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Skyline Shanghai, China

Die mittelfränkische Wirtschaft gerät mit ihrem China-Geschäft unter Druck. Die Wirtschaft im Reich der Mitte hat nach der Corona-Pandemie noch nicht zu alter Stärke zurückgefunden. Früher bewährte Geschäftsmodelle müssen auf dem Prüfstand. Und noch nicht abzusehen ist, welche Auswirkungen der Zoll-Konflikt zwischen den USA und China auf den Export oder auf die Produktion vor Ort hat. Vor diesem Hintergrund lud das Chinaforum Bayern in die IHK Nürnberg für Mittelfranken zur Veranstaltung „Zwischen Konsumstau und Handelsschranke – Bleiben deutsche Firmen in China auf der Strecke?“.

„Es kommt darauf an“, lautete die Antwort von Referent Christian Sommer, Chef des German Centre Shanghai, der seit rund 30 Jahren in China lebt. Der Jurist beschrieb die Wirtschaftspolitik der chinesischen Zentralregierung und auch die Hausaufgaben für deutsche und europäische Unternehmen, die in China erfolgreich sein möchten. Die chinesische Wirtschaft leide an Long-Covid, die Mietpreise seien im Zuge der Immobilienkrise in den Keller gerutscht. Die offiziellen Zahlen (Wachstum von über fünf Prozent) seien nicht unbedingt falsch, aber auch nicht direkt nachvollziehbar. Beispiel Jugendarbeitslosigkeit: Sie lag bis vor Kurzem bei 20 Prozent. Angesichts dieser schlechten Zahl wurde die Berechnung umgestellt, nun liegt sie offiziell bei nur noch fünf Prozent. Aber de facto ist die Unsicherheit der chinesischen Eltern geblieben, ob ihre Kinder eine gut bezahlte Arbeit finden. „Das Vertrauen der Bevölkerung ist angeknackst, es herrscht ein ruinöser Preiskampf“, sagte Sommer.

Daher stimuliert die Regierung die Kauflust der Verbraucher mit subventionierten Konsumgutscheinen und Hypothekenkrediten. So werden beispielsweise Reiskocher mit rund 40 Prozent vom Staat alimentiert. Der Staat kämpft mit seiner zentralistischen Steuerung aktuell an vielen Fronten: Angesichts der Probleme der Rentenkasse wird etwa das Eintrittsalter in den Ruhestand um drei Jahre angehoben (Männern bisher 60 Jahre, Frauen 55 Jahre). Das führt zwar zu einer Entlastung, ist aber für die hohe Jugendarbeitslosigkeit kontraproduktiv. Der Genehmigungsstopp beim Neubau kann zwar die Überkapazitäten abmildern, bringt aber die Beschäftigten der Branche unter Druck. Teilweise müssen Regierungsangestellte Gehaltskürzungen von bis zu 50 Prozent hinnehmen. Sommer stellte fest: „Früher gab es eine klare Linie, nun sind die Einzelmaßnahmen nicht aufeinander abgestimmt.“

Aber auch die Unternehmen selbst agieren mit ruinösen Preisen: So fürchten die Europäer, dass China wegen des Zollkriegs mit den USA den Kontinent mit Billigprodukten flutet. Sommer beobachtet aber auch in China selbst ein ähnliches Vorgehen: „In den Branchen Bau, Auto und Maschinenbau muss alles raus aus den Lagern.“ Dies alles treffe Deutschland ins Mark, weil es um die Kernbereiche der deutschen Industrie gehe. Zudem hätten deutsche Firmen Schwierigkeiten, beim chinesischen Innovationstempo mitzuhalten.

Christian Sommer, Chairman des German Centre Shanghai.
Christian Sommer, Chairman des German Centre Shanghai.

Chinesischer Markt wird oft nicht verstanden

Die Ursachen für die aktuellen Bremsspuren im China-Geschäft sieht der Experte aber eher in Europa und Deutschland und illustriert das an der Plattform-Strategie der deutschen Autobauer: Für Chinesen sei das Auto eine Art Lebensraum auch zum Essen oder Wohnen, darauf sei ein deutscher Top-Ingenieur nicht eingestellt. Hinzu komme der Boom bei E-Autos und beim autonomen Fahren. Die Automärkte entwickeln sich deshalb völlig anders. Das gilt auch für die Servicekultur, die sich aus der digitalen Vernetzung ergibt: In China ruft der Autohändler beim Halter an, um ihn beispielsweise auf einen platten Reifen hinzuweisen. Sollte das Auto in den nächsten Stunden nicht gebraucht werden, wird es in der Zeit repariert. Die deutschen Autoproduzenten müssten deshalb bei E-Autos aufholen und ein neues Verständnis vom chinesischen Markt gewinnen. Bei den Entwicklungszyklen für neue Modelle sollten es nur noch zwei Jahre sein statt vier bis fünf. Wenn deutsche Autohersteller in China in ihren Fahrzeugen die Technik von Huawei verbauen, sei klar, dass so ein Wagen nie in den USA verkauft werden könne. Ähnliches gelte bei chinesischen Komponenten in Mobilfunktechnologie. „Die Globalisierung ist dadurch nicht in Gefahr, wir erleben eine Regionalisierung der Globalisierung“, sagte Sommer. Diese sogenannte Glokalisierung bedeute, dass man in Deutschland Kompetenz an das Management vor Ort abgeben müsse. Durch mehr Selbstständigkeit vor Ort lasse sich auch eine höhere Geschwindigkeit am chinesischen Markt erreichen. Das derzeit an der Kundschaft in Fernost vorbei produziert werde, bezeichnet er als bekanntes Problem und daher als „Management-Versagen“.

Der Chef des German Centre Shanghai, einer Tochtergesellschaft der BayernLB, rät deutschen Unternehmen zu einem Joint-Venture, wie es früher praktisch üblich und Pflicht war. Seiner Erfahrung zufolge sei das eine sinnvolle Zusammenarbeit, die einen Mehrwert in den chinesischen Märkten liefert. Die Sorge, dass dabei Patente oder andere Schutzrechte verletzt werden, sieht Sommer nicht. Die Gerichte in China sprechen Recht – aber nur so lange, wie es nicht politisch werde. Dem Postulat „Wandel durch Handel“ erteilte er eine Absage: „Die Systeme nähern sich nicht aneinander an.“ Für die Zukunft sieht er drei große Systeme: den demokratischen Rechtsstaat mit Gewaltenteilung, autokratische bis hin zu diktatorischen Staaten sowie religiöse Staatsformen. Als „glühender Europäer“ forderte er die EU-Länder auf, mit einer Stimme zu sprechen, um im Wettstreit mit China und den USA genug Schlagkraft zu haben. Ein weiterer Blick in seine Glaskugel zeige, dass sich die USA auf eine Rolle auf Platz 2 der Wirtschaftsmächte einstellen müssten. Und wenn in China das Konsumvertrauen zurückkommt, sollte die deutsche Wirtschaft genug Produkte im Angebot haben, die innovativ genug sind und die die chinesischen Konsumenten bezahlen wollen und können.

Autor: Thomas Tjiang (tt.)

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