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Shitstorm

Achtung Sturmwarnung!

Wie können sich Unternehmen vor einer Empörungswelle in den sozialen Netzwerken schützen? Wie reagiert man richtig, wenn der Sturm doch hereinbricht? Von Jonas Müllenmeister

Dass das „Web 2.0“ mehr als nur ein vorübergehender Trend ist, haben mittlerweile die meisten Unternehmen in Deutschland registriert: Laut einer Studie des Branchenverbandes Bitkom sind bereits rund 47 Prozent aller Unternehmen in den sozialen Netzwerken aktiv, weitere 15 Prozent planten zum Zeitpunkt der Befragung den baldigen Einstieg (Stand: 2012). Bevor Unternehmen sich im Bereich Social Media engagieren, stehen allerdings häufig ungeklärte Fragen im Raum. Ist die Zielgruppe des Unternehmens in den sozialen Netzwerken erreichbar? Reichen die personellen und zeitlichen Ressourcen aus, um die Kanäle zu betreuen? Und wie gehen Unternehmen mit öffentlich geäußerter Kritik und dem Verlust der Kontrolle über Diskussionen um?

Zwar nimmt laut Bitkom die Zahl der „Ängstlichen“, die insbesondere im letzten Punkt ein Problem der sozialen Netzwerke sehen, stetig ab. Dennoch bleiben bei vielen Unternehmen auch nach dem Einstieg in die sozialen Netzwerke Befürchtungen vor einem „Shitstorm“ bestehen. Zahlreiche Beispiele (z.B. die Kampagne von Greenpeace gegen die Palmöl-Politik des Nestlé-Konzerns) haben verdeutlicht, wie schnell und massiv Diskussionen in den sozialen Netzwerken verlaufen können – und welche wirtschaftlichen Gefahren für ein Unternehmen daraus entstehen können. Wie also können sich Firmen auf Diskussionen und massenhaft geäußerte Kritik im Internet vorbereiten? Und wie können die Verantwortlichen im Falle eines Shitstorms angemessen und schnell reagieren?

Im Internet und insbesondere in den sozialen Netzwerken gelten für Diskussionen mit den Nutzern andere Rahmenbedingungen als bei direkten Gesprächen oder Diskussionen über klassische Kommunikationskanäle. Mehrere Besonderheiten der Online-Kommunikation sind zu beachten:

  • Ein Gespräch im Internet kann ohne Zeitverlust zahlreiche Rezipienten erreichen, die nicht nur den Verlauf eines Gespräches nachverfolgen, sondern je nach Plattform auch schnell in die Diskussion einsteigen können.
  • Unter dem Schutz der auf vielen Plattformen gegebenen Anonymität der Nutzer kann sich der Ton einer Debatte radikal verschärfen.
  • Aufgrund der vielen Diskutanten, die unterschiedliche Interessen verfolgen, können sowohl die Themenfelder der Diskussion als auch der Detailgrad der nachgefragten Informationen schnell wechseln.

Kennzeichen eines Shitstorms

Entwickelt sich eine Diskussion im Internet, so kann sich schnell ein Schneeball-Effekt entwickeln: Weitere Nutzer werden zufällig auf ein Thema aufmerksam oder gezielt von anderen Diskussionsteilnehmern darauf hingewiesen und beteiligen sich dann ebenfalls an der Diskussion. Wird überwiegend unsachliche Kritik geäußert und nimmt die Zahl der Diskussionsteilnehmer schnell zu, kann sich eine Diskussion im Extremfall zu einem „Shitstorm“ entwickeln. Ein Shitstorm („Empörungswelle“, Anglizismus des Jahres 2011 in Deutschland) ist laut Wikipedia „ein Internet-Phänomen, bei dem massenhafte öffentliche Entrüstung sachliche Kritik mit unsachlichen Beiträgen vermischt. Ein typischer Shitstorm umfasst Blogbeiträge oder -kommentare, Twitter-Nachrichten oder Facebook-Meldungen.“ Die Diskussionsbeiträge zu einem Shitstorm sind dabei überwiegend „aggressiv, beleidigend, bedrohend oder anders attackierend“. Dadurch unterscheidet sich der Shitstorm von sachlicher Kritik, wobei diese natürlich einem Shitstorm zugrundeliegen kann.

Der beste Schutz für ein Unternehmen ist logischerweise, keinerlei Anlass für eine Empörungswelle zu bieten. In der Praxis lauern allerdings derart viele Gefahren und Ursachen, dass ein hundertprozentiger Schutz selbst dann nicht gegeben ist, wenn sich ein Unternehmen strengstens nach ethischen Vorgaben richtet: Noch immer kann selbst ein Unternehmen, das nicht in einer kritischen Branche tätig ist, beispielsweise durch unbewusst falsches Verhalten in den sozialen Netzwerken (ungewollte Provokation, Missachtung der expliziten und impliziten Verhaltensregeln eines Netzwerkes, ungeschicktes Agieren gegenüber anderen Nutzern) den Zorn anderer User zuziehen. Außerdem können Verfehlungen einzelner Mitarbeiter oder Unfälle zu einem Shitstorm führen. Aggressive Diskussionen können auch durch externe Faktoren ausgelöst und beispielsweise durch eine gezielte Kampagne oder Aktion herbeigeführt werden. Ziel der Initiatoren ist es in einem solchen Fall von Anfang an, einen Shitstorm zu erzeugen und andere Nutzer zur Aktivität zu bewegen.

In den meisten Fällen entwickeln sich die Empörungswellen so chaotisch, dass unterschiedliche Formen und Auslöser vermischt werden. Häufig tritt dann sogar der eigentliche Anlass in den Hintergrund. Hauptziel jedes Unternehmens, das in den sozialen Netzwerken aktiv ist, sollte es daher sein, erstens möglichst wenig Gründe für eine aggressive Diskussion zu liefern und sich zweitens optimal vorzubereiten, um frühzeitig und effizient agieren zu können.

Vorbereitung und Überwachung

Um angemessen auf Kritik bzw. eine Empörungswelle reagieren zu können, müssen bereits im Vorfeld die richtigen Maßnahmen getroffen werden. Unternehmen, die sich in den sozialen Netzwerken engagieren, müssen bereits beim Einstieg in die Netzwerke bestimmte Punkte beachten:

  • Mitarbeiter müssen für die Kommunikation im Netz geschult werden. Die meisten sozialen Netzwerke folgen ungeschriebenen Verhaltensregeln. Mitarbeiter sollten in der Lage sein, in den Netzwerken sicher zu agieren. Hilfreich sind insbesondere Social-Media-Guidelines, die festlegen, wie sich Mitarbeiter in den sozialen Netzwerken bewegen sollen, sowie die Aufstellung einer speziellen Social-Media-Redaktion. Auch die Zuständigkeiten bei einem Shitstorm sollten bereits festgelegt werden, um im Ernstfall wichtige Zeit zu sparen (Krisenplan).
  • Alle vorhandenen Profile in den sozialen Netzwerken müssen so gut wie möglich geschützt werden. Dazu gehört nicht nur die Auswahl eines starken Passworts, das nicht zu breit kommuniziert wird, sondern auch die Überprüfung aller plattformspezifischen Einstellungen. Mitarbeiter, die für die Betreuung der Kanäle zuständig sind, müssen sich permanent über neue Datenschutz- und Privatsphäre-Einstellungen informieren, um bei den sich schnell ändernden technischen Möglichkeiten auf dem neuesten Stand zu bleiben.
  • Soziale Netzwerke und Blogs müssen ständig beobachtet werden, um frühzeitig reagieren zu können. Dabei helfen automatisierte Benachrichtigungsdienste wie beispielsweise „Google Alerts“. Idealerweise sollten aber auch Mitarbeiter die Plattformen, auf denen ein Unternehmen aktiv ist, regelmäßig beobachten.
  • Durch diese Schritte können Unternehmen im Idealfall vermeiden, selbst durch Kommunikationsfehler in Diskussionen zu geraten. Außerdem kann ein Shitstorm bei guter Überwachung bereits frühzeitig erkannt werden. Je früher ein Unternehmen aktiv werden kann, umso besser.

Übersicht und Aufstellung

Wenn es zu einer ausufernden kritischen Diskussion kommt oder ein Shitstorm droht, sollten Unternehmen so schnell wie möglich zwei Schritte einleiten.

Erstens sollte auf allen betroffenen Plattformen und Kanälen so schnell wie möglich eine erste Reaktion erfolgen. Für Kanäle, auf denen das Unternehmen noch nicht aktiv ist, sollten unter Umständen eigene Accounts eingerichtet werden. Die erste Reaktion muss noch keinerlei Informationen beinhalten, sondern lediglich signalisieren, dass das Thema ernst genommen und eine ausführlichere Stellungnahme erfolgen wird. Auf keinen Fall sollte die Diskussion nur beobachtet werden: Unternehmen sollten schnell aktiv werden und es auch bleiben.

Unter Umständen können bereits erste Fragen beantwortet werden. Wichtig ist dabei, einen kühlen Kopf zu bewahren und den Ton nicht an die Gesprächspartner anzupassen: Antworten müssen stets sachlich erfolgen, um die Stimmung nicht weiter anzufachen. Auf keinen Fall sollte mit rechtlichen Schritten gedroht werden – selbst dann nicht, wenn Anschuldigungen falsch sind. Durch Drohungen und versuchte Unterdrückung von Kritik werden in der Regel schnell große Mengen an Nutzern auf die Diskussion aufmerksam. Diesen Effekt bezeichnet man auch als „Streisand-Effekt“: Als die Schauspielerin Barbara Streisand die Verbreitung von Fotoaufnahmen von ihrem Haus gerichtlich verhindern wollte, erreichte sie das Gegenteil. Als Trotzreaktion wurden die Bilder schnell weiterverbreitet und an verschiedenen Stellen im Internet veröffentlicht.

Bei klaren Verstößen gegen die Nutzungsbedingungen einer Plattform oder geltende Gesetze (Verleumdung etc.) kann je nach Kanal  überlegt werden, einen Beitrag zu löschen. Diese Entscheidung sollte allerdings offen kommuniziert werden.

Zweitens müssen die zuständigen Mitarbeiter sich so schnell wie möglich einen Überblick über die Lage verschaffen. Geht es um berechtige Kritik bzw. gibt es ein klar greifbares Thema? Welche Ansprechpartner aus dem Unternehmen müssen unter Umständen hinzugezogen werden, um Fragen zu beantworten? Welche Mitarbeiter sollen eine Stellungnahme ausarbeiten?

Kontrolle und Kommunikation

Während eines Shitstorms ist es nötig, Zeit möglichst effektiv zu nutzen. Um zu vermeiden, dass vielen Diskussionsteilnehmern mit ähnlichen Fragen einzeln geantwortet werden muss und um "Trollen" (Diskussionsteilnehmer, die mit ihren Beiträge lediglich Reaktionen provozieren wollen, ohne an Ergebnissen interessiert zu sein) wirkungsvoll zu begegnen, sollten Stellungnahmen und konkrete Antworten auf Fragen auf einer eigenen Webseite innerhalb des Web-Auftritts des Unternehmens gesammelt werden.

Wird die Webseite innerhalb des Unternehmens selbst betreut, stellt dies kein Problem dar. Wenn ein Dienstleister für die Webseite zuständig ist, sollte bereits im Vorfeld geklärt werden, wie schnell eine Stellungnahme online gestellt werden kann. Es ist auch möglich, sich insgesamt bei der Kommunikation in den verschiedenen Kanälen von einer Agentur unterstützen zu lassen. Derartige Vereinbarungen mit externen Dienstleistern sollten allerdings bereits im Vorfeld abgesprochen werden.

Die extra angelegte Webseite bietet ausreichend Platz für eigene Stellungnahmen, direkte Kontakt-Angebote und die Beantwortung von Nutzerfragen. Da eine eigene Seite über keine Kommentar-Funktion verfügt, ist die Kontrolle an diesem Punkt wieder besser möglich. Nutzerfragen aus den sozialen Netzwerken sollten hier transparent beantwortet werden. Auf allen sozialen Plattformen sollten die Gesprächsteilnehmer regelmäßig mit Links auf die eigene Webseite gelenkt werden. Auf diese Art und Weise kann sinnvoll auf Fragen reagiert und die Kontrolle ein Stück weit zurückgewonnen werden. Wichtig bleibt: Alle Diskussionsbeiträge und -teilnehmer sollten ernst genommen werden. Keinesfalls sollten kritische Fragen gelöscht oder ignoriert werden, wenn diese berechtigt sind.

Begleitung und aktive Rolle

Auch wenn ein Shitstorm abflaut, muss das Thema weiter beobachtet werden. Ab dieser Phase kann die angelegte Webseite um Informationen ergänzt werden. Für weitere Nachfragen sollten die Ansprechpartner weiterhin zur Verfügung stehen. Möglich ist ab dieser Phase die Übernahme eine aktiven Rolle: Mit Pressemitteilungen, ausführlichen Stellungnahmen etc. können zukünftige Fragen im Vorfeld unterbunden werden. Bei berechtigter Kritik sollte selbstständig zur Aufklärung beigetragen werden.

Autor/in: Jonas Müllenmeister ,ist im IHK-Geschäftsbereich Kommunikation zuständig für soziale Netzwerke (jonas.muellenmeister@nuernberg.ihk.de).
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 11|2013, Seite 38

 
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