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Nachhaltigkeit

Stimmt die Chemie?

Chemikalien © Antoine2K/GettyImages.de

Die neue EU-Chemikalienstrategie soll zu inhärent sicheren Chemikalien führen. Was kommt auf die Betriebe zu?

Chemikalien sind in der Wirtschaft und in unserem Alltag allgegenwärtig und in praktisch jedem Erzeugnis vorhanden. Chemikalien sind zudem die Bausteine für klimafreundliche, schadstofffreie sowie energie- und ressourceneffiziente Technologien wie beispielsweise Batterien, Windkraftanlagen oder Photovoltaik. Gleichzeitig können Chemikalien mit gefährlichen Eigenschaften aber auch unerwünschte Folgen für die Gesundheit und für die Umwelt haben. Um diese Auswirkungen kontrollieren zu können, hat die EU-Kommission in den vergangenen Jahren verschiedene Gesetze geschaffen.

Am wichtigsten sind die Verordnung über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen, die sogenannte "CLP-Verordnung" (Classification, Labelling and Packaging) in der aktuellen Fassung vom 13. November 2020 sowie die Reach-Verordnung zur Registrierung, Bewertung und Zulassung von Chemikalien von 2006. "Reach" steht für Registration, Evaluation, Authorisation of Chemicals (Registrierung, Bewertung und Zulassung von Chemikalien).

CLP-Verordnung

Die CLP-Verordnung verpflichtet Hersteller, Importeure und nachgeschaltete Anwender von Stoffen oder Gemischen zur ordnungsgemäßen Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung ihrer gefährlichen Chemikalien, bevor sie diese in Verkehr bringen. Erfüllen die einschlägigen Informationen (z. B. toxikologische Daten) zu einem Stoff oder Gemisch die Einstufungskriterien der CLP-Verordnung, werden die Gefahren eines Stoffes oder Gemischs angegeben, indem sie einer bestimmten Gefahrenklasse und -kategorie zugewiesen werden. Die Gefahrenklassen gemäß CLP-Verordnung beziehen sich auf physikalische, Gesundheits- und Umweltgefahren sowie zusätzliche Gefahren. Mit Hilfe von Kennzeichnungsetiketten und Sicherheitsdatenblättern können nachgeschaltete Anwender auf Gefahren und Risiken aufmerksam gemacht werden.

Reach-Verordnung

Die Reach-Verordnung regelt den Schutz für Mensch und Umwelt in Bezug auf das Inverkehrbringen von chemischen Stoffen, Gemischen und Erzeugnissen. Im Kern geht es darum, die bestehenden Wissenslücken zu schließen, um einen verantwortlichen Umgang mit Chemikalien zu ermöglichen. Hersteller und Importeure müssen alle Stoffe oder Stoffgemische, die in Mengen von einer Tonne oder mehr pro Jahr hergestellt oder eingeführt werden, bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) registrieren. Bestimmte hinsichtlich Gesundheit und Umwelt besonders besorgniserregende Stoffe (substances of very high concern – SVHC) können zudem verboten oder beschränkt werden. Sämtliche SVHC-Stoffe werden zunächst in der sogenannten Reach-Kandidatenliste geführt (https://echa.europa.eu/de/candidate-list-table). Die Aufnahme eines Stoffes führt zu rechtlichen Verpflichtungen für betroffene Unternehmen. Ein Lieferant von Erzeugnissen (z. B. Produzent oder Händler) ist gemäß Artikel 33 Reach-Verordnung verpflichtet, seine Abnehmer zu informieren, falls ein SVHC-Stoff in einer Konzentration über 0,1 Massenprozent im Erzeugnis enthalten ist. Die Information an gewerbliche Kunden muss dabei unaufgefordert erfolgen. Private Endverbraucher müssen auf Anfrage innerhalb einer Frist von 45 Tagen informiert werden. Beispiele für solche Erzeugnisse sind Textilien, Industrieausrüstungen, Haushaltsgeräte und Fahrzeuge (sowohl Bauteile als auch Fertigerzeugnisse).

EU-Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit

Im Oktober 2020 hat die Europäische Kommission die EU-Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit verabschiedet. Diese Strategie ist der erste Schritt in Richtung des Null-Schadstoff-Ziels, das im europäischen Green Deal angekündigt wurde. Knapp 20 Jahre nach dem ersten strategischen Konzept für das Chemikalienmanagement in Europa mit dem Schwerpunkt auf der Reach-Verordnung wird nun ein neues Paradigma eingeführt. Hierbei soll der Übergang zu inhärent sicheren und nachhaltigen Chemikalien geschaffen werden. Das bedeutet, dass dann grundsätzlich nur noch sichere Chemikalien verwendet werden dürfen, um Schäden an Mensch und Umwelt zu verhindern. Bislang lag der Schwerpunkt beim Risikomanagement und bei der Bereitstellung von Informationen für Verwender von Chemikalien, um die Einwirkungen von gesundheits- und umweltschädigenden Stoffen auf Mensch und Umwelt zu minimieren. Zukünftig sollen gefährliche Stoffe im Wesentlichen nur noch eingesetzt werden, wenn ihre Verwendung für die Gesundheit oder Sicherheit erforderlich oder für das Funktionieren der Gesellschaft kritisch ist und es keine tragfähigen Alternativen gibt. Für diese sogenannten wesentlichen Verwendungszwecke sollen noch konkrete Kriterien festgelegt werden. Neu ist auch die Anforderung der Nachhaltigkeit: Dies soll gewährleistet werden, indem der Fußabdruck von Chemikalien in Bezug auf Klimawandel, Ressourcenverbrauch, Ökosysteme und biologische Vielfalt unter Betrachtung des gesamten Lebenszyklus minimiert wird.

Besondere Aufmerksamkeit richtet die Europäische Kommission auf Chemikalien mit endokriner Wirkung (sogenannte endokrine Disruptoren). Diese Stoffe können Krankheiten durch Störungen des Hormonsystems hervorrufen und beeinträchtigen insbesondere die Funktion der Schilddrüse, des Immunsystems, des Fortpflanzungssystems und des Gesamtstoffwechsels des Menschen. Beispiele für endokrine Disruptoren sind Bisphenol A, das zur Herstellung von Polycarbonat-Kunststoffen für Lebensmittelverpackungen eingesetzt wird, sowie Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS), die nicht nur in Feuerlöschschäumen, sondern auch in vielen Konsumgütern wie beispielsweise Pfannen mit Antihaftbeschichtung, wasser- und schmutzabweisenden Textilien sowie Kosmetika verwendet werden.

Auch wenn einige Rechtsvorschriften wie die Reach-Verordnung die Möglichkeit bieten, endokrine Disruptoren zu ermitteln, ist das Regelwerk der EU insgesamt zu fragmentiert und eng gefasst. Künftig soll sichergestellt werden, dass endokrine Disruptoren rechtzeitig erkannt werden und die Exposition von Mensch und Umwelt minimiert wird. Geplante Maßnahmen umfassen eine rechtsverbindliche Gefahrenkennzeichnung sowie eine Gewährleistung, dass endokrine Disruptoren für Verbraucherprodukte verboten und nur dann verwendet werden dürfen, wenn sie nachweislich für die Gesellschaft unverzichtbar sind. Weiter sollen diese Stoffe als eine Kategorie von besonders besorgniserregenden Stoffen in die Kandidatenliste der Reach-Verordnung aufgenommen werden.

Menschen werden täglich nicht nur einer Chemikalie, sondern einer breiten Mischung von Chemikalien aus verschiedenen Quellen wie Wasser, Nahrungsmitteln, Atemluft, Medikamenten und verschiedenen Produkten ausgesetzt. Im Falle der Exposition gegenüber einer Kombination von Chemikalien ist das Gesamtrisiko in der Regel größer als bei den einzelnen Chemikalien für sich genommen. Deshalb kann die Exposition gegenüber einer Kombination von Chemikalien auch dann nachteilige Auswirkungen auf die Gesundheit und die Umwelt haben, wenn jede Chemikalie für sich genommen als sicher eingestuft ist. Allerdings wird die Sicherheit von Chemikalien in der Regel durch die Beurteilung einzelner Stoffe oder von beabsichtigt zusammengestellten Gemischen bewertet. Um angemessen auf den Kombinationseffekt auch von nicht beabsichtigten Chemikaliengemischen einzugehen, will die EU sowohl die Reach-Verordnung als auch weitere Rechtsvorschriften beispielsweise für Wasser, Lebensmittelzusatzstoffe, Spielzeug, Lebensmittelkontaktmaterial, Waschmittel und Kosmetika anpassen.

Schadstofffreie Kreislaufwirtschaft

Die EU-Chemikalienstrategie spielt zudem eine große Rolle für eine schadstofffreie Kreislaufwirtschaft. Gemäß dem Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft im Rahmen des europäischen Green Deals müssen sowohl Produkte als auch Rezyklate sicher und nachhaltig sein. Das bedeutet, dass bedenkliche Stoffe durchgehend auf ein Minimum reduziert werden müssen. Besonders priorisiert werden Produktkategorien mit hohem Kreislaufpotenzial, wie Textilien, Verpackungen, Möbel, Elektronik- und IT-Geräte, Baustoffe und Gebäude. Weiter sollen für die verschiedenen Produkte Informationen zu den enthaltenen bedenklichen Chemikalien und zur sicheren Verwendung verfügbar gemacht werden. Eine Grundlage hierfür bietet die SCIP-Datenbank der europäischen Chemikalienagentur ECHA (https://echa.europa.eu/de/scip). SCIP steht für "Substances of Concern in Articles as such or in complex Objects/Products".

In Summe verfolgt die EU eine Doppelstrategie: Durch verstärktes Fördern von Innovationen für sichere und nachhaltige Chemikalien sollen nicht nur Mensch und Umwelt geschützt, sondern die EU zugleich auch globaler Marktführer in diesem Bereich werden. Hierfür plant die EU zum einen eine verstärkte Förderung von Forschung, Entwicklung, Qualifizierung und innovativen Geschäftsmodellen und zum anderen eine internationale Führungsrolle, um für die EU-Standards weltweit zu werben und somit gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen.

Autor/in: 

Dr. Ronald Künneth ist Experte für vernetzte Produktion, Automotive und Technologietransfer bei der IHK Nürnberg für Mittelfranken (Tel. 0911 1335-1297, ronald.kuenneth@nuernberg.ihk.de).

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 07|2021, Seite 38

 
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