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Integration von Geflüchteten

Engagiert bei der Sache

Architekt Roy Achim von Bychelberg (l.) und der angehende Bauzeichner Emran Bakjaji Foto-Klaus-Leonhard © Klaus-Leonhard

Hoch motiviert: der angehende Bauzeichner Emran Bakjaji, der aus Syrien stammt, und sein Chef Roy Achim von Bychelberg (l.), Inhaber des gleichnamigen Architekturbüros in Schwarzenbruck.

Geflüchtete Menschen in Ausbildung bringen und in das Berufsleben integrieren. Beispiele aus mittelfränkischen Unternehmen.

Die "Bevölkerung mit Fluchthintergrund“ ist in Deutschland von 2013 bis 2018 nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) um 1,2 Mio. Personen gewachsen. In diesem Zeitraum wurden laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) rund 1,8 Mio. Asyl-Erstanträge in Deutschland gestellt. Viele der Flüchtlinge “sind hoch motiviert und wollen arbeiten“, schreibt die Bundesregierung: Etwa jeder zweite dieser Geflüchteten hatte nach fünf Jahren einen Arbeitsplatz. Damit sei die Integration in den Arbeitsmarkt schneller vorangegangen als dies bei Geflüchteten früherer Jahre der Fall gewesen sei, so das IAB und das Bamf mit Bezug auf eine groß angelegte Befragung von Geflüchteten, die sie gemeinsam durchführen. Diese sogenannte SOEP-Befragung ist eine jährliche Erhebung, bei der die Studienteilnehmer wiederholt befragt werden. Interviewt werden Personen, die von Januar 2013 bis August 2019 in Deutschland eingereist sind und einen Asylantrag gestellt haben, sowie deren Haushaltsmitglieder.

Mehr als die Hälfte der Erwerbstätigen aus dieser Gruppe arbeitet als Fachkraft oder in Tätigkeiten mit höherem Anforderungsniveau, 44 Prozent sind als Helfer tätig. Rund ein Viertel der Erwachsenen hat seit ihrem Zuzug eine allgemeinbildende Schule, eine berufliche Bildungseinrichtung, eine Hochschule oder eine Universität besucht. Knapp zwei Drittel gingen im zweiten Halbjahr 2018 einer Erwerbstätigkeit nach, besuchten eine Bildungseinrichtung oder nahmen an Integrationsmaßnahmen oder arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen teil. Der Großteil der verbleibenden rund 40 Prozent war auf Stellensuche, in Elternzeit oder Mutterschutz. Deutlich zugenommen habe die Teilnahme an Sprach- und anderen Integrationsprogrammen sowie der Besuch von Bildungseinrichtungen. Doch wie sieht die Integration in der betrieblichen Praxis aus? Im Folgenden berichten Unternehmen über ihre Erfahrungen mit geflüchteten Menschen.

“Ich würde das sofort wieder ausprobieren und kann das auch nur jedem raten“, sagt Roy-Achim von Bychelberg, Inhaber des gleichnamigen Architekturbüros in Schwarzenbruck. Er plant mit seinen fünf Mitarbeitern Gebäude vom Einfamilienhaus bis zum öffentlichen Hochbau für Kommunen und Landkreise. Außerdem ist der öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Schäden an Gebäuden auf das Thema Barrierefreiheit spezialisiert. Emran Bakjaji, ein anerkannter Asylbewerber aus Syrien, wird im Herbst eine Ausbildung zum Bauzeichner bei ihm beginnen. Weil ein Mitarbeiter derzeit eine Technikerausbildung macht, hat sich der Architekt an die IHK gewandt und nach einem Azubi gefragt, der seinen Ausbildungsbetrieb wechseln möchte. Das war zwar nicht der Fall, aber die IHK vermittelte den Kontakt zu Emran Bakjaji, der in Syrien in einem Baustofflabor gearbeitet und ein Bauingenieurstudium begonnen hatte, das er aber wegen des Krieges abbrechen musste. “Nach einer Woche Praktikum war die Sache klar: Emran bekommt die Lehrstelle“, berichtet von Bychelberg. “Seine Einstellung hat mich überzeugt. Er hat Lust auf den Beruf und will unbedingt arbeiten, egal was“, so der Architekt. So war Bakjaji vorher in einer Pumpenfabrik tätig, verlor aber durch die Pandemie seine Stelle. “Er hat sich bei uns wahnsinnig bemüht und hat sich schnell eingearbeitet“, sagt der Chef.

Ab September wird der 32-Jährige jetzt seine Ausbildung zum Bauzeichner beginnen. Bis dahin ist er im Rahmen einer Einstiegsqualifizierung bei dem Architekturbüro beschäftigt. Auf Intervention des Chefs darf der angehende Azubi, der fließend Deutsch spricht, auch schon die Berufsschule besuchen. “Die Lehrkräfte dort und auch die Mitschüler unterstützen ihn dabei ganz hervorragend“, sagt von Bychelberg. Für die Zukunft hat Emran Bakjaji große Pläne: “Er will Karriere machen, vielleicht als Techniker“, sagt sein Chef. “Trotzdem will er, wenn es die Verhältnisse zulassen, später in seine alte Heimat zurückkehren und helfen, das Land wieder aufzubauen.“

Beste Erfahrungen mit geflüchteten Menschen hat auch Dieter Ulm, Geschäftsführender Gesellschafter der Ulm-Ingenieurgesellschaft mbH & Co. KG in Erlangen, gemacht. Sein alteingesessenes Ingenieurbüro für Tragwerksplanung ist seit 70 Jahren im Wohnungs-, Gewerbe-, Industrie- und Ingenieurbau tätig. Mit 25 Mitarbeitern übernimmt das Familienunternehmen außer der Tragwerksplanung die Brandschutzfachplanung, Sanierungsplanung, Sicherheitskoordination, Objektplanung und vieles mehr für Bauprojekte jeder Größe.

Schon seit 1955 bildet das Ingenieurbüro Bauzeichner Ingenieurbau und Kaufleute für Büromanagement aus. Eine Auszubildende zur Bauzeichnerin im zweiten Lehrjahr ist Armita Farshneshani. Die 19-Jährige kam 2015 aus dem Iran. In der Schule hatte sie ein Praktikum bei einem Architekten absolviert und dabei gemerkt, dass ihr das Zeichnen gefällt. Also hat sie sich via Internet einen Ausbildungsplatz gesucht und stieß dabei auf die Ulm-Ingenieurgesellschaft. Bei der Bewerbung spielte die Herkunft überhaupt keine Rolle: “Beim Einstellungsgespräch und dem Probearbeiten hat sich Frau Farshneshani einfach gegen die rund 20 anderen Bewerber durchgesetzt“, sagt Ulm. “Über irgendwelche möglichen Probleme habe ich mir dabei gar keine Gedanken gemacht.“ Nach ihrem Abschluss will sie sich auf jeden Fall weiterbilden und später eventuell das Abitur machen.

“Bei Hellmann machen wir keinen Unterschied, wo jemand herkommt“, sagt Tekin Battal, Area Manager Bayern bei dem Logistikdienstleister Hellmann Worldwide Logistics. Das Familienunternehmen mit Stammsitz in Osnabrück blickt auf eine 150-jährige Tradition zurück und beschäftigt weltweit rund 10 000 Mitarbeiter in über 250 Niederlassungen – davon sieben in Bayern. Als Full-Servicedienstleister transportiert das Unternehmen alles, vom Paket bis zum Container, über die Straße und Schiene sowie per Luft- und Seefracht. Im September beginnt der 19-jährige Asylbewerber Barry Ibrahima seine Ausbildung als Fachkraft für Lagerlogistik bei Hellmann in Nürnberg. Er hatte sich “ganz normal im Auswahlverfahren durchgesetzt“, so Battal. Bereits im Rahmen eines Praktikums konnte der junge Mann überzeugen: “Besonders sein Engagement und Interesse an unserer Arbeit haben uns wirklich begeistert. Zudem spricht er gut Deutsch und Englisch, das ist für uns eine wichtige Voraussetzung“, so Battal. Ibrahima kam 2019 nach Deutschland und hat derzeit eine Aufenthaltserlaubnis. Zu Hellmann kam der Guineer über die IHK. Dass Unternehmen Berührungsängste bei der Einstellung Geflüchteter haben, kann Battal nicht verstehen. “Die Bereitschaft und die Dankbarkeit ist oft wirklich beeindruckend und für uns als Unternehmen sehr erfreulich – auch die Abbrecherquote ist erheblich geringer“, so der Area-Manager.

“Mut haben, es zu versuchen, und Chancen ermöglichen“: Das ist die Devise von Michael Simon, Geschäftsführender Gesellschafter der Dess+Falk GmbH in Nürnberg, ein Ingenieurbüro für innovative Technik mit rund 50 Mitarbeitern. Michael Simon hat beste Erfahrungen mit geflüchteten Menschen gemacht und verweist dabei unter anderem auf den 30-jährigen Amer Alhasan: “Er ist bei uns heute ein wichtiger Konstrukteur und ein Leistungsträger.“ Inzwischen betreut er sogar die Auszubildenden. Dabei hat er selbst erst ab 2016 eine Ausbildung zum Technischen Systemplaner absolviert.

Bei einem Praktikum konnte der Syrer das Unternehmen von sich überzeugen. “Das Vorstellungsgespräch fand komplett auf Deutsch statt“, berichtet Simon. “Nach einem Monat Praktikum wussten wir, das passt.“ Zu der Zeit war der Flüchtling schon als Asylbewerber anerkannt. 2014 war der lizenzierte Assistent im Bauingenieurwesen aus Syrien nach Deutschland gekommen. In seiner Heimat hatte er bereits eine Ausbildung mit Schwerpunkt Sanitärtechnik absolviert und später in der Türkei als Schneider gearbeitet. Inzwischen hat Amer Alhasan die deutsche Staatsangehörigkeit erlangt und den Ausbilderschein erworben. “Die Kollegen haben mir viel geholfen“, sagt Alhasan. “Das ist wichtig, dass die Mitarbeiter im Unternehmen neue Kollegen aufnehmen und unterstützen“, weiß Simon. “Bei uns funktioniert das sehr gut.“ Jetzt will Amer Alhasan in seinem Beruf Karriere machen und Dess+Falk unterstützt ihn dabei: “Ich versuche, immer Neues zu lernen und damit auch mehr Verantwortung zu bekommen.“

Autor/in: 

leo.

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 07|2021, Seite 22

 
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