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Rating-Agenturen

Fluch oder Segen?

Wie kommen die Rating-Agenturen zu ihren Urteilen, wie werden sie kontrolliert? Um diese Fragen drehten sich die „Bayerischen Mittelstandsgespräche“ von IHK und BayBG.

Es vergeht kaum ein Tag, an dem Rating-Agenturen keine Schlagzeilen machen: Wenn einer der drei großen Platzhirsche – Moody’s, Standard & Poors oder Fitch Ratings – Unternehmen, Banken oder gar ganze Nationen herabstuft, ist die Aufregung groß. Doch wo haben die Rating-Agenturen ihren Ursprung? Ihre Geschichte begann Anfang des 20. Jahrhunderts während des Aufbaus des Schienennetzes in den USA. Der Finanzanalyst John Moody prüfte damals die Eisenbahngesellschaften systematisch auf ihre Kreditwürdigkeit und verkaufte die Analysen an Investoren. Standard & Poors und Fitch Ratings stiegen in den Folgejahren in das Geschäft ein. Bis heute beherrschen die drei Agenturen den Markt, vor dem Hintergrund der Wirtschafts- und Finanzkrise werden ihre Aktivitäten immer wieder kontrovers diskutiert.

Das ursprüngliche System hat sich gedreht: Heute zahlen in der Regel nicht länger die Investoren für das Rating, sondern der Bewertete. Das Rating selbst wird von zwei Analysten erstellt, die auf Basis von Kennzahlen, Fragebögen und Gesprächen mit dem Management eine Rating-Empfehlung erarbeiten. Diese stellen sie einem Rating-Komitee vor, das dann über das Ergebnis abstimmt. Hat sich der Bewertete einmal entschieden, das Rating zu veröffentlichen, ist es dauerhaft zugänglich und wird regelmäßig aktualisiert.

Viele empfinden Rating-Agenturen als „moderne Cäsaren“, die mit ihrem Daumen über Aufstieg oder Niedergang von Unternehmen, Banken oder ganzen Nationen entscheiden. Über die Frage „Rating und Rating-Agenturen: Totengräber oder Retter von Wirtschaft und Währung?“ wurde deshalb im Juni bei den „Bayerischen Mittelstandsgesprächen“ diskutiert, die von der IHK Nürnberg für Mittelfranken und der Bayerischen Beteiligungsgesellschaft (BayBG) veranstaltet werden. Geladen waren Prof. Dr. Peter Bofinger, Wirtschaftsweiser und Kritiker der Rating-Agenturen, und Jens Schmidt-Bürgel, Geschäftsführer der Fitch-Ratings Deutschland GmbH – ein Zusammentreffen mit Zündstoff.

Fast „hoheitliche“ Aufgaben

Laut Bofinger lässt sich das Rating-System mit einem Michelin-Restaurantführer vergleichen: Praktisch zur Orientierung, aber nicht das Maß aller Dinge. Er erinnerte auch daran, dass der Einfluss, den Rating-Agenturen in der heutigen Zeit haben, „hausgemacht“ sei. Durch die Eigenkapitalvorschriften nach Basel II, die eine erhöhte Eigenkapitalunterlegung für Kreditrisiken, Marktrisiken und operationelle Risiken beinhalten, hätten die Rating-Agenturen, die eben dieses Risiko bewerten, „fast hoheitliche Aufgaben“ bekommen. Aufgaben, die Fitch Ratings laut Schmidt-Bürgel nicht einmal haben möchte: „Wir sind nicht glücklich über die aufsichtsrechtlichen Aufgaben, wir würden sie lieber heute als morgen abtreten.“

Bofingers Vorwurf: Die Rating-Agenturen haben in den vergangenen Jahren folgenschwere Fehler gemacht. Als einen der größten führte er die US-Immobilienkrise 2007 (Subprime-Krise) an, allerdings seien hier auch die „Konsumenten“ nicht unschuldig gewesen: „Eine BayernLB und eine SachsenLB haben sich ausschließlich auf das Urteil der Rating-Agenturen verlassen, ein Blick hinter das ‚Siegel‘ hätte wohl einiges verhindern können.“ Auch für die Investment-Bank Lehman Brothers hatten die Rating-Agenturen noch wenige Tage vor dem Zusammenbruch am 15. September 2008 positive Ratings ausgesprochen.

Dagegen entlastete Bofinger die Rating-Agenturen in Sachen Euro-Krise weitestgehend. Die Ratings, wie beispielsweise die Herabstufung Italiens von A auf BBB, seien korrekt gewesen, sie kämen zudem mit etwas zeitlicher Verzögerung, sodass man nicht von einer selbsterfüllenden Prophezeiung sprechen könne. „Ich brauche doch kein Rating, um zu wissen, dass die Staatsschulden mit sieben Prozent Zinsen schwerer in den Griff zu bekommen sind als mit vier Prozent“, so Bofinger. Rating-Agenturen seien somit nicht als besondere Verstärker der Euro-Krise zu verstehen.

Dennoch sieht der Wirtschaftsweise grundlegende Probleme im Geschäftsmodell der Rating-Agenturen. Zum einen sähen sie sich als „Journalisten“ und beriefen sich auf die Meinungsfreiheit, was zur Folge habe, dass sie in keiner Form für ihre Äußerungen haften. Zum anderen herrsche kaum Wettbewerb im Oligopol der Agenturen. Bofinger fordert eine grundlegende Prüfung der wettbewerbspolitischen Aspekte sowie der aufsichtsrechtlichen Aufgaben der Agenturen. So könnte beispielsweise die Europäische Zentralbank als unabhängige Rating-Agentur die hoheitlichen Aufgaben problemlos übernehmen.

Für Gegner der Griechenland-Rettung brachte Bofinger nur wenig Verständnis auf, denn die Bedeutung des Euro-Raumes für die deutschen Exporte sei immens. „Natürlich haben wir keine einfachen Lösungen, wir müssen uns nur entscheiden, welche Kröte wir schlucken wollen.“ Eine Lösung der Euro-Krise sei aber nicht unmöglich, betonte Bofinger. Die Sparmaßnahmen, die derzeit Ländern wie Griechenland oder Italien auferlegt werden, die sich in der Rezession bzw. Depression befinden, müssten zeitlich gestreckt werden. Kurzfristige Sparauflagen seien fatal und gegen alle wissenschaftlichen Theorien. Man müsse Ländern wie Italien und Spanien helfen, einen vernünftigen Sparhaushalt zu erarbeiten, um die Spirale nach unten zu durchbrechen.

Rating ist keine Kaufempfehlung

Schmidt-Bürgel betonte, dass sich Fitch seiner Verantwortung durchaus bewusst sei. Natürlich seien negative Ratings für den Bewerteten unangenehm, aber es müsse sichergestellt werden, dass das Rating das jeweilige Risiko abbildet. Denn während der Subprime-Krise sei den Agenturen vorgeworfen worden, dass dies nicht der Fall gewesen sei. „Uns wäre es lieb, wenn man uns als das sehen würde, was wir sind. Wir möchten keine Aktienkurse bewegen.“ Auch betonte der Deutschland-Chef, dass die Ratings in keiner Form als feststehende Fakten zu verstehen seien, sondern vielmehr als Meinungen, die auf Basis bestimmter Informationen getroffen werden.

Bei der Schuldenkrise im Euro-Raum waren sich Bofinger und Schmidt-Bürgel jedoch einig: Die Krise sollte als Chance für Europa gesehen werden, um eine Art „United States of Europe“ zu etablieren. Schmidt-Bürgel: „Ein solches Bündnis würde von uns auf jeden Fall die Bestnote AAA bekommen.“

Autor/in: 
am.
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 07|2012, Seite 18

 
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