So bleibt man gesund
Reisemedizin: Arbeitgeber müssen ihre Mitarbeiter bestmöglich vor Risiken auf beruflichen Auslandsreisen schützen. Was ist medizinisch zu beachten?


Auch wenn die Globalisierung derzeit „out” zu sein scheint: Für viele Unternehmen sind Auslandsreisen und langfristige Entsendungen von Mitarbeitenden weiterhin ein Thema. Sie führen auch in entlegene Ziele mit unzureichender medizinischer Versorgung und erhöhten Sicherheitsrisiken. Wie kann man sich darauf aus medizinischer Sicht vorbereiten?
In die Betrachtung müssen nicht nur die Mitarbeiter, sondern gegebenenfalls auch begleitende Angehörige und Subunternehmer einbezogen werden. Die Arbeitgeber haben die Pflicht, die mobilen Mitarbeiter auf Reisen bestmöglich zu schützen. Es liegt aber auch im betrieblichen Interesse des Unternehmens, denn Sorglosigkeit bei der Reiseplanung kann zu Ausfällen der Mitarbeiter führen – und damit auch zu schlechteren Ergebnissen auf Geschäftsreisen oder Unterbrechungen der Reise. Letzten Endes schadet es auch der Reputation des Unternehmens, wenn es an der richtigen Vorbereitung mangelt und Mitarbeiter deshalb erkranken oder anderweitig Schaden nehmen. Mögliche Gefährdungen werden daher sinnvollerweise im Vorfeld evaluiert und entsprechende Vorkehrungen geschaffen, um einerseits Risiken zu mindern und andererseits im Ernstfall ohne Zeitverlust helfen zu können. Eine gute Informationsquelle und eine gute Leitlinie für entsprechende Schutzund Präventionsmaßnahmen ist die ISO 31030:2021 – der internationale Leitfaden für das Management von Reiserisiken (Travel Risk Management TRM).
Es sollte selbstverständlich sein, sich bei der Vorbereitung von beruflichen Auslandsreisen kompetent reisemedizinisch beraten zu lassen. Diese Beratung ist vom Gesetzgeber aus gutem Grund als Pflichtvorsorge im Rahmen der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) festgelegt worden. Pflichtvorsorge bedeutet: Ohne diese Beratung (inklusive Impfangebot) keine beruflichen Auslandsaufenthalte. Somit ist sie nicht nur fachlich geboten, sondern auch ein Compliance- Thema. Die Definition für den Anlass der Vorsorge ist im Anhang der Verordnung formuliert: „Tätigkeiten in Tropen, Subtropen und sonstige Auslandsaufenthalte mit besonderen klimatischen Belastungen und Infektionsgefährdungen.” Die frühere Bezeichnung „G35” (Vorsorgeuntersuchung für Arbeiten im Ausland unter besonderen klimatischen Belastungen) ist seit zwölf Jahren nicht mehr gültig. Gelegentlich wird der Begriff „Tropentauglichkeit” verwendet, der aber medizinisch unsinnig ist.
Ablauf der reisemedizinischen Beratung
Wenn man bereits eine Betriebsärztin oder einen Betriebsarzt mit reisemedizinischer Fachkompetenz hat (oder eine Ärztin oder Arzt für Tropenmedizin), nennt man am besten das Reiseziel und fragt nach, ob man dafür eine reisemedizinische Beratung benötigt. Sollte der Betrieb bisher keine arbeitsmedizinischen Dienstleistungen in Anspruch genommen haben, ist die Frage nach einem neuen Reiseziel ein guter Zeitpunkt, damit zu beginnen. Wenn der angesprochene Arzt einen Beratungsbedarf bejaht, wird ein Termin vereinbart – diese Vorsorge ist Arbeitszeit. Wichtige Anmerkung: Betriebsärzte unterliegen exakt der gleichen Schweigepflicht wie alle anderen Ärzte auch. Beim Beratungsgespräch wird der Mitarbeiter vom Betriebsarzt über die Schweigepflicht und den Vorsorgecharakter des Gesprächs informiert.
Zu besprechen sind drei Aspekte der Reise:
- Wer fährt? Besprochen werden persönliche Gesundheitsthemen und gegebenenfalls Krankheiten, zudem Medikamente, Impfstatus usw.
- Wohin und wie lange geht die Reise? Dabei geht es nicht nur um das Land, sondern auch um das genaue Reiseziel dort. Denn häufig gibt es innerhalb eines Landes unterschiedliche medizinische und Sicherheitsrisiken.
- Welche Aufgaben hat der Reisende dort? Die Tätigkeiten sowie die physische und psychische Beanspruchung am Zielort können sehr unterschiedlich sein.
Je nach Ergebnis des Gesprächs werden die gesundheitlichen Risiken besprochen, die sich daraus ergeben. Dazu gehören beispielsweise diese Themen: Reisedurchfall, Reiseapotheke, medizinische Infrastruktur vor Ort, hygienische Aspekte (Sauberkeit des Trinkwassers), Mückenschutz, Unfallrisiken (das häufigste Gesundheitsproblem in fernen Ländern heißt Verkehrsunfall), aber auch kulturelle Unterschiede (z. B. abweichende Geschlechterrollen, die gegebenenfalls Auswirkungen auf die medizinische Versorgung im Notfall haben könnten).
Impfschutz sicherstellen
Unter Umständen kann eine Blutentnahme sinnvoll sein, wenn es um spezielle Fragen des Impfschutzes geht. Infektionsgefahren in fernen (und teils auch in nahen) Ländern können sein: Dengue-Fieber, Gelbfieber, Malaria, Masern, Kinderlähmung, Hepatitis A/B/C, HIV, Zika-Virus, Tetanus, Diphtherie, Tollwut, Leishmaniose, diverse Magen-Darm-Viren usw. Deshalb gehört auch ein Impfangebot durch den Arbeitgeber dazu: Impfungen, die ausschließlich wegen der Reise erforderlich oder ratsam sind, muss der Arbeitgeber als „Verursacher” der Reise auch zahlen. Üblicherweise impft der Betriebsarzt im Rahmen der Beratung, wenn die Konstellation das ermöglicht (sind z. B. Impfstoffe und ein geeigneter Kühlschrank vorhanden?). Wichtig zu wissen: Es gibt in diesem Zusammenhang keine Impfpflicht, Beschäftigte müssen Impfempfehlungen nicht annehmen. Eine Ausnahme ist die Masernimpfung, die unter Umständen Pflicht sein kann.
Je nach Reiseziel oder eventuellen Anschlussreisen kann auch eine Gelbfieber-Impfung Pflicht sein. Wie komplex das Thema sein kann, zeigt dieses Beispiel: Eine Technikerin (42 Jahre) ist Spezialistin für ein bestimmtes Produkt und soll deshalb den 57-jährigen Kollegen aus dem Vertrieb begleiten. Das Unternehmen ist mit seiner Technologie weltweit Marktführer, hat aber Mitbewerber in diesem Segment und sieht die Chance zum Markteinstieg des Produktes in Indien. Der potenzielle Neukunde hat den Firmensitz in Westbengalen in einer Stadt mit nur mäßiger medizinischer Infrastruktur. Die Technikerin reagiert ängstlich auf das Ansinnen für die Reise und berichtet von einem insulinpflichtigen Diabetes, der „auf Reisen Schwierigkeiten bereitet”. Sie habe auch schon gehört, dass ein Spritzenbesteck mit Ampullen im Handgepäck bei der Einreise in viele Länder problematisch sei. Der Vertriebsmann äußert Bedenken wegen eines sechs Monate zurückliegenden Herzinfarktes und hat zudem gehört, dass es in Indien häufig Tollwutfälle gibt. Dann ist im Unternehmen kurzfristig ein „technischer Notfall” zu bewältigen, die Technikerin soll deshalb vor der Indien-Reise noch schnell nach São Paolo (Brasilien) reisen, um einem ihr bislang noch nicht bekannten Kunden aus der Patsche zu helfen. Der Vertriebsmitarbeiter fordert zudem für die Reise eine Reiseapotheke. Denken sollte man auch daran, dass möglicherweise auch nach der Rückkehr nochmals eine Beratung oder gegebenenfalls eine Nachuntersuchung nötig sein kann. Diese komplexe Situation vor Reiseantritt zeigt, dass es ohne fachlichen Rat nicht geht. Oder um ein beliebtes Zitat in der Reisemedizin zu bemühen: „Unvorbereitetes Wegeilen bringt unglückliche Wiederkehr.”
Nicht vergessen werden darf auch das Thema Versicherung: Der berufliche Teil der Reise ist durch die Berufsgenossenschaft abgesichert – aber nicht lückenlos. Für den Arbeitgeber stellt sich deshalb die Frage, ob noch eine Auslandskrankenversicherung für den gesamten Betrieb notwendig ist oder möglicherweise auch nur für einzelne Reisen. Besonders empfehlenswert für alle Sicherheits- und Gesundheitsaspekte reisender Beschäftigter ist ein Vertrag mit einem Assistance-Unternehmen.
Das Thema „Gesundheit auf Reisen” wird aus mehreren Gründen immer komplexer: Bei der Entwicklung von Infektionen sehen wir eine zunehmende Dynamik. Gleichzeitig steigt die weltweite Mobilität immer weiter und damit auch die Zahl der Reisenden mit Gesundheitsproblemen. Zudem sind immer mehr verschiedene Impfstoffe verfügbar und es gibt eine unüberschaubare Fülle an medizinischen Informationen, in der sich Laien kaum zurechtfinden dürften. Kurzum: Es müssen differenzierte Entscheidungen getroffen werden, die in die Hand von medizinischen Fachleuten gehören!
Autor: Dr. med. Christian van de Weyer ist geschäftsführender Gesellschafter der arbeitsmedizinischen Praxis ProfessioMed GmbH in Nürnberg. Seit über 20 Jahren betreut er Unternehmen als Facharzt für Arbeitsmedizin, Notfallmedizin, Reisemedizin, Verkehrsmedizin und psychosomatische Grundversorgung (www.professiomed.de).
To-do-Liste bei Geschäftsreisen
vor der Reise
- Versicherungen und Assistance-Unterstützung klären
- Betriebsarzt rechtzeitig (mindestens vier Wochen vorher) beauftragen
- Reiseberatung in Anspruch nehmen
- Impfstatus und notwendige Impfungen klären (evtl. je nach Land unterschiedlich)
- Reiseapotheke und Mückenschutz klären
- gegebenenfalls sogenannte ELEFAND-Meldung abgeben („Elektronische Erfassung Deutscher im Ausland“; https://krisenvorsorgeliste. diplo.de/signin
- klären, welche Gesundheitshotline während der Reise rund um die Uhr um medizinischen Rat gefragt werden kann
nach der Reise:
- gegebenenfalls reisespezifische Nachuntersuchung etwa vier Wochen nach der Rückkehr
- Falls nach der Rückkehr eine Arbeitsunfähigkeit eintritt, die Personalabteilung kontaktieren. Denn die Erkrankung könnte reisebedingt sein.
rechtliche Grundlagen und Informationen:
- § 5 Arbeitsschutzgesetz: Pflicht des Arbeitgebers zur Beurteilung der Gefährdungen
- § 6 Arbeitsschutzgesetz: Pflicht zur Dokumentation sowie zur Festlegung erforderlicher Schutzmaßnahmen
- DGUV-Vorschrift 2 (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung): Grundlagen der Prävention sowie Aufgaben u. a. des Betriebsarztes
- Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV)
- Risikomanagement für Reisen gemäß ISO 31030:2021: Travel Risk Management − Guidance for Organizations (www.iso.org, Suchbegriff „ISO 31030:2021“)
Webcode: N1543