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Handwerkerhof Nürnberg

Die gute Stube aus Fachwerk und Gässchen

UNT_Handwerkerhof-Nuernberg-Eingang-WiM-12-22-Foto-Daniela-Ramsauer © Daniela Ramsauer

Blick in den Handwerkerhof: Aus einem Projekt zum Dürer-Jubiläum wurde eine dauerhafte touristische Attraktion.

Ursprünglich sollten die Häuser an der Burgmauer nach einem Jahr wieder abgerissen werden. Inzwischen wird viel für ihren Erhalt getan.

Der Handwerkerhof ist aus dem Stadtbild Nürnbergs nicht wegzudenken. Am Tor der Altstadt empfängt er Touristen und Einheimische mit kunsthandwerklichen Geschäften und einem gastronomischen Angebot. Was als mittelalterliches Schmuckkästchen Nürnbergs daherkommt, ist allerdings noch gar nicht so alt: 1971 wurde der Hof anlässlich des 500. Geburtstags von Albrecht Dürer errichtet – und sollte eigentlich nur ein Jahr stehen bleiben. Doch das Konzept aus Fachwerkhäuschen und engen Gassen kam so gut an, dass sie zu einer dauerhaften touristischen Attraktion wurden. Die Stadt investiert kontinuierlich in seinen Erhalt.

Wenn Charlotte Grunow an die Wände ihres Lädchens klopft, klingt das hohl. „Die sind teilweise aus Pappe“, sagt die Inhaberin der Papeterie und Stempelwerkstatt „Anemoi“. Im Jahr 2019 eingezogen, ist Grunow eine der neueren Mieterinnen des Handwerkerhofs. „Ich habe hier eine Werkstatt und einen Verkaufsraum, das waren für mich die ausschlaggebenden Punkte“, sagt die Händlerin. Dass sie ihre Stempel, Siegel und Papeterie-Waren in reizvoller Umgebung fertigt und verkauft, ist für sie eine schöne Begleiterscheinung. Viele Touristen – und inzwischen auch wieder mehr Menschen aus Nürnberg und Umgebung – seien begeistert.

Die Idee einer mittelalterlichen Stadt

Der Handwerkerhof, direkt gegenüber dem Hauptbahnhof gelegen, zieht Menschen aus aller Welt an. „In Spitzenzeiten, also jetzt zur Weihnachtszeit, flanieren bis zu 6 000 Menschen pro Stunde durch“, so Reto Manitz, der für das Marketing des Handwerkerhofs zuständig ist. „Die Leute kommen mit der Idee nach Nürnberg, eine mittelalterliche Stadt zu besuchen. Da kommt der Hof sehr gut an“, sagt er. Dabei wissen die wenigsten – selbst viele Nürnbergerinnen und Nürnberger nicht – dass der Handwerkerhof noch gar nicht so alt ist. Die Messegesellschaft Afag errichtete das Handwerkerstädtchen mit seinen kleinen Häusern und nachgeahmten Fachwerkfassaden zum Dürer-Jubiläum 1971, zu Kosten von damals 800 000 DM, was heute inflationsbereinigt etwa 1,5 Mio. Euro entspricht. Mit dem Nachbau eines historischen Handwerkerhofs wollte man damals den Gästen Nürnbergs zeigen, wie erfolgreich im Mittelalter in der Handelsstadt gearbeitet wurde. Ein Schwerpunkt lag auf der Präsentation der Handwerkskunst: Man konnte selber Kerzen ziehen, der Töpferin beim Tassendrehen und dem Lebküchner beim Backen zusehen oder beobachten, wie Glas im Brennofen glüht. Die engen Gassen sollten den lebendigen Rückblick ins Mittelalter möglich machen. Und sie tun es bis heute: Aus der Grundidee, etwas Schönes für ein Jubiläumsjahr zu schaffen, ist etwas sehr Dauerhaftes geworden.

Kundschaft schätzt Atmosphäre

„Den Leuten gefällt das Urige und Gemütliche. Die sind einfach immer weiter gekommen“, erzählt Ute Jungnick, die Wirtin der Fränkischen Weinstube. Sie hat quasi die Geburtsstunde des Handwerkerhofs miterlebt: Ihre Mutter Carola hatte damals im Jubiläumsjahr 1971 die Kneipe gepachtet. „Das war nur für ein Jahr gedacht und jetzt steht sie immer noch“, sagt Jungnick. Schon als Kind war sie immer hier, ein Leben ohne Fränkische Weinstube und Handwerkerhof ist für sie undenkbar. „Meine Tochter soll das nach mir übernehmen“, sagt sie. Im 52 Jahre alten Familienbetrieb beschäftigt die 58-Jährige mittlerweile zehn Angestellte. Serviert werden regionale Spezialtäten wie Schäufele, Bratwürste und Obazda. Serviert werden „fränkische Weine, die es nicht im Supermarkt gibt“, so die Wirtin.

In den Anfangszeiten sind Jungnicks Eltern hinaus ins fränkische Weinland gereist, um Winzer aufzutun, deren Erzeugnisse sie in der Gaststube anbieten können. „Es gibt noch echte Schoppen bei uns“, also ein Glas, das einen Viertelliter Wein enthält, „Das schätzen die Gäste“, sagt Ute Jungnick stolz. Sie hat viel Stammkundschaft aus Nürnberg und natürlich Touristen. „Seit der Übergang vom Hauptbahnhof in die Innenstadt möglich ist, kommen noch mehr Menschen“, freut sie sich. Die Umsätze liefen von Jahr zu Jahr besser, heuer seien sie am stärksten in der Geschichte der Fränkischen Weinstube. Die Krisen der vergangenen Monate haben auch sie gezwungen, die Preise leicht zu erhöhen, doch die Gäste gehen erfreulicherweise mit. Noch lange, so hofft Jungnick. Leise Zweifel bekommt sie, wenn sie in die Kabelschächte blickt, die 1971 von der Afag gelegt wurden. Auch die urige Weinstube ist nicht für die Ewigkeit gebaut. „Das ist jetzt alles älter. Man weiß nie, wann die das wieder abreißen“, sagt die Wirtin.

Investition in die Weiterentwicklung

Wenn es nach der Stadt geht, wird das erstmal nicht passieren. „Der Handwerkerhof ist durchaus ein wirtschaftlicher Faktor. Wir investieren in seine Weiterentwicklung“, sagt Bernd Rupprecht vom Liegenschaftsamt Nürnberg. 2015 hat die Stadt den Handwerkerhof von der Afag übernommen. Seitdem ist das Liegenschaftsamt für die Vermietung der 14 Objekte zuständig. Rechnet man alle Stockwerke (in der Regel zwei pro Gebäude) zusammen, werden im Handwerkerhof 950 Quadratmeter Nutzfläche vermietet. Doch die Räumlichkeiten werden nicht an jeden vergeben. „Wir achten darauf, dass die Mischung passt“, erklärt Rupprecht. Als die Stadt 2015 übernommen hat, waren das Gelände und auch die Gewerke selbst teilweise in die Jahre gekommen. Der Glasschleifer etwa, der 1971 extra vom Bayerischen Wald nach Nürnberg gezogen war, um beschädigte Kristallgläser auszubessern, hatte immer weniger zu tun. Wer Sasse – die Bezeichnung stammt aus dem Althochdeutschen und steht für „Handwerker“ – werden will, muss ein Konzept vorlegen, das zeigt, was er oder sie tut. Dabei muss gewährleistet sein, dass zum einen handwerklich gearbeitet wird und zum anderen die dabei produzierten Waren auch verkauft werden. Einen großen Teil der Renovierungsarbeiten leisten die Sassinnen und Sassen selbst. Doch auch die Stadt hat in den letzten Jahren begonnen, Gebäude und Fenster herzurichten und das Stromnetz zu verbessern.„Wir versuchen den Manufaktur-Charakter aufrechtzuerhalten und gleichzeitig neue, spannende und qualitativ hochwertige Produkte reinzuholen, die den Charakter des Hofes unterstreichen“, so Reto Manitz.

Das Konzept scheint aufzugehen: Die Nürnbergerinnen und Nürnberger, die genervt am Eingangstor warten, während die Bekanntschaft aus dem Ausland eine Runde durch den Hof dreht, sind weniger geworden. „Ich bin keine Touristenfängerin. Ich freue mich über alle. Zu mir kommen viele Menschen aus Nürnberg und der Region, um sich bei mir einen Stempel machen zu lassen“, sagt Charlotte Grunow von „Anemoi“. „Es dreht sich, der Handwerkerhof zieht mehr Leute an. Es hat sich nicht nur optisch unheimlich viel getan“, ist auch Thomas Dornauer überzeugt. Der Lebküchner ist wie „Anemoi“ im wirtschaftlich eher ungünstigen Corona-Jahr 2019 in den Handwerkerhof eingezogen. „Würzig und feucht“, so preist das Team des Familienbetriebs die Lebkuchen an, die sie im Laden auf einem Tablett zum Verkosten anbieten. Außerdem gibt es Schokolade in jeder erdenklichen Form – angefangen vom klassischen Nikolaus bis hin zur Pizza. Nicht zu vergessen: die Dürer-Kugel, die Dornauer 2018 patentieren hat lassen. „Eine weiche Masse in Kugelform, mit vielen Gewürzen, Landhonig und Marzipan. Es ist keine Praline, es gibt nichts Vergleichbares“, beschreibt Thomas Dornauer seine Schöpfung. Damit er die Dürer-Kugel und seine Lebkuchen im Handwerkerhof verkaufen kann, hat Dornauer viel unternommen: Sich intensiv um das Ladengeschäft beworben, dann viel Geld reingesteckt, um es herzurichten. „Der Ort hier ist unheimlich interessant und das Flair toll“, begründet der Lebküchner sein Engagement. Rentiert haben sich seine Lebküchnerei und Chocolaterie an diesem Standort bislang noch nicht. Doch Dornauer ist überzeugt: Langfristig werden sich die Investitionen in Nürnbergs gute Stube lohnen.

Autor/in: 

(dr.)

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 12|2022, Seite 66

 
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