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Das Lieferkettengesetz (LkSG) nimmt seit dem letzten Jahr Unternehmen ab 1 000 Mitarbeitern mit Sitz oder Zweigniederlassung in Deutschland in die Pflicht. Im Jahr 2023 lag die Grenze noch bei 3 000 Mitarbeitern. Sie müssen aktiv menschenrechtliche und umweltbezogene Defizite, die ihnen bekannt werden, in den Fokus nehmen. Doch gerade von Seiten kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) ist die Kritik groß: Sie beklagen einen hohen bürokratischen Aufwand und Unklarheit darüber, wie sie sich überhaupt gesetzeskonform verhalten können. Vor diesem Hintergrund lud die IHK Nürnberg für Mittelfranken gemeinsam mit allen bayerischen IHKs und dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zur Veranstaltung „Das Lieferkettengesetz in der Praxis: Zwischen Unsicherheit und Umsetzung“ ein.

Auf die wichtigsten Risiken konzentrieren

Das BAFA übt beim Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (so der vollständige Name) die Prüf- und Kontrolltätigkeit aus. Es unterstützt Unternehmen aber auch mit Handreichungen und beantwortet Grundsatzfragen. Darüber hinaus vernetzt es Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft. Richard Wilhelm, Referatsleiter der BAFA-Abteilung LkSG, machte deutlich, wie die Unternehmen effizient vorgehen können, um sich nicht zu verheddern. Er empfahl, sich auf das „risikobasierte Vorgehen“ zu konzentrieren, wie es auch im LkSG vorgesehen sei. Demnach sollten Unternehmen ihre eigenen Ressourcen zielgerichtet einsetzen: also nicht alle Risiken abarbeiten, sondern diese priorisieren. Deshalb sagte er auch mit Blick auf die Großbetriebe, die schon dem LkSG unterliegen: „Unternehmen müssen nicht jedem Zulieferer alles abverlangen.“ In der Praxis sei dagegen zu beobachten, dass aus Übervorsicht oder Unkenntnis ein umfassender Fragebogen mit allen möglichen Aspekten an jeden Zulieferer geschickt wird. Diese Vorgehensweise sei unangemessen: „Außerdem will das BAFA am Ende nicht 10 000 verschickte Fragebögen prüfen, mit denen sich Unternehmen auf die rechtssichere Seite retten wollen.“

Der bessere Weg für verpflichtete Unternehmen sehe folgendermaßen aus: Zunächst eine Risikoanalyse durchführen, um tatsächliche Risiken im eigenen Geschäftsbereich und bei Zulieferern zu ermitteln. Dafür können beispielsweise Berichte von Nichtregierungsorganisationen über Menschenrechtsverletzungen in fernen Fabriken herangezogen werden. Unter die Lupe genommen werden sollten auch Bereiche, in denen höhere Risiken bekannt sind, z. B. bei Erntehelfern oder in Schlachtbetrieben. Um Risiken bei Menschenrechten entlang der eigenen Wertschöpfungskette zu identifizieren, kann auch der Helpdesk Wirtschaft und Menschenrechte (wirtschaft-entwicklung.de) der Agentur für Wirtschaft und Entwicklung (AWE) weiterhelfen. Hierbei handelt es sich um ein kostenloses Unterstützungsangebot der Bundesregierung, das Unternehmen jeder Größe bei der Umsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltsprozesse berät.

Die ermittelten Risiken sind dann angemessen zu bewerten. „Verpflichtete Unternehmen müssen die Risiken konkretisieren, um überhaupt handlungsfähig zu bleiben“, beschrieb Wilhelm die Herausforderung der Betriebe, die Anforderungen auf praktikable Weise zu erfüllen. Die Ergebnisse der Risikoanalyse sollten dann auch genutzt werden, um die Informationsabfragen bei den zuliefernden Betrieben angemessen zu gestalten. Das bedeutet: Bei den Zulieferern sollte nicht im Rundumschlag abgefragt werden, sondern nur das, was auch einen Bezug zu den ermittelten Risiken hat. Und dies sollte zudem nur in einem angemessenen Umfang geschehen.

Noch eines hob Wilhelm ausdrücklich hervor: Große Unternehmen, die der Berichtspflicht unterliegen, sollten ihre Geschäftsbeziehungen zu einem Zulieferer nicht allein deswegen aufgeben, weil dieser nur zurückhaltend an der Informationsabfrage mitwirkt.

Wie geht das BAFA vor?

Wilhelms Abteilung schaut sich die Risikoanalyse mit dem Prüfprozess an. Es kann aus seiner Sicht legitim sein, in einem Jahr zehn Risiken zu benennen und im Folgejahr nur fünf. Wenn die Behörde Ordnungswidrigkeiten erkennt, gebe seine Abteilung oft Hinweise an Unternehmen, einen anderen Ansatz zu wählen oder eine feste Zuständigkeit für Beschwerden – am besten mehr als zweisprachig – zu benennen. Bei schuldhaftem Verhalten werde ein Unternehmen mit einer „gelben Karte“ verwarnt, verbunden mit der Aufforderung „erledigen und abstellen“. Das sei bislang 14 Mal vorgekommen.

Experten für Lieferketten: Eike Wiesner und Richard Wilhelm vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) mit Stephanie Kickert, CSR-Managerin der IHK Nürnberg für Mittelfranken.

Arbeitshilfen nutzen

Die BAFA begleitet Branchenverbände und Initiativen bei der Erarbeitung konkreter Arbeitsmittel, um die Zusammenarbeit in der Lieferkette zu fördern. So hat beispielsweise der Verband der Deutschen Möbelindustrie (VDM) eine Risikomatrix für seine Mitgliedsunternehmen erarbeitet, damit nicht jeder einzelne vom LkSG betroffene Betrieb das Rad neu erfinden muss. Auch der Verband der Automobilindustrie (VDA) hat vor diesem Hintergrund einen Code of Conduct entwickelt. In dieser Branche wird bereits das in der Entwicklung befindliche Instrument Catena-X, ein kollaboratives und offenes Daten-Ökosystem, für das Lieferkettengesetz genutzt.

Das BAFA hat auch eine hauseigene Handreichung zur Orientierung herausgegeben, in der positive und negative Beispiele aus der Praxis dargestellt werden. Eike Wiesner, BAFA-Referent für LkSG-Prüfungsleitlinien, verwies auch auf die BAFA-Homepage (www.bafa.de) mit umfassenden Informationen zum Thema Lieferketten. Auf dem Markt gebe es zahlreiche IT-Tools, die bei der Bearbeitung des Themas unterstützen, deren Qualität aber variiere. Die Behörde selbst bewerte oder zertifiziere solche Angebote nicht. Dies gelte auch für Beratungspakete von Dienstleistern, denn die Unternehmen könnten sich durch einen beauftragten Dritten nicht ihrer Verantwortung nach dem Gesetz entziehen. Am Ende werde immer ein Unternehmensbericht individuell geprüft.

Bislang wurden insgesamt fast 1 300 Berichte an die BAFA-Abteilung übermittelt. Darüber hinaus gab es in Summe knapp 1 500 risikobasierte Kontrollen, davon über 100 anlassbezogene. Rund 440 Beschwerden oder Hinweise sind bislang eingegangen; bei mehr als zwei Dritteln stellte sich aber heraus, dass es dabei keinen Bezug zu den Sorgfaltspflichten gab, die im LkSG verankert sind. Außerdem gab es bisher 22 sogenannte OWI-Verfahren (Ordnungswidrigkeitenverfahren).

In dem gut besuchten Seminar nutzen viele Teilnehmer die Gelegenheit, um der Kontrollbehörde ihre Ratlosigkeit mitzuteilen oder Fragen zu stellen. So wurde beklagt, dass man als mittelständischer Betrieb die Anforderungen der Tools großer Unternehmen nicht erfüllen könne. Andere wollten auch nicht 50 000 Euro für Berater ausgeben, ohne dass sich etwas in der Lieferkette verändert. Für einen Teilnehmer war der Aufwand der Kontrollen, aber auch der Quellen-Dschungel für die LkSG-Konformität nicht nachvollziehbar.

Ein Unternehmensvertreter sah sich außerstande, die Lieferkette bis hin zu Konfliktmaterialien oder abgeholzten Regenwäldern zu durchforsten. Dem pflichtete ein weiterer Zuhörer bei, er kenne nur seine Tier-1-Lieferanten, aber nicht die danach folgende Ebene. Ein Geschäftsführer sah sich selbst in der Pflicht für seine Lieferkette und lehnt deshalb eine Fertigung in weit entfernten Ländern ab. Er investiere lieber in der Oberpfalz oder in Tschechien, um einfach hinzufahren, anzuschauen und dann einen Haken zu machen.

Autor: Thomas Tjiang (tt.)

Ziel des Lieferkettengesetzes (LkSG) ist es, menschenrechtliche und umweltbezogene Missstände insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenländern zu reduzieren. Grundlage sind die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte aus dem Jahr 2011, die die Bundesregierung 2016 mit dem Strategiepapier „Nationaler Aktionsplan (NAP) Wirtschaft und Menschenrechte“ konkretisiert hat.

Das LkSG ist seit 2023 in Kraft und galt zunächst für Unternehmen mit mindestens 3 000 Beschäftigten. Seit 2024 sind auch Unternehmen ab 1 000 Mitarbeitern mit Sitz oder Zweigniederlassung in Deutschland in der Pflicht. 2024 setzte die EU die europäische Lieferkettenrichtlinie (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, kurz CSDDD oder CS3D) in Kraft. Die Mitgliedstaaten müssen sie innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umsetzen. Die CSDDD wird für Unternehmen mit mehr als 3 000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von über einer Mrd. Euro gelten und das deutsche LkSG ergänzen. In Europa gibt es allerdings bereits nationale Vorstöße, das CSDDD im Zeichen des Bürokratieabbaus abzuschaffen.

www.bafa.de (Rubrik „Lieferketten“)
Hier geht es zur IHK-Seite  zum deutschen und europäischen Lieferkettengesetz

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