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Azubi-Recruiting

Wie kommt man zusammen?

Bewerbungsgespräch © Harbucks/GettyImages.de

Studie der TH Nürnberg: Jugendliche Bewerber und Personaler reden beim Bewerbungsgespräch oft aneinander vorbei.

Finden die Ausbildungsbetriebe mit den klassischen Bewerbungsverfahren tatsächlich die geeigneten Bewerber heraus? Oder könnte es sein, dass Ausbildungsplätze auch deshalb nicht besetzt werden, weil geeignete Bewerber damit nicht erkannt werden? Mit diesen Fragen rund um das Azubi-Recruiting beschäftigt sich das Projekt „AzuRe – Warum Unternehmen (keine) Azubis finden“ der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm. Koordiniert wird es von Prof. Dr. Raphael Verstege (Professor für HR- Management und Berufspädagogik) und Prof. Dr. Sabine Fromm (Professorin für Soziologie).

Den Hintergrund der Studie bilden widersprüchliche Entwicklungen auf dem Ausbildungsmarkt: Auf der einen Seite sind laut einer aktuellen OECD- Studie in Deutschland fast 1,7 Mio. junge Erwachsene ohne Berufsausbildung bzw. -abschluss. Auf der anderen Seite suchen Unternehmen hände- ringend geeignete Auszubildende. Wie passt das zusammen? Ein Teil der Antwort besteht darin, dass es tatsächlich weniger Jugendliche gibt, die eine betriebliche Ausbildung anstreben. Dennoch finden nach wie vor auch viele ausbildungsinteressierte Jugendliche keinen Ausbildungsplatz. Ist die „heutige Jugend“ also ungeeignet für eine Ausbildung? Oder zu anspruchsvoll? Oder liegt es teilweise auch an den Unternehmen, denen es im Auswahlverfahren nicht gelingt, geeignete Bewerber zu identifizieren?

Auswahlverfahren auf dem Prüfstand

Eine zentrale Frage des „AzuRe“-Projekts lautet deshalb: Sind die gängigen Einstellungsverfahren geeignet, eine effiziente Auswahl aus dem Pool der vorhandenen Bewerber zu treffen? Denn wenn die Zahl der Ausbildungsinteressierten kleiner wird, ist es umso wichtiger, dass potenziell geeignete Bewerber nicht übersehen werden. Fromm und Verstege berücksichtigten in ihrer Studie sowohl die Perspektive der Bewerberinnen und Bewerber als auch die Perspektive der ausbildenden Betriebe.

  • In einem ersten Schritt wurden 15 ausgewählte Ausbildungsbetriebe u. a. zum Ablauf ihrer Auswahlverfahren und den damit verbundenen Erfahrungen befragt. Darauf aufbauend wurde eine standardisierte Online-Befragung durchgeführt, an der 80 weitere Unternehmen (499 bis 3 000 Mitarbeiter) der Metropolregion teilnahmen.
  • Danach wurden über 200 Mittelschülerinnen und Mittelschülern befragt. Insbesondere ging es dabei um die berufliche Orientierung der Jugendlichen und deren Erwartung an bzw. Erfahrung mit betrieblichen Auswahlverfahren. 
  • In Schritt drei wurden dann simulierte Bewerbungsinterviews zwischen Recruitern und ausbildungsinteressierten Jugendlichen durchgeführt, die weitestgehend realitätsnah konzipiert waren (Bewerbungsunterlagen, Ambiente etc.). Diese wurden digital aufgezeichnet, sodass nachfolgende Analysen einen genaueren Einblick in den Gesprächsverlauf und auch in emotionale Aspekte ermöglichten.

Nach den drei Untersuchungsschritten ergab sich ein deutliches Bild: Die Interviews mit den Bewerbern sind für zwei Drittel der Ausbildungsunternehmen das entscheidende Instrument im Bewerbungsprozess. Meist orientieren sich die Interviews an (teil-)strukturierten Fragebögen, aber auch dem „Bauchgefühl“ kommt eine wichtige Rolle bei der Auswahl zu. Die Bewerberinnen und Bewerber verfügen oftmals über konkrete Berufswünsche und wurden durch den Unterricht zumindest gut auf die rein formalen Aspekte eines Bewerbungsprozesses vorbereitet.

Allerdings – und das zeigte sich in den simulierten Interviews – ist ihr Auftreten in den Gesprächen mit den Recruitern eher unterdurchschnittlich. Die Folge: Wenn die Personaler keine Interviewtechniken verwenden, um sich an die jeweilige Gesprächssituation anzupassen, sprechen beide Seiten inhaltlich und emotional aneinander vorbei. Wenn zudem Interviewfragen verwendet werden, die kaum diagnostische Qualität aufweisen, hat die Entscheidung für oder gegen einen Bewerber wenig mit dem späteren Ausbildungserfolg zu tun. „Erstaunlich war die oft große Diskrepanz zwischen sorgfältig geplantem Bewerbungsinterview und dem wenig fundierten Auswahlergebnis“, so Prof. Raphael Verstege. „Die Entscheidung für oder gegen einen Auszubildenden fiel oftmals eher aufgrund von unbewussten Überzeugungen und nicht aufgrund einer qualitativen Prognose, ob der Bewerber eine Ausbildung erfolgreich absolvieren kann.“

Was bedeuten diese Ergebnisse für die Unternehmen – und für die Jugendlichen?

  • Für die Unternehmen lohnt es sich, sich nicht nur auf die Akquise von Azubis zu konzentrieren, sondern auch ihre Strategien und Methoden im Azubi-Recruiting zu prüfen.
  • Dabei sollten auch Bewerbergruppen berücksichtigt werden, denen häufig schon vorab die Fähigkeit abgesprochen wird, eine Ausbildung bewältigen zu können (z. B. Mittelschülerinnen und Mittelschüler). Vermutlich werden diese Bewerber mit den standardmäßig eingesetzten Verfahren oft falsch bewertet. 
  • Deshalb sollten die Elemente des Recruiting auf den Prüfstand kommen. Das gilt vor allem dann, wenn Recruiter und Jugendliche im Bewerbungsinterview buchstäblich aneinander vorbeireden oder wenn sich die Jugendlichen aus verschiedenen Gründen mündlich nicht gut präsentieren können. Nötig sind dann andere Methoden, mit denen sich die Ausbildungsfähigkeit verlässlich bewerten lässt und die zugleich praktikabel sind. So ist das Potenzial von Arbeitsproben, die sich auf die gestellten Anforderungen beziehen, oft nicht bekannt bzw. wird kaum genutzt. Dann würde es den Unternehmen gelingen, den vorhandenen Bewerberpool besser auszuschöpfen – und mehr Jugendliche erhielten Zugang zu einer Ausbildung.

„Wir müssen neue Wege gehen, damit Jugendliche als Fachkräfte befähigt werden“, so Prof. Sabine Fromm. „Dass die Zahl der Jugendlichen ohne beruflichen Abschluss trotz Fachkräftemangel sogar noch zunimmt, können wir uns weder wirtschaftlich noch sozialleisten.“

 

Mittelschüler als Azubis

IHK-Ausbildungsbetriebe stellen höhere Anforderungen an ihre Bewerber als dies bei Handwerksbetrieben der Fall ist. Das ergab eine aktuelle Auswertung der Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit. In Mittelfranken werden nur rund 49 Prozent der ausgeschriebenen Lehrstellen im IHK-Bereich auch an Jugendliche mit Mittelschulabschluss adressiert und zwar auch in Berufen, in denen viele Azubis mit Mittelschulabschluss ausgebildet werden. Von den Handwerksbetrieben sind dagegen rund 76 Prozent offen für Bewerbungen von Mittelschülern.

Stefan Kastner, Leiter des IHK-Geschäftsbereichs Berufsbildung, appelliert deshalb an die Ausbildungsbetriebe: „Geben Sie bitte auch Mittelschülerinnen und Mittelschülern eine Chance und laden Sie sie zu Bewerbungsgesprächen ein. Oftmals wären diese hervorragend geeignet, bewerben sich jedoch nicht, weil sie sich keine Chancen einräumen. Übrigens: Auch nach dem Start des Ausbildungsjahres am 1. September ist es noch möglich, offene Lehrstellen zu besetzen!"

Externer Kontakt:

TH Nürnberg:

Prof. Dr. Sabine Fromm

Prof. Dr. Raphael Verstege

Nähere Informationen zum Projekt „AzuRe“ im Forschungsmagazin der TH Nürnberg: www.th-nuernberg.de/projekt-azure/

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 10|2023, Seite 34

 
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