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Teil XII: Rhinoceros, 1515

Das berühmteste Bild eines Rhinozeros ist Albrecht Dürers Holzschnitt. Es war die Sensation im Jahr 1515: das erste lebende Nashorn in Europa in einer Zeit der beginnenden Entdeckungen und Eroberungen, der menschlichen Wissbegier und der Lust an Wunderkammern und Raritätenkabinetten.

Am 20. Mai 1515 wird das indische Panzernashorn vom Schiff in den mächtigen, noch nicht ganz fertigen Turm am Hafen von Lissabons Vorort Belém gebracht. Der indische Herrscher Muzafar hatte den Koloss an Alfonso Albuquerque übergeben, der ihn wiederum nach Ankunft in Portugal seinem König Dom Manuel schenkte. Aus der antiken Überlieferung des römischen Geschichtsschreibers Plinius wusste man vom Mut und von der Überlegenheit der Nashörner gegenüber Elefanten. Dom Manuel, der spektakuläre Ereignisse liebte, ließ daher am 3. Juni 1515 einen Kampf veranstalten. Menschenmassen strömten herbei, um das Schauspiel zu verfolgen. Der Elefant nahm vor dem Nashorn schnell Reißaus. Das mutige und bizarre Tier war in aller Munde.

Eine (nicht mehr erhaltene) Skizze und eine Beschreibung des Rhinozeros, angefertigt von dem in Lissabon lebenden Valentin Ferdinand, gelangten nach Nürnberg und in Dürers Hände. Mit der Feder zeichnete er es um als Vorlage für seinen populären Holzschnitt. Dieser ist Dürers einzige großformatige Graphik eines exotischen Tiers und eine seiner wundervollsten Tierdarstellungen. Der massige Körper füllt das gesamte Blatt, ja scheint das Bild in alle Richtungen zu sprengen. Der Schwanz ist so angeschnitten, dass er bewusst knapp darüber hinaus reicht. Allein diese extreme Kompositionsstrategie ist genial und unterscheidet sich - wenn auch mitunter nur durch wenige wichtige Millimeter - von dem ebenfalls 1515 veröffentlichten Druck des Kollegen und Konkurrenten Hans Burgkmair, der wie Dürer für Kaiser Maximilan arbeitete.

Vermutlich kannte auch er Ferdinands Skizze. Während Burgkmairs Nashorn jedoch viel realistischer, gefesselt und mit düsterem Gesichtsausdruck festgehalten wurde, gelingt Dürer ein unübertreffliches Meisterwerk. Brachte er doch die verschiedenen Aspekte zwischen Sensationslust und wissenschaftlichem Interesse auf den Punkt und das auch noch mit respektvoller Würde vor der Kreatur.

In seiner Imagination bereichert er es um fantastisch anmutende Elemente. Panzer, Schuppen und Platten lassen an Entwürfe für ornamentale Rüstungen und Visiere denken, die Dürer auch entwirft, sowie an den „dekorativen Stil“ seiner Arbeiten für Kaiser Maximilian. Ein kleines zweites Horn sitzt ungewöhnlich zwischen den Schulterblättern. Intuitiv hat Dürer künstlerisch die richtigen Entscheidungen getroffen. Sein Rhinozeros mit Text in Form eines Flugblatts verkaufte sich prächtig. In acht Auflagen wurde es gedruckt und es hat bis heute die Fantasie der Menschen beflügelt. Generationen von Kunsthandwerkern und Künstlern griffen auf Dürers Bild zurück. Ob für die Türe der Kathedrale in Pisa oder als Veranschaulichung für den Biologie- wie Kunstunterricht.

Und das Nashorn? König Dom Manuel ließ es als Geschenk für den Papst nach Rom verschiffen. Kurz vor der Ankunft versank das Schiff jedoch im Mittelmeer und das tote Tier wurde ausgestopft. Durch Dürer wurde es unsterblich.

Autor/in: 
Eva Schickler
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 06|2004, Seite 34

 
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