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Auch deutsche Unternehmen im Visier

Im vergangenen Jahr wurde das Theater Nürnberg mit seinen Sparten Musiktheater, Schauspiel und Ballett zum Staatstheater erhoben. Beifall von allen Seiten und große Erwartungen: Vom Leuchtturm der Kultur war die Rede. WiM sprach mit Staatsintendant Wulf Konold über die Perspektiven für 2005.

US-amerikanische Gerichte ziehen Kläger aus aller Welt an. Angelockt werden sie von astronomisch hohen Schadensersatzzahlungen, die in den letzten 20 Jahren dramatisch gestiegen sind. Die wachsende Neigung von US-Gerichten, sich auch bei Sachverhalten ohne unmittelbaren Bezug zu den USA zuständig zu erklären, beunruhigt die deutsche Wirtschaft zunehmend. Die exterritoriale Rechtsprechung ist mittlerweile auch ein Thema der Außenpolitik geworden.

Betrug die Summe der gezahlten Schadensersätze im Jahr 1980 noch 43 Mrd. US-Dollar, ist sie bis zum Jahr 2001 auf rund 205 Mrd. US-Dollar hochgeschnellt. Besonders gefährdet sind die Hersteller von Kraftfahrzeugen und Verbrauchsgütern sowie Pharmakonzerne. Die Klagewut in den USA verwundert nicht, denn in kaum einem anderen Land lässt sich so leicht klagen. Anders als zum Beispiel nach deutschen Recht braucht der unterlegene Kläger weder dem Beklagten dessen Prozesskosten zu ersetzen noch die eigenen Anwaltskosten zu tragen. Im Regelfall wird nämlich der Vertreter des Klägers auf Basis eines Erfolgshonorars („contingency fees“) tätig, das sich an der Höhe des vom Gericht zugesprochenen Schadensersatzes oder der Summe des erzielten Vergleichs orientiert. Ohne jedwedes Kostenrisiko werden Gerichtsgänge so zum lukrativen Geschäft.

Laienrichter entscheiden
Abgesehen haben es die Kläger auf die unserem Rechtsverständnis fremden Strafschadensersatzansprüche („punitive damages“). Ihre Funktion ist es über die eigentliche Schadensregulierung hinaus, den Verurteilten zu bestrafen und ihn von weiteren Schädigungen abzuschrecken. Sie werden insbesondere verhängt, wenn dem Beklagten ein absichtliches, bösartiges oder rücksichtsloses Fehlverhalten zur Last fällt. Aber auch eine fahrlässige Missachtung der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit kann ausreichen.

Fatal kann sich für verklagte Unternehmen auswirken, dass die für das Urteil maßgeblichen Beurteilungen oft von Laienrichtern getroffen werden. Diese Jury setzt sich aus Verbrauchern zusammen, so dass eine eher einseitige Sicht der Dinge und eine emotional geprägte Entscheidung nicht auszuschließen sind. Deshalb sind wohl auch unter Klägeranwälten bestimmte Gerichtsstände, zum Beispiel in Mississipi, West Virginia, Alabama, Louisiana und Texas, besonders beliebt. Dies mag auch erklären, weshalb in Einzelfällen schon einmal die „punitive damages“ das 140-fache des eigentlichen Schadens übersteigen.

Berühmt berüchtigt: Sammelklagen
Flankiert werden die Interessen der Kläger durch Sammelklageverfahren („class action“): Ein Instrument, das ein Heer aggressiver und gut organisierter Klägeranwälte geschickt zu nutzen weiß. Die Besonderheit dieser Verfahren liegt darin, dass eine Klage lediglich von einzelnen Betroffenen („named plaintiffs“) erhoben werden muss, diese dabei aber nicht nur im eigenen Namen, sondern zugleich als Repräsentanten für alle anderen tatsächlich oder vermeintlich betroffenen Personen handeln („class representatives“). Manchmal werden auf diesem Wege Tausende von Mandanten an einer Klage beteiligt. Das Verfahren wird dann medienwirksam inszeniert und damit versucht, die so unter öffentlichen Druck gesetzten Firmen zu einem Vergleich zu zwingen.

Erschwerend kommt aus Sicht der Beklagten das „forum shopping“ hinzu: Kommen bei Sammelklagen die Kläger aus verschiedenen Bundesstaaten, können die Klagen wahlweise in einem dieser Staaten anhängig gemacht werden. Ein amerikanischer Klägeranwalt wird deshalb vor Klageerhebung zunächst einmal sondieren, an welchem Gericht er mit einer voraussichtlich wohlgesonnenen Jury für seinen Mandanten das optimale Urteil erstreiten kann.

Betriebsgeheimnisse in Gefahr
Ein weiteres „Folterwerkzeug“ des US-amerikanischen Rechtssystem ist das „pre-trial discovery“: Hierbei handelt es sich um ein vorprozessuales Beweisermittlungsverfahren, das beide Parteien verpflichtet, alle ihr bekannten Tatsachen „auf den Tisch zu legen“. Vor Prozessbeginn wird so der Beklagte nicht selten mit einer Unmenge von Ausforschungsanträgen überzogen, die nach deutschem Recht unzulässig wären. Nicht nur, dass so unter Umständen Betriebsgeheimnisse preisgegeben werden müssen. Das Beweisaufnahmeverfahren kann gerade für europäische Unternehmen teuer werden, die oftmals ganze Frachtladungen teilweise ins Englische übersetzter Dokumenten in die USA befördern müssen, ohne im Fall des Obsiegens mit einer Kostenerstattung rechnen zu können.

Ausländische Unternehmen im Visier
Als zahlungskräftige und verwundbare Ziele werden oftmals ausländische Unternehmen anvisiert. So soll bereits jedes zehnte in den USA verklagte Unternehmen aus dem Ausland stammen, darunter auch zunehmend deutsche Firmen. Zu nennen sind nur beispielhaft DaimlerChrysler, Bayer, Deutsche Telekom, Hugo Boss, Schott Glas, TUI oder Celanese, die teilweise gleich an mehreren Fronten kämpfen müssen.

Betroffen sind nicht nur in den USA unmittelbar operierende Firmen. Insoweit bestünde auch kein Anlass zur Besorgnis. Denn es kann zu Recht erwartet werden, dass Unternehmen, die die USA als Markt nutzen, sich auch auf die entsprechenden Risiken einzustellen haben. Dies ist auch im umgekehrten Fall nicht anders, wenn ein amerikanisches Unternehmen seine geschäftlichen Aktivitäten in Europa entfaltet. Beunruhigend ist aber, dass sich US-Gerichte zunehmend für zuständig erklären, wenn ein noch so winziger Bezug zu den Vereinigten Staaten gegeben ist. Ausreichend sind „minimum contacts“. Ob diese im Einzelfall vorliegen, ist eine Ermessensentscheidung. Im Regelfall ist eine geschäftliche Aktivität des beklagten Unternehmens in den USA erforderlich und sei es nur durch das Unterhalten eines Bankkontos. „Minimum contacts“ können aber auch ohne jedweden Direktkontakt zu den USA gegeben sein. So zum Beispiel im Fall eines Zulieferers von Teilen in ein Drittland. Das Unternehmen hätte wissen müssen, so die Begründung des Gerichts, dass das Fertigprodukt in die USA exportiert wurde.

Gefährlich sind solche Klagen auch für Mittelständler, die gar kein Firmenkapital in Amerika halten. Zwar haben deutsche Gerichte entschieden, dass „punitive damage“-Urteile in Deutschland nicht vollstreckt und Sammelklagen nicht zugestellt werden dürfen. Doch bleiben verurteilten Unternehmen nicht nur die USA als Geschäftsfeld versperrt: Viele Länder verweigern die Vollstreckung möglicherweise nicht – der Gerichtsvollzieher könnte also auch in Südamerika oder Asien an die Tür klopfen.

Menschenrechtsklagen
Kaum kalkulierbar für ausländische Unternehmen sind auch Klagen, die als Menschenrechtsklage in den USA anhängig gemacht werden. Sie stützen sich auf den „Allien Tort Claims Act“ (ATC) von 1789, nach dem Gerichte für jede Klage zuständig sind, die ein Ausländer wegen der Verletzung des Völkerrechts oder eines Vertrages der Vereinigten Staaten erhebt. Von findigen Klägeranwälten wurde der ATC, der ursprünglich vom US-Kongress zur Bekämpfung der Piraterie auf den Weltmeeren erlassen wurde, vor rund 20 Jahren aus der Versenkung geholt und wird seither gezielt gegen finanzkräftige ausländische Unternehmen instrumentalisiert.

Den Klagen ist fast ausschließlich gemeinsam, dass der Zusammenhang zwischen dem Unternehmen und der behaupteten Menschenrechtsverletzung durchweg sehr weit her geholt ist. Prominentes Beispiel sind die Apartheid-Klagen: Einer Reihe u.a. deutscher und Schweizer Banken wird vorgeworfen, das Apartheid-Regime in Südafrika durch Darlehensgewährung, Investitionen in südafrikanische Tochtergesellschaften und andere Geschäftstätigkeiten unterstützt zu haben. Weitere Beispiele sind die Klage gegen Exxon im Zusammenhang mit einem Ölfeld in Indonesien, das von Militärs, denen Mord, Entführung und Folter vorgeworfen wird, gegen Übergriffe geschützt wurde. Oder die Klage namibischer Volksgruppen gegen Deutschland wegen seiner Politik als Kolonialmacht zu Anfang des 20. Jahrhunderts.

Es ist also kaum absehbar, in welchen Fällen deutsche Unternehmen vor amerikanische Gerichte gezogen werden können. Die Wirtschaft kann auf diese Rechtsunsicherheit fast nicht reagieren. Es bleibt deshalb nur zu hoffen, dass US-Regierung und/oder das Oberste Gericht der Ausdehnung der Jurisdiktion Grenzen ziehen. In zwei aktuell anstehenden Revisionsentscheidungen wird der US Supreme Court hierzu Gelegenheit finden. Die eine betrifft den Anwendungsbereich des ATC, die andere einen Fall, in dem ein US-Bundesberufungsgericht das so genannte Wirkungsprinzip in Wettbewerbs- und Kartellrechtsfällen erheblich erweitert hat. Den Urteilen wird von Beobachtern erhebliche Bedeutung beigemessen. Je nachdem wie der Supreme Court entscheidet, wird dies entweder die Zuständigkeit der amerikanischen Gerichte begrenzen oder umgekehrt eine neue Klagewelle auslösen.

Dr. Christian Groß (DIHK)
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 12|2004, Seite 14

 
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