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Biodiversität

Die Vielfalt bewahren

Die Zahl der Arten und die genetische Vielfalt schwinden. Was können Betriebe für die Biodiversität tun?

Biodiversität und Verhinderung des Artensterbens gehören auf den ersten Blick nicht zu den strategischen Handlungsfeldern von Unternehmen. Dabei sind weltweit etwa eine Million Arten vom Aussterben bedroht, wie der Weltbiodiversitätsrat (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services; IPBES). Wilde Arten sind für die Ökosysteme und Menschen jedoch elementar wichtig. Fast die Hälfte der Weltbevölkerung ist mehr oder weniger stark auf die Nutzung wildlebender Arten angewiesen. Artenvielfalt ist auch eines der Ziele des "Green Deal" der EU, erklärte Katharina Boehlke vom Geschäftsbereich Innovation | Umwelt der IHK Nürnberg für Mittelfranken beim IHK-Webinar "Biodiversität auf dem Firmengelände – Beitrag zum betrieblichen Umweltmanagement".

Marion Hammerl, Expertin der Bodensee-Stiftung aus Radolfzell, warnte vor den operativen Risiken, die für Betriebe durch den Verlust von Biodiversität entstehen. Dazu gehöre beispielsweise die eingeschränkte Verfügbarkeit oder die Verteuerung von pflanzlichen und tierischen Rohstoffen. Auch Produktionsverfahren seien auf "Bio-Dienstleistungen" wie ausreichend sauberes Wasser, fruchtbare Böden oder Bestäubungen von Pflanzen angewiesen. Aus Sicht von Hammerl steht es allerdings schlecht um die Vielfalt von Genen, Arten und Ökosystemen: "Wir befinden uns im sechsten Massenaussterben unserer Erde." Das Ziel der Internationalen Konvention zur Biodiversität (CBD), den Artenverlust bis 2020 zu stoppen, sei verfehlt worden. Die aktualisierten Ziele bis 2030 sehen etwa den Schutz von 30 Prozent der Landfläche, einen halbierten Pestizideinsatz und den weltweiten Abbau naturschädlicher Subventionen vor.

Gesetzliche Regelungen zur Biodiversität

Unternehmen seien bei diesem Thema nicht nur Risiken wie Reputationsverlust oder Haftungsrisiken ausgesetzt. Zunehmend bestünden auch regulatorische Risiken, die sich aus internationalen Übereinkommen, Regularien der EU und nationalen Gesetzen ergeben. Unternehmen würden zunehmend in die Pflicht genommen, die Auswirkungen ihres Geschäfts auf die Biodiversität zu analysieren und offenzulegen. "Unternehmen sind gut beraten, sich nicht nur mit Menschenrechten zu befassen, sondern auch Umweltaspekte zu berücksichtigen", unterstrich Hammerl mit Blick auf die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD), die erstmals ab nächstem Jahr für Unternehmen Pflicht wird. Neben allen in der EU börsennotierten Unternehmen müssen auch alle Firmen die nicht-finanzielle Berichtspflicht erfüllen, wenn sie zwei von drei Kriterien (Bilanzsumme über 20 Mio. Euro, mehr als 40 Mio. Euro Umsatz, 250 Mitarbeiter im Jahresdurchschnitt) erfüllen. Unterstützung für Unternehmen liefert laut Hammerl etwa das Umweltmanagementsystem EMAS III über den betrieblichen Flächenverbrauch in Bezug auf die biologische Vielfalt oder auch die ISO 14001, um Biodiversität in Geschäftsprozessen zu berücksichtigen.

Die Schwabacher Maschinenfabrik Niehoff GmbH & Co. KG hat ihren "blühenden Betrieb" in das betriebliche Umweltmanagement integriert. "EMAS ist hier ein ganz wichtiger Baustein", betonte der betriebliche Umweltmanagement-Beauftragte Dr. Bernd Müller. Das EMAS-Reporting liefere auch für den Bereich Biodiversität Kennzahlen und Maßnahmen. Der Hersteller von Anlagen für die Draht- und Kabelindustrie hat mit dem Neubau des Stammsitzes zahlreiche energetische Maßnahmen umgesetzt. Zusätzlich sind Grünflächen mit heimischen Rosen und Lavendel begrünt und locken damit viele Insekten an. Der Rasen selbst wird nur zweimal im Jahr gemäht. An den Hallenwänden wachsen am Obstspalier kleine Obstbäume und Beerensträucher. "Biodiversität ist allerdings kein Selbstläufer", so Müller. "Es braucht in den Betrieben einen Kümmerer mit entsprechendem Budget." Die Aktivitäten stoßen dann seiner Erfahrung zufolge aber nach innen und außen auf positive Resonanz: "Das betrifft auch Bewerber, Kunden und Lieferanten."

Die Ingolstädter Audi AG ist 2015 der Initiative "Biodiversity in Good Company" beigetreten, so Dr. Antje Arnold, Referentin Umweltschutz und Biodiversität bei Audi. Das hauseigene Umweltprogramm nimmt die vier Handlungsfelder Dekarbonisierung, Ressourceneffizienz, Wassernutzung und Biodiversität in den Fokus. Der Fertigungsstandort Münchsmünster nahe Ingolstadt gilt dabei als "Leuchtturmprojekt", für das Arnold gemeinsam mit externen Partnern einen Biodiversitätsindex als Messinstrument erarbeitet hat. Damit werden knapp 60 Parameter erfasst, darunter z. B. Liegenschaftsmanagement und Architektur oder auch Forschung und Zusammenarbeit mit Verbänden.

Über das Monitoring der naturnah gestalteten 17 Hektar in Münchsmünster lassen sich qualitative Erfolge ablesen. So liegt die Zahl der Wiesenpflanzen bei deutlich über 160, während auf üblichen Rasenflächen nur zehn bis 20 Arten nachzuweisen sind. Außerdem findet sich auf dem biotopartigen Gelände mit Magerwiesen, Stauden- und Gehölzflächen eine hohe Vielfalt an Wildbienen. Ein Wiesengarten, Totholzbereiche, Erdaufschüttungen und ein strukturreicher Bachlauf sind ebenfalls in das Konzept integriert und werden von Biologen begleitet.

Arnold bindet auch die Belegschaft ein. Im Zuge eines Azubi-Projekts wurde auf einer Fläche von 1,2 Hektar ein Biotop anlegt, das fortlaufend von den Azubis betreut wird. "Das schafft gleichzeitig Biodiversität und Bewusstseinsbildung." Außerdem lassen sich die neuen Flächen für Team-Events oder Vorträge nutzen. In einem Pilotprojekt begrünten Mitarbeiter kleinere Flächen zwischen Gebäuden und pflegen sie fortlaufend.

Daniela Bock, Inhaberin der Nürnberger Grosser-Seeger & Partner mbB, rückte das nachhaltige Regenwasser-Management in den Fokus. Der Dienstleister für Landschaftsarchitektur und Stadtplanung entwickelt angesichts häufigerer Starkregenereignisse in Mittelfranken neue Regenwasserkonzepte. Es gehe nicht mehr vorrangig um das Ableiten oder Sammeln, sondern um das Versickern und Verdunsten der Niederschläge. Das funktioniere durch überirdisches Verteilen in Mulden oder durch Retentionsdächer, die Regen zurückhalten und verdunsten. Als Einzelmaßnahmen könnten Unternehmen hierfür etwa Parkplätze und andere gebäudenahe Flächen entsiegeln oder eine sanfte Geländemodellierung schaffen. Dachwasser lasse sich etwa gut in Baumrigolen ableiten. Bei Erweiterungsbauten oder Dachsanierungen sollte gleich eine Dachbegrünung mitgeplant werden. Außerdem gehörten robuste Bäume aufs Areal. Letztlich bestehen für Bock gute Lösungen aus lauter kleinen Teillösungen: "Es gibt aber keine Lösung von der Stange."

Autor/in: 

tt.

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 10|2023, Seite 20

 
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