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Lateinamerika

Wieder stark gefragt

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Rohstoff-Partner, Einkaufs- und Absatzmarkt: „Lateinamerika-Forum Bayern“ in Nürnberg zeigte mögliche Kooperationen auf.

Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und der Handelskrieg zwischen den USA und China haben die Weltwirtschaft in Turbulenzen gestürzt. Deshalb blickt Europa wieder verstärkt nach Lateinamerika. Das zeigte sich Anfang dieses Jahres auch an der Auslandsreise von Bundeskanzler Olaf Scholz nach Argentinien, Brasilien und Chile, um neue Handelspartner zu gewinnen. Auch das "Lateinamerika-Forum Bayern" am 4. Mai in Nürnberg lenkte den Blick auf den Kontinent. Zu dem Kongress im "Haus der Wirtschaft" hatte die IHK Nürnberg für Mittelfranken gemeinsam mit allen bayerischen Industrie- und Handelskammern erstmals eingeladen.

"Die Werte und die Kultur der lateinamerikanischen Länder sind der unseren näher als die in manchen anderen Ländern. Bayern ist ein Exportland. Deshalb ist es unabdingbar, dass die bayerische Regierung ihren Fokus auf Lateinamerika ausweitet und auf die Ratifizierung der ausstehenden Handelsabkommen drängt", sagte IHK-Präsident Dr. Armin Zitzmann in seiner Begrüßungsrede. Von einer Delegationsreise nach Chile berichtete Dr. Markus Wittmann, Außenwirtschaftschef des Bayerischen Wirtschaftsministeriums. Lateinamerika sei ein schwieriger Markt mit vielen Hürden, bei dem aber die Chancen überwögen. Das bayerische Engagement habe dort eine lange Tradition, dennoch müssten weiter Netzwerke mit Politik und Wirtschaft sowie persönliche Kontakte aufgebaut werden. Die gemeinsamen Delegationsreisen von Politikern und Unternehmern seien dafür wichtige Instrumente.

"Panama kann sinnbildlich für die Öffnung des Kontinents stehen", sagte Enriquo Alberto Thayer Hausz, Botschafter der Republik Panama in Deutschland. Denn sein Land biete sich durch die zentrale Lage als Brücke in die lateinamerikanischen Märkte an. Lateinamerika sei mit seinen bislang 23 Freihandelsabkommen und 1,1 Mrd. Menschen ein riesiger Markt. Als Pluspunkte seines Landes nannte er einen soliden Rechtsrahmen, geringe Zölle und eine offene Wirtschaft, basierend auf dem US-Dollar. "Das erleichtert ausländische Investitionen", so Thayer Hausz. Die direkte Verbindung zwischen Atlantik und Pazifik durch den Panama-Kanal reduziere die Länge von Schifftransporten. Zusätzlich verfüge das Land über ein großes Flughafendrehkreuz und eine weitreichende Glasfaser-Infrastruktur. Zudem habe sich Panama als regionaler Vorreiter beim Klimaschutz positioniert.

Wieviel Handelspotenzial in Lateinamerika steckt, verdeutlichte Johann Weiß, Projektleiter Bereich Volkswirtschaft beim Beratungsunternehmen Prognos AG aus München: "Es liegt abseits der Unruheherde, hat mit 4,4 Billionen Euro eine große Wirtschaftskraft, verfügt über eine junge, wachsende Bevölkerung und eine jährlich um etwa 2,5 Prozent wachsende Wirtschaft." Wichtig für deutsche Außenhandelsunternehmen sei aber, den vielschichtigen Kontinent nicht als einheitlichen Markt zu sehen.

Rohstoff-Partnerschaften

"Deutschland ist zu über 90 Prozent abhängig von Rohstoff-Importen, etwa bei Erzen, Metallen und Industriematerialien. Lateinamerika ist ein zuverlässiger und rohstoffreicher Partner", erklärte Herwig Marbler, Geologe bei der Deutschen Rohstoffagentur (Dera) in der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) aus Berlin. Es gebe zwei Rohstoff-Partnerschaften: seit 2013 eine mit Chile und seit 2014 eine mit Peru, und außerdem seit 2016 eine Rohstoffländer-Kooperation mit Brasilien. Die Regierungsvereinbarungen seien gute Grundlagen, nun müssten aber Unternehmen investieren, um diese auch mit Leben zu füllen. "Deutschland verlässt sich zu sehr auf seine Partner. Kein Unternehmen will wegen des Risikokapitals in den Rohstoffhandel oder Bergbau einsteigen. Frankreich hingegen hält noch ein staatliches Bergbauunternehmen", merkte Marbler an.

"16 Prozent der Reserven an seltenen Erden und 400 Lagerstätten liegen außerhalb Chinas", unterstrich der Geologe mit Blick auf die oft vorgebrachte Abhängigkeit von China in diesem Bereich. Brasilien verfügt über 35 Lagerstätten für seltene Erden sowie für Nickel und Cobalt. Bei einem Projekt der Dera geht es darum, die Effizienz bei der Metallextraktion zu steigern. In Peru gibt es große Kupfer- und Zinkvorkommen. In Chile werden 5,5 Mio. Tonnen Kupfer, Cobalt und Molybdän pro Jahr abgebaut. Zusätzlich verfügt das Land über zehn Mio. Tonnen Material auf Kupferhalden – Reste, die ein großes wirtschaftliches Potenzial darstellen. Ein weiteres Projekt der Dera beschäftigt sich mit der Aufbereitung von Cobalt, Eisen und Molybdän.

NürnbergMesse als Partner

Ein wichtiger Anknüpfungspunkt für Auslandsgeschäfte kann für Unternehmen die NürnbergMesse sein, die weltweit sieben Tochtergesellschaft hat – davon seit 2009 eine in Brasilien. Die Erfahrungen dort seien gut, 2022 sei das beste Geschäftsjahr seit Gründung der brasilianischen Niederlassung gewesen, erklärte Eike Scholl, Abteilungsleiter International Relations & Business Management bei der NürnbergMesse. Als Grundlagen für den Erfolg nannte er persönliche Kontakte, die stetig gepflegt werden müssten, lokales Management vor Ort und Vertrauen. "Das A und O ist das regelmäßige Klinkenputzen. Mit einmal ist es nicht getan", rät Scholl. Für den Einstieg in den Markt empfahl er den Besuch von Leitmessen vor Ort, frühzeitige Informationen über die Kammern sowie professionelle Hilfe durch Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und Steuerfachangestellte. Eine Hilfe seien auch die Förderprogramme des Bundes und des Freistaats Bayern. Englisch-Kenntnisse seien okay, aber mit Spanisch oder Portugiesisch komme man naturgemäß besser voran. Junge Menschen in São Paulo seien gut ausgebildet und digital affin. Wenn es gelinge, dies mit deutscher Perfektion zu koppeln, komme man zu kreativen Ergebnissen.

Erfahrungen bayerischer Unternehmen

"Wir haben seit vier Jahren ein eigenes Unternehmen in Brasilien und Mexiko", sagte Wido Fath, Geschäftsführer der Fath GmbH aus Spalt, die Maschinenbaukomponenten und Beschlagteile herstellt. "Am Anfang wollten wir ein Unternehmen kaufen, doch die US-Amerikaner haben die Preise in unmögliche Höhen getrieben." Also habe man die Strategie geändert, Partner aus dem mexikanischen Markt gesucht und diese bis zu zehn Jahre begleitet. "Beobachten Sie dabei alles genau, sonst müssen Sie zu oft die Mannschaft auswechseln", rät Fath. Außerdem brauche man einen Experten, der die Bürokratie erledigt. Brasilien sei auch nicht von einem Standort aus zu betreuen. "Haben Sie ein großes Marktvolumen in São Paulo und an der Westküste, dann müssen sie auch dort sein und fertigen", so Fath. Besonders wichtig sei es, den Geschäftspartnern mit großem Respekt zu begegnen.

"Wir sind Newcomer in Mexiko seit Ende 2022. Der Standort ist wichtig als Produktionsstätte für Nordamerika", sagte Sophie Ivens, CEO bei der Rissmann GmbH in Nürnberg, dem Hersteller von Luxusverpackungen, der unter anderem für so renommierte Marken wie Giorgio Armani, Bogner, Givenchy, Calvin Klein oder René Lezard arbeitet. Die größte Herausforderung sei die Qualität, nicht der Preis. Gemeinsames Essen sei genauso wichtig, wie lernfähig zu bleiben und Transparenz immer wieder einzufordern.

Seit mehr als 60 Jahren entwickelt und produziert die Flottweg SE aus Vilsbiburg Hochleistungs-Dekanterzentrifugen, Separatoren, Bandpressen und Anlagen zur Fest-Flüssig-Trennung. "Wir vertreiben von Spanien aus, da spanische Unternehmen drei von vier Ausschreibungen in Lateinamerika gewinnen", so Carlos Olivo, Vertriebsingenieur bei Flottweg. Das Team sei in acht Jahren zweimal komplett ausgetauscht worden. Junge Mitarbeiter zu halten, sei oft schwierig.

Die Oechsler AG aus Ansbach, die auf Kunststofftechnik spezialisiert ist, ist seit zehn Jahren in Mexiko engagiert, beschäftigt dort 300 Mitarbeiter und setzt dort – bei einem Gesamtumsatz von einer halben Mrd. Euro – zwischen 70 und 80 Mio. Euro um. Nach Worten von Michael Träger, Senior Vice President Customers & Market bei Oechsler, hatte sich das Unternehmen zunächst nur auf das operative Geschäft konzentriert und in den ersten fünf Jahren Verwaltungstätigkeiten outgesourct. Als Herausforderung nennt Träger die Infrastruktur in Mexiko. Das Land verfüge über gute Universitäten und ein gutes Bildungssystem. Es gebe technische Schulen ähnlich den deutschen Berufsschulen. Trotzdem tobe in den wirtschaftlichen Hot Spots bereits ein Kampf um Fachkräfte. "Wenn mexikanische Mitarbeiter in speziellen Techniken an Schulen in Deutschland ausgebildet werden, zahlt die mexikanische Regierung Unterkunft und Flug", betonte Träger. Das Unternehmen selbst vergibt Mikrokredite mit einer Laufzeit von drei Jahren. So könne man die Mitarbeiter in dieser Zeit an das Unternehmen binden. Zusätzlich habe Oechsler angefangen, die Kinder von Mitarbeitern auszubilden. All dies habe sich ausgezahlt: Die Fluktuationsrate betrage nur noch vier bis fünf Prozent – statt rund 40 Prozent, wie sonst in Mexiko üblich.

Autor/in: 

(as.)

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 06|2023, Seite 28

 
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