeCamp:N zufrieden. Bevor die Nürnberger Versicherung mit ihm die neue Einheit aus der Taufe hob, war allen klar, dass "etwas ganz Wildes" entstehen würde. Man wolle viel ausprobieren und wie ein Schnellboot unterwegs sein. Das hat sich Pluschke zufolge bewahrheitet, gleichzeitig würden beide Seiten durch den engen Austausch profitieren. Neben Programmierungen – beispielsweise ein Kfz-Digitalprojekt für den Mutterkonzern – übernimmt CodeCamp:N auch IT-Projekte für den Drittmarkt, wenn sich Unternehmen mit digitalen Anwendungen auf die Kunden ausrichten wollen.

Wenn der firmeninterne oder auch externe Austausch auf der Event-Fläche des CodeCamps nicht mehr nur virtuell, sondern auch persönlich wieder losgehen kann, könnte noch eine weitere Besonderheit wieder zum Einsatz kommen: Im Keller steht eine Minibrauanlage, mit der das hauseigene "CampBräu" eingebraut werden kann.

 

Autor/in: 

(tt.)

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 07|2021, Seite 66

 
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