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Naher Osten

Karten werden neu gemischt

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Kräfteverhältnisse in Nahost verschieben sich: Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft.

Fast eine halbe Milliarde Menschen, Durchschnittsalter 27 Jahre und vielfältige politische und militärische Konflikte: So präsentieren sich derzeit Nordafrika und der Nahe Osten. Dennoch sind die Länder der sogenannten MENA-Region ("Middle East and North Africa") wichtige deutsche Handelspartner, insbesondere Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate sowie die Türkei und Israel. "Ich finde es faszinierend, dass die deutschen Unternehmen trotz der vielen Konflikte so enge Beziehungen in die Region haben", sagte Christian-Peter Hanelt, Nahost-Experte bei der Bertelsmann-Stiftung in Berlin, vor dem IHK-Außenwirtschaftsausschuss.

Konfliktlinien in Nahost und Nordafrika: Das Massaker der Hamas in Israel und der Krieg im Gaza-Streifen träfen nicht nur das eigentliche Kriegsgebiet, sondern hätten auch Folgen für die Wirtschaft in der ganzen Region. Hanelt, der früher als Fernsehjournalist lange aus der Region berichtet hatte, nannte weitere Konfliktlinien, die sich teilweise überlappen und verstärken: traditionelle Landkonflikte (Palästina, Westsahara, Kurdengebiete), Identitätskonflikt der Türkei zwischen Asien und Europa, Kampf zwischen Saudi-Arabien und dem Iran um die regionale und religiöse Vorherrschaft sowie die Frage nach der Legitimation von Macht, die auch nach dem "Arabischen Frühling" weiter ungelöst sei.

Vor dem Hintergrund dieser Konflikte vollziehen sich nach Aussage Hanelts auch grundlegende wirtschaftliche Veränderungen, die die westlichen Industrieländer herausfordern: Viele Länder der Region empfinden die bisherigen Handelsbeziehungen mit dem Westen als zu einseitig. Deshalb werden jetzt zunehmend selbstbewusst Forderungen gestellt, beispielsweise was die Öffnung der europäischen Agrarmärkte angeht. Selbstbewusstsein legen die Partnerländer auch bei den Energiepartnerschaften mit Europa an den Tag: Das betrifft die Erschließung der neuen Gasfelder im östlichen Mittelmeer sowie die Zusammenarbeit bei Klimaschutz, erneuerbaren Energien und Wasserstoff.

Trotz der Machtverschiebungen sieht Nahost-Experte Hanelt große Chancen der Zusammenarbeit zwischen der EU und den MENA-Staaten. Einige Beispiele: Meerwasser-Entsalzung, Energienetze und -infrastruktur, Datenautobahnen sowie Reduktion des CO2-Ausstoßes bei fossiler Fördertechnik. Ein zentrales Element sei die Ausbildung von Fachkräften, an denen es trotz der jungen Bevölkerung fehle. Und noch etwas anderes müsste sich dringend ändern – die schleppende Erteilung von Visa an den Botschaften Deutschlands und auch der Partnerländer. Das müsse viel schneller und komplett digital gehen, so die einhellige Forderung der IHK-Ausschussmitglieder.

Sicherheit bei Geschäftsreisen: Der aktuelle Krieg in Nahost wirkt sich auch auf die Sicherheit bei Geschäftsreisen aus. Das berichtete Udo Kummer, Geschäftsführer der B.U.K. GmbH in Neunkirchen am Sand, die Unternehmen bei Geschäftsreisen insbesondere in arabische Länder berät. Dort bestehe eine höhere Gefahr, Opfer von Anschlägen zu werden. Selbst Kleinkriminelle träten im Gefolge der pro-palästinensischen Demonstrationen nun selbstbewusster auf. Kummer mahnte, eine gute Vorbereitung sei bei Reisen in Krisengebiete immer unerlässlich. Es gebe einige grundlegende Tipps (z. B. Kopien von wichtigen Dokumenten, medizinische Vorkehrungen), aber jedes Land müsse einzeln betrachtet werden – bis zur Frage der Sicherheit in einzelnen Stadtvierteln.

USA wollen sich weiter weltweit engagieren: Die geopolitischen Verschiebungen auf der Welt fordern insbesondere auch die Vereinigten Staaten heraus, sagte Timothy E. Liston, US-Generalkonsul in München. Die USA werde Israel im Kampf gegen die Terrororganisation Hamas weiter unterstützen und auch die Hilfen für die Ukraine fortsetzen. Der Diplomat dankte der deutschen Wirtschaft, dass sie die Sanktionen gegen Russland mitträgt. Es sei offensichtlich, dass die wertebasierte Weltordnung auf dem Spiel stehe und dass sich viele Länder auch im Handel nicht mehr an Regel halten (z. B. chinesische Überproduktion von Stahl und subventionierte Photovoltaik-Exporte). Das Konzept "Wandel durch Handel" sieht Liston als gescheitert an. Es gelte deshalb, zwar die Zusammenarbeit im Klimaschutz fortzusetzen, aber gefährliche Abhängigkeiten in High-Tech-Bereichen zu verhindern.

Liston ging auch auf die Diskussion um den "Inflation Reduction Act" ein, mit dem die US-Regierung die Dekarbonisierung der Wirtschaft voranbringen will. Die Initiative bedeute keine Abschottung gegen ausländische Konkurrenz, vielmehr nehme man die Kritikpunkte der EU ernst und habe Anpassungen vorgenommen. Die enge Zusammenarbeit mit den Europäern sei im amerikanischen Interesse. "Deshalb ist auch das Scheitern des Freihandelsabkommens TTIP eine vertane Chance", sagte Liston.

Autor/in: 

(bec.)

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 02|2024, Seite 26

 
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