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Migration

Zuwanderung muss intelligent geregelt werden

Weil Deutschlands Bevölkerung schrumpft und altert, zeichnet sich ein Mangel an Fachkräften ab. Vorhandene Potenziale besser zu nutzen, muss eine Reaktion darauf sein. Die Zuwanderung von Nicht-EU-Angehörigen ist eine weitere Option. Von Prof. Dr. Thomas Straubhaar

Gut ausgebildete Frauen, Ältere und hier lebende Menschen mit Migrationshintergrund finden noch zu oft nicht jene Jobs, die ihrem Können und Wollen entsprechen. Hinzu kommt, dass seit dem 1. Mai 2011 auch den osteuropäischen EU-Ländern ohne Einschränkung Freizügigkeit für Arbeitskräfte gewährt wird und das Reservoir an gut qualifizierten Fachleuten dadurch größer geworden ist. Zusammengenommen wären hierzulande und in den EU-Nachbarländern unzählige Menschen bereit, in Deutschland mehr und anspruchsvoller zu arbeiten, als das heute der Fall ist. Darüber hinaus bleibt die Zuwanderung von Nicht-EU-Angehörigen eine unverzichtbare Option. Gesteuerte Zuwanderung ist notwendig, wenn man den Fachkräftemangel begrenzen, ökonomische Wachstumspotenziale nutzen und den auf Beitragszahler angewiesenen, umlagebasierten Wohlfahrtsstaat bezahlbar halten will.

In den letzten Jahren wurde das Instrumentarium zur Anwerbung ausländischer Hochqualifizierter schrittweise reformiert. Das schwarz-gelbe Bundeskabinett hat Ende Juni 2011 in Aussicht gestellt, die Zuwanderungsregeln weiter zu lockern. Künftig sollen Ärzte und Ingenieure aus Nicht-EU-Staaten ohne Sondergenehmigung in Deutschland arbeiten können. Zudem ist beabsichtigt, die Vorrangprüfung der Bundesagentur für Arbeit auszusetzen und die jährliche Verdienstschwelle für Fachkräfte aus dem Ausland auf 40 000 Euro abzusenken.

Dieser kluge erste Schritt sollte durch verbesserte Bleibeoptionen für ausländische Studierende nach deren Studienabschluss in Deutschland ergänzt werden. Ausländische Studienabsolventen besitzen alle Eigenschaften, die ansonsten erst im Rahmen von aufwändigen Zulassungsverfahren ermittelt werden müssen: Sie sind jung, akademisch gebildet, sprechen in der Regel gut Deutsch, sind mit den Institutionen des Landes vertraut, haben mitunter sogar schon Kontakte zu potenziellen Arbeitgebern. Sie verfügen also über alle Voraussetzungen für eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt. Hier wurde, etwa durch die Abschaffung der Vorrangprüfung, schon einiges erreicht. Dieser Weg sollte konsequent fortgesetzt werden. Das kann geschehen, indem die nach Studienabschluss zur Jobsuche gewährte Aufenthaltsdauer von einem auf zwei Jahre verdoppelt würde. Hinzu treten sollte eine flexiblere Auslegung der Vorschrift, dass die nach Studienabschluss angenommene Tätigkeit der erworbenen Qualifikation entsprechen muss.

Probleme mit dem Punktesystem

Neue wissenschaftliche Erkenntnisse aus Kanada zeigen, dass vor einer euphorischen Romantisierung des Punktesystems zu warnen ist. Sinnvoller als eine unkritische Übernahme ist daher, ein zunächst nur auf den unumstrittenen aktuellen Bedarf in den sogenannten „Mint“-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) beschränktes Punktesystem einzuführen und zu erproben.

Bereits seit langem gibt es eine umfangreiche befristete Zuwanderung in niedrig qualifizierte Beschäftigungsbereiche. Ein detaillierter und umfangreicher Katalog von Ausnahmen von dem seit 1973 gültigen allgemeinen Anwerbestopp erlaubt den temporären Zuzug von Niedrigqualifizierten. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, funktionieren temporäre und saisonale Anwerbungen hier de facto fast wie zirkuläre Migrationsprogramme. Diese Angebote werden einerseits von Arbeitgebern aus arbeitsintensiven Bereichen wie Landwirtschaft, Bau- und Baunebengewerbe sowie von Privathaushalten in Deutschland genutzt, andererseits von Arbeitskräften vor allem aus dem östlichen Europa. Die Mehrzahl dieser Programme wird durch die 2011 bzw. 2014 einsetzende Freizügigkeit für Arbeitskräfte aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten zwar an Bedeutung verlieren. Sie sollten als bewährtes Steuerungselement jedoch erhalten bleiben, damit sie ohne Gesetzgebungs- und Verwaltungsaufwand zugeschaltet werden können, wenn neue Knappheiten in diesem Bereich auftreten sollten.

Der Familiennachzug bildet – neben dem befristeten Zuzug von ausländischen Arbeitskräften in niedrig qualifizierte Beschäftigungsbereiche – traditionell die stärkste Zuwanderergruppe in Deutschland. Die Spielräume der einzelnen Staaten sind beim Familiennachzug aufgrund europarechtlicher Regelungen, völkerrechtlicher und grundgesetzlicher Verpflichtungen erheblich eingeschränkt. Deshalb lässt sich der Familiennachzug nicht ähnlich gut steuern wie die Zuwanderung zum Beispiel von Hochqualifizierten. Familiennachzug bedeutet oft auch Zuwanderung von nur schlecht in den Arbeitsmarkt integrierbaren Personen. Deshalb sind Angebote zur präventiven Integration im Ausgangsraum sowie zur begleitenden und nachholenden Integration im Aufnahmeland hilfreich, um die Eingliederung auch von nachziehenden Familienangehörigen zu erleichtern. Die präventive Integrationsarbeit sollte beobachtet, evaluiert und nötigenfalls nachjustiert werden.

Die Rekrutierungsgebiete potenzieller Zuwanderungen dürften sich langfristig weiter nach Nordafrika (zum Beispiel Marokko, Ägypten), Zentralasien (zum Beispiel Usbekistan) oder Südostasien (zum Beispiel Indien) verlagern. Deshalb sollten die institutionellen Verbindungen zu den künftig relevanten Herkunftsgebieten ausgebaut werden. Nötig ist dazu eine Verschränkung von Migrationspolitik, Außenhandelspolitik und insbesondere auswärtiger Kulturpolitik mit ihrem Brückenbauer-Konzept. Ein ganzes Potpourri an Handlungsoptionen bietet sich hier an: von der Förderung studentischer Mobilität über die Etablierung von Migrationsattachés in den Konsulaten und die Unterstützung der Kulturarbeit der Goethe-Institute bis hin zu Image-Kampagnen. Bemühungen um die Vernetzung mit abgewanderten deutschen Hochqualifizierten, insbesondere Wissenschaftlern, und die teuren, aber bislang wenig erfolgreichen Rückholprogramme bilden dabei eine Ergänzung, sind aber kein Ersatz.

Letztlich geht es bei einer modernen Zuwanderungspolitik darum, anzuerkennen, dass Migration und Integration eine hohe soziale Eigendynamik entwickeln. Rechtliche und politische Regulierungsabsichten sollten deshalb stets die Grenzen der Gestaltbarkeit, die Gefahr von Fehlsteuerungen und von nicht beabsichtigten Folgen sowie von unbeabsichtigten Härtefällen im Auge behalten. Eine eher bescheidene Verbindung von flexibler Konzeptorientierung und pragmatischer Gestaltung wirkt hier mitunter nachhaltiger als der auf lange Dauer angelegte große Wurf, bei dem eine Zielverfehlung mit nicht minder großen sozialen Kosten verbunden sein kann.

Autor/in: Prof. Dr. Thomas Straubhaar, ist Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts HWWI (www.hwwi.org).
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 10|2011, Seite 16

 
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