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Lieferketten

Wie steht es um die Menschenrechte?

SPEC_FINANZ_Lieferketten-WiM-02-03-2023-Illu-Anton-Atzenhofer © Anton Atzenhofer

Das Lieferkettengesetz ist am 1. Januar 2023 in Kraft getreten. Was müssen die Betriebe jetzt tun?

Zum Jahreswechsel 2023 ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG, kurz Lieferkettengesetz) in Kraft getreten. Deutsche Unternehmen müssen fortan auf die Einhaltung von Menschenrechten auch bei ihren Lieferanten achten. Dazu gehören beispielsweise der Schutz vor Zwangsarbeit und Kinderarbeit, das Recht auf faire Löhne oder das Einhalten von Umweltstandards. Das LkSG betrifft zunächst nur rund 900 Unternehmen mit mindestens 3 000 Beschäftigten in Deutschland. Ab 1. Januar 2024 müssen dann auch Betriebe mit mehr als 1 000 Beschäftigten in Deutschland die Verpflichtungen erfüllen.

Was das neue Gesetz in der Praxis für die Unternehmen bedeutet, beleuchtete ein Seminar der IHK Nürnberg für Mittelfranken mit dem Titel "Update Lieferkettengesetz – Auch kleine und mittlere Unternehmen betroffen – Warum sich alle Import- und Exportfirmen vorbereiten sollten!". Der Untertitel machte klar, dass sich nicht nur Unternehmen der genannten Betriebsgrößen mit dem Thema beschäftigen müssen.

"Mit dem Sorgfaltspflichtengesetz erwartet die Bundesregierung, dass Unternehmen entsprechende Prozesse einführen und damit die Sorgfalt bei der Achtung der Menschenrechte sicherstellen", erläuterte Christian Hartmann, Außenwirtschaftsreferent bei der IHK Nürnberg für Mittelfranken. Diese Sorgfaltspflichten leiten sich aus den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte ab, die 2011 von den Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedet wurden. Sie sehen Staaten in der Verantwortung, Menschenrechte zu schützen, weisen jedoch ausdrücklich auch Unternehmen Verantwortung im Sinne einer menschenrechtlichen Sorgfalt zu. Hartmann warnt aus seiner Beratungserfahrung davor, die neue Gesetzeslage als Bedrohung für die Betriebe zu sehen: Die meisten Unternehmen hätten auch bisher schon vieles richtig gemacht und müssten sich deshalb nicht in großem Maße neu aufstellen.

Das bestätigte auch Carla Everhardt, Associate Partner bei der Nürnberger Beratungsgesellschaft Rödl & Partner, in ihrem Sachstandsbericht zu dem neuen Gesetz. Die häufig geäußerte Befürchtung, dass nun komplett neue Verkehrssicherungspflichten auf deutsche Unternehmen zukämen, hält die Rechtsanwältin für übertrieben: "Alle Themen sind längst bekannt und die Unternehmen betrachten sie im eigenen Betrieb längst als selbstverständlich." Neu sei jedoch, dass die Standards jetzt auch für das erste Glied der Lieferkette gelten, also für Lieferanten, die vertraglich direkt an das Unternehmen angebunden sind. Diese unmittelbaren Zulieferer seien künftig in punkto Menschenrechte genauso zu behandeln wie die eigenen Geschäftsbereiche. "Das LkSG normiert nun erstmals rechtsverbindliche Sorgfaltspflichten auch außerhalb des eigenen Betriebs", erläuterte die Expertin.

Auch mittelbare Lieferanten betroffen

Die neuen Pflichten können auch für mittelbare Lieferanten zutreffen: Allerdings nur, wenn der Kunde Kenntnis von Verstößen bekommt, zum Beispiel durch Hinweisgeber oder Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Dann muss das Unternehmen ebenfalls tätig werden. Dabei geht es um grundlegende Menschenrechte wie Zwangsarbeit, Kinderarbeit oder Arbeitnehmerschutz sowie um Umweltstandards, nicht aber um Tarifstandards.

Bei Kenntnis von Verstößen müssen die Unternehmen tätig werden und diese dokumentieren. "Hier gilt es, zu begründen, warum und wie man mit dem Lieferanten weiter zusammenarbeitet", so Everhardt. Auch Mitgliedschaften in Branchenvereinigungen könnten helfen, dieses Bemühen zu belegen: "Dadurch können Unternehmen ins Feld führen: Ich kümmere mich", sagt die Expertin. Denn nach dem Gesetz ist "ein Bemühen" des Unternehmens geschuldet – und nicht unbedingt ein Erfolg. "Die Maßnahmen müssen angemessen und wirksam sein", so die Rechtsanwältin. Außerdem ist die Frage, welche Möglichkeiten ein Unternehmen hat, auf den Partner einzuwirken. Ein Abbruch der Geschäftsbeziehungen ist auch im Gesetz nur als letzte Maßnahme vorgeschrieben.

Bei den Verstößen handelt es sich um eine Ordnungswidrigkeit, eine zivilrechtliche Haftung der Kunden ist nicht vorgesehen. Allerdings sind empfindliche Strafen möglich: Bis zu zwei Prozent des Konzernumsatzes können im schlimmsten Fall als Bußgeld fällig werden. Außerdem kann der Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen für bis zu drei Jahren drohen.

Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) hat signalisiert, dass es die Wirtschaft bei der Umsetzung des LkSG unterstützt. So hat die Behörde eine Handreichung zum Thema "Risikoanalyse" aufgelegt, der unter www.bafa.de (Rubrik „Lieferketten / Risikoanalyse“) abrufbar ist. Diese soll die Unternehmen dabei unterstützen, ihren gesetzlichen Sorgfaltspflichten nachzukommen. Außerdem hat das BAFA einen Fragenkatalog zur Berichterstattung veröffentlicht. Damit können Unternehmen prüfen, wie sie ihrer Berichtspflicht nachkommen. Dennoch ist bei der Umsetzung der neuen Norm vieles bisher noch offen: "Wir befinden uns mit dem neuen Gesetz – dem bisher noch jegliche Praxis fehlt – auf einer Lern- und Entdeckungsreise", sagt die Rechtsanwältin: "Alle fahren erst einmal auf Sicht."

Mit dem neuen Gesetz haben die Unternehmen nun zusätzliche Sorgfaltspflichten und müssen regelmäßig einen Bericht über deren Einhaltung veröffentlichen. Außerdem ist im Betrieb festzulegen, welche Mitarbeiter für die Umsetzung zuständig sind. "Dazu sollten die Unternehmen sowohl Vertrieb als auch Einkauf oder Produktion ins Boot holen", rät die Anwältin. Die Kunden müssen für ihre Lieferanten eine Risikoanalyse durchführen und ein Risikomanagement einrichten sowie Präventions- und Abhilfemaßnahmen festlegen. Für das ebenfalls nötige Beschwerdeverfahren gibt es Dienstleister, die man damit beauftragen kann. Und die Prozesse müssen dokumentiert und so gestalten werden, dass sie beherrschbar sind. Die Datenbasis muss dabei transparent und auswertbar sein. "Das geschieht am besten IT-gestützt", riet die Referentin. Die Unternehmen dürfen die erkannten Risiken priorisieren und nach und nach abarbeiten. "Hier ist es ebenfalls wichtig, sorgfältig zu dokumentieren und gut zu argumentieren", so Everhardt. Auch die EU arbeitet derzeit an einer Richtlinie zum Thema Lieferketten. Allerdings wird es wohl noch mindestens zwei Jahre dauern, bis diese verabschiedet wird. Carla Everhardt erwartet für diesen Fall, dass es zu einem Nachschärfen des deutschen Rechtsrahmens kommt: "Auf keinen Fall wird es ein Nebeneinander der beiden Gesetze geben."

Eine Hilfestellung für die betroffenen Unternehmen stellte Katharina Schöne, Senior Sales Executive bei der Cargodian GmbH mit Sitz in Rohrdorf, vor. Die Lieferketten-Compliance lasse sich in kleinen und mittleren Unternehmen beispielsweise durch Automatisierung umsetzen. Die digitale Plattform Trustnet.trade, eine cloudbasierte Software als "Compliance-as-a-Service" zur Einhaltung von Anforderungen zum LkSG, solle den Betrieben helfen, den bürokratischen Mehraufwand in den Griff zu bekommen (https://trustnet.trade/de/).

Beispiel aus der betrieblichen Praxis

Über die Umsetzung in der Praxis des LkSG berichtete Benjamin Götz, Leiter Zollabwicklung, Exportkontrolle und Supply-Chain-Management bei der Dehn SE in Neumarkt. Dort wurde eine Arbeitsgruppe aus zahlreichen Bereichen gegründet: Vertreten sind neben dem Finanzchef und dem Chief Operating Officer (COO) Experten aus Einkauf und Planung, Recht, Compliance und Risikomanagement, Zollabwicklung, Exportkontrolle, Vertrieb sowie Qualitäts- und Umweltmanagement. Die Arbeitsgruppe hat sich zunächst einen Überblick über die Lieferanten verschafft. Die Risikoanalyse besteht aus einer Kombination aus Länder- und Branchen-Indizes, eigener Einschätzung sowie Gewichtung und Priorisierung. Der nächste Schritt war ein Screening aller Zulieferer, um die "Hochrisiko-Lieferanten" zu identifizieren. Für diese wurden dann Maßnahmen wie LkSG-Fragebögen oder Vor-Ort-Audits geplant, um die Risiken zu verringern.

Autor/in: 

(leo.)

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 02|2023, Seite 34

 
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