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Der Pinguin fühlt sich wohl in Mittelfranken

Als vor vier Jahren das Jungunternehmen SuSE mit dem IHK-Gründerpreis ausgezeichnet wurde, staunten nicht wenige über das Geschäftsmodell: Die vier Gründer brachten das alternative Betriebssystem Linux kostenlos unters Volk und verdienten ihr Geld im Support – also etwa mit Handbuch, Installations- und Anpassungshilfe.

Entstanden ist Linux vor zehn Jahren mehr oder minder aus einer Feierabend-Spielerei des finnischen Studenten Linus Torvald, der innerhalb von drei Wochen eine Vorabversion für ein frei zugängliches PC-Betriebssystem entwickelte. Der eigentliche Clou: Statt das Herzstück seiner Entwicklung - die Quellcodes - im Tresor verschwinden zu lassen und auf ein Geschäft à la Microsoft zu setzen, stellte er es als „Open Source“ für jeden einsehbar ins Internet. Wer das Unix-basierte System nutzt, zahlt für den Download aus dem Netz an Torvald keinen Pfennig. Verbesserung statt Vermarktung lautet seine Devise, denn weltweit sollten findige Anwender an Linux, dessen Markenzeichen der sitzende Pinguin ist, mitdiskutieren und mitentwickeln. Einziges Gesetz der entstehenden Linux-Community: Was auf diese Weise entsteht, soll wiederum als Open Source ins Netz.

Obwohl Linux grundsätzlich frei ist, wird es doch durch eine Lizenzvereinbarung geschützt. Damit Linux auch dauerhaft frei bleibt, unterstellte der Finne „sein“ Betriebssystem der GNU General Public License (GPL), einer unabhängigen Lizenz der amerikanischen Free Software Foundation. Diese Vereinbarung regelt die Lizenzierungsrechte freier Software und verhindert so zum Beispiel, dass Distributoren eines freien Programms Patente oder Eigentumsrechte auf dieses anmelden.

Aus Torvalds kleinem Hobby wurde rasch eine große Sache. Mittlerweile ist das Betriebssystem Linux im Server-Bereich zu einer ernsthaften Konkurrenz für den US-Softwareriesen Microsoft herangewachsen. Der Marktanteil bei Serverbetriebssystemen soll im vergangenen Jahr bei 27 Prozent gelegen haben, eine andere Studie geht von 28,5 Prozent aus - das wäre weltweit Platz zwei hinter Microsofts Windows-Software. Linux gilt bei den Anwendern als flexibler, stabiler und sicherer als herkömmliche Betriebssysteme und hat einen weiteren bestechenden Vorteil: Die Installation von Linux dürfte um mehr als 95 Prozent günstiger als ein kommerzielles Betriebssystems sein.

Bis zum Jahr 2003 prognostiziert die amerikanische International Data Corporation für die Verbreitung von Linux Wachstumsraten von mindestens 25 Prozent pro Jahr. Andere Betriebssysteme können nach Ansicht der Marktforscher lediglich Steigerungsraten zwischen zehn und zwölf Prozent für sich verbuchen. Deutschland gilt im internationalen Vergleich als Markt mit der höchsten Anwenderschaft pro Rechner – ob privat oder professionell.

Die 1992 gegründete Studenten-Firma SuSE, die heute als SuSE Linux AG firmiert, hat sich zu einem Marktgewicht und „Hidden Champion“ von internationalem Rang gemausert und beansprucht mindestens „im Entwicklungsbereich eine führende Rolle“, sagt der seit kurzem amtierende SuSE-Vorstandschef Johannes Nussbickel. Und schiebt mit Blick auf die Erlanger Linux-Entwickler von Caldera nach: „In Mittelfranken findet sich die weltweit größte Dichte an Linux-Entwicklern. Wir sind ein Linux-Valley.“

Das Produkt- und Leistungsportfolio beinhaltet Konzeption und Implementierung kompletter IT-Infrastrukturen, Internet-Anbindungen, Sicherheitskonzepte sowie Datenmanagement auf Linux-Basis. Im Visier haben die IT-Spezialisten große und mittelständische Unternehmen aus den Bereichen Banken und Finanzdienstleistungen, Telekommunikation sowie Internet Service Providing, aber auch die Automobilindustrie und Behörden. „Sie alle sind auf ein stabiles und leistungsfähiges Betriebssystem angewiesen, das sich einfach verwalten und bedienen lässt‘“, so Nussbickel. Diesen Anforderungen will sich SuSE aus der Nürnberger Zentrale mit ihrer Eschborner Tochter SuSE Linux Solutions sowie Niederlassungen in Frankreich, Großbritannien, Italien, der Tschechischen Republik und den USA stellen.

Im Serverbereich sieht sich SuSE gut positioniert, die Anwenderliste ist lang. Neben Marktriesen wie T-Online, Lufthansa, DG Bank und Datev findet sich beispielsweise auch die Norisbank. Für die HypoVereinsbank-Tochter realisierte SuSE eine Serverfarm, damit die Mitarbeiter das Internet komfortabel nutzen können.

SuSE greift bei ihrer Arbeit auf das eigenen Angaben zufolge weltweit größte Entwicklungsteam für Open-Source-Software zurück. In Nürnberg sind allein rund 70 Entwickler in Kundenprojekten oder den Denkfabriken „SuSE Labs“ beschäftigt. Darüber hinaus wurden international Linux-Spezialisten rekrutiert, die als Teleworker etwa in Italien, Tschechien oder in der Wüste von New Mexiko an zukunftsfähigen Lösungen arbeiten. Innovationen rund um die zahlreichen Kernkomponenten des Linux-Betriebssystems fließen direkt in die neuesten SuSE Linux-Versionen ein, die dreimal jährlich aktualisiert werden. Zudem wird das Projekt- und Support-Know-how in der größten Linux-Wissensdatenbank über das Internet für jedermann unentgeltlich zugänglich gemacht.

Im Sommer beschäftigte der Oldie der Linux-Branche rund 500 Mitarbeiter (Anfang 2000: 220), nachdem bereits 50 Stellen von nichttechnischen Mitarbeitern gestrichen worden waren. Im Herbst wurde der weitere Abbau von 120 Stellen angekündigt. Schon im Frühjahr wurde der 45-köpfige Vertriebs-, Beratungs- und Servicestandort im amerikanischen Kalifornien auf 15 Mitarbeiter abgespeckt.

Caldera entwickelt in Erlangen
Die amerikanische Linux-Schmiede Caldera ist mit 35 Mitarbeitern mit einem reinen Entwicklungsstandort in Erlangen vertreten. Dieses Unternehmen hat seine Wurzeln an der Universität Erlangen Nürnberg. Das damalige Linux Support Team (LST) war zwar zunächst nur für interne Zwecke gedacht. Da es durch den ersten Linux-Kongress 1994 überregional bekannt und gefragt wurde, gründeten Ralf Flaxa und Stefan Probst 1996 die LST GmbH und vertrieben eine Handvoll Versionen ihrer Distribution. Ein Jahr später ging LST in Caldera Deutschland auf. Heute ist Probst in Erlangen Caldera-Director Unix Development, wo die Caldera OpenLinux-Lösung komplett erstellt wird.

Die 1994 in den USA gegründete Mutter Caldera Systems sieht sich nach der Übernahme des US-Unix-Spezialisten Santa Cruz Operation (SCO) als eines der größten Linux-Unternehmen mit globalem Service-Angebot. Seit der Integration von SCO finden sich Vertriebs-, Support- und Marketingniederlassungen in 82 Ländern, mit mehr als 15 000 Händlern verfüge Caldera über den größten Linux-Händlerkanal. Im zweiten Quartal des Geschäftsjahres, das zum 31. September endet, verbuchte das deutsche Caldera-Hauptquartier einen Umsatz von rund 3,5 Mio. DM, etwa neun Prozent des weltweiten Geschäfts. Im September kündigte Caldera einen achtprozentigen Personalabbau - 51 Mitarbeiter – in den USA an. In Erlangen sollen von dieser Maßnahme höchstens drei Mitarbeiter betroffen sein. Caldera Deutschland-Chef Hans Bayer ist zuversichtlich, “dass wir mit den letzten Abbaumaßnahmen wieder in ein ruhigeres Fahrwasser gelangen können.“

Vor kurzem hat Caldera mit dem „Developper Network“ die erste gemeinsame Entwicklungsumgebung für Unix und Linux präsentiert. Eine kostenlose Registrierung bietet Mitgliedern den Zugang zu Technologie, weltweitem Support und den Professional Services, um eine schnelle Marktreife ihrer Anwendungen zu gewährleisten.

Linux-Fachgruppe in Mittelfranken
Auch der ASQF, der Arbeitskreis Software-Qualität Franken, hegt an der gebündelten Linux-Kompetenz der Region keinen Zweifel: „Wenn es ein Linux Valley gibt, dann ist es hier“, sagt Vereins-Geschäftsführer Robert Treffny. Seit Jahresanfang bietet der Anwenderverein monatliche Treffs der Fachgruppe Linux an, die im Rahmen des „Software-Stützpunkt Region Nürnberg“ der Software-Offensive Bayern ablaufen. Die „Pinguin“-Gruppe diskutiert gemeinsam mit hochkarätigen Referenten über aktuelle Trends, Erfahrungen und Ideen.

Linux an der Universität
Eine Schlüsselrolle im mittelfränkischen Linux-Valley nimmt auch die Universität Erlangen Nürnberg ein. So sind nicht nur SuSE und LST aus dem Hochschulbetrieb entstanden. Der Lehrstuhl für Informatik 3 (Rechnerarchitektur) von Prof. Dr. Dal Cin widmet sich unter anderem den Vorzügen und Schwächen von Linux-Lösungen. Eine enge inhaltliche Verzahnung mit den Unternehmen und die Einarbeitung der Studierenden in die Linux-Welt sorgt auch für einen entsprechend qualifizierten Nachwuchs.

Unternehmen derzeit unter Druck
Auf mittlere Sicht scheinen die Perspektiven mehr als glänzend. Marktriesen wie IBM, Intel oder Fujitsu Siemens, setzen mit Millionenbeträgen auf die neue Linux-Welt. Allein IBM will rund 300 Mio. Dollar in die Weiterentwicklung von Linux-Lösungen investieren. Derzeit allerdings bläst der Branche ein ziemlicher Gegenwind ins Gesicht. Die größte Herausforderung ist für Caldera-Deutschland-Chef Bayer derzeit, ein tragfähiges, kommerzielles Geschäftsmodell rund um die Open Source-Idee herum zu bauen. Es müsse sich ein berechenbarer Linux-Standard (LSB) etablieren, damit die Angst der Anwender vor der „unbekannten Größe Linux“ verschwinde. Bayer rechnet damit, dass sich der Markt der Linux-Anbieter in den nächsten 15 bis 20 Monaten deutlich bereinigen werde. Beispielsweise musste im August einer der größten Linux-Distributoren in Deutschland, innominate, Insolvenz beantragen.

Bisher scheint die SuSE Linux AG allerdings glimpflich davongekommen zu sein. Dafür ist die Führungsebene in Bewegung geraten. Erst im Sommer waren mit Roland Dyroff und Dirk Hohndel zwei Gründer aus dem Vorstand ausgeschieden. Der nach eigenen Angaben ehemalige Marketing-Manager von SuSE, Dragan Mesek, hat im Juli das Unternehmen Linux Spezialist in Fürth gegründet und will sich unter anderem auf den Bereich Medizinforschung auf Linux-Basis konzentrieren.

Im Jahr 2000 erzielte die SuSE-Unternehmensgruppe einen Umsatz von 53 Mio. DM. Trotz des verhaltenen konjunkturellen Umfeldes - insbesondere seit dem Frühsommer - konnte bereits jetzt die Umsatzhöhe des Gesamtjahres 2000 übertroffen werden. Nach dem starken Unternehmenswachstum im letzten Jahr besitze jetzt die Konsolidierung der Geschäftsprozesse oberste Priorität: „Jetzt gilt es, in einem schwierigen gesamtwirtschaftlichen Umfeld die Vorzüge unserer Linux-Produkte und Dienstleistungen aktiv den IT-Entscheidern in Wirtschaft und Industrie zu kommunizieren“, erklärt Nussbickel.

Thomas Tjiang
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 10|2001, Seite 8

 
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