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Prof. Dr. Ulla Gläßer ist Professorin für Mediation, Konfliktmanagement und Verfahrenslehre an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder (www.europa-uni.de). Zudem ist die aus Mittelfranken stammende Wissenschaftlerin selbst als Mediatorin tätig .

Die Mediation scheint im Wirtschaftsleben immer noch ein Schattendasein zu führen. Oder sehen Sie hier doch Bewegung?

Meiner Wahrnehmung nach gibt es schon seit etlichen Jahren eine recht deutliche Bewegung dahin, dass die Mediation häufiger zur Beilegung von Streitigkeiten im Wirtschaftsleben genutzt wird. Das konnten wir auch durch eine gemeinsam mit PricewaterhouseCoopers über zehn Jahre von 2005 bis 2015 durchgeführte Studienserie nachweisen. Zudem haben viele Unternehmen mittlerweile Konfliktmanagement-Programme oder sogar vollständige Konfliktmanagement-Systeme etabliert. Diese sorgen dafür, dass das jeweils am besten passende Verfahren für die Bearbeitung eines konkreten Konfliktes gewählt wird. Allerdings gibt es noch „Luft nach oben“. Immer noch werden zu viele Wirtschaftskonflikte vor Gericht ausgetragen, die in einer Mediation schneller, umfassender und nachhaltiger gelöst werden könnten.

Woran liegt es nach Ihrer Beobachtung, dass Unternehmen häufig doch den Gang zum Gericht vorziehen, obwohl eine Mediation in Frage käme?

Dafür gibt es eine Reihe von Gründen: In Unternehmen – und auch bei den sie beratenden Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten – gibt es immer noch erstaunlich viel Unkenntnis über die Leistungsfähigkeit von Mediation. So denken manche, Mediation sei nur für Familien- und Beziehungskonflikte geeignet. Das verkennt die Variabilität von Mediationsverfahren, die genau auf die jeweilige Konfliktlage und die Verfahrensinteressen der Konfliktbeteiligten angepasst werden können. Wirtschaftsmediationen sind hochrationale und effiziente Verfahren. Darin werden die Konfliktparteien systematisch dabei unterstützt, die bestmögliche Entscheidung zu treffen und dabei alle Umstände, rechtlichen Rahmenbedingungen und Handlungsalternativen abzuwägen.

Wenn die Entscheidungsträger in Unternehmen und die beratenden Juristen noch keine gelebte Erfahrung mit Mediation haben, fehlt oft die Vorstellung, wie ein Mediationsverfahren genau abläuft und wie man sich professionell darauf vorbereitet. Dann erscheint es verständlicherweise als ein großes Risiko, sich darauf einzulassen. Aber tatsächlich ist das Risiko einer Mediation deutlich geringer als das eines Gerichtsverfahrens. Denn die Konfliktparteien haben die Entscheidungen über die einzelnen Verfahrensschritte und Lösungselemente selbst in der Hand. Mediatorinnen und Mediatoren nehmen sich gerne die Zeit, ihre Arbeits- und Verfahrensweise zu erläutern, bevor man sich für oder gegen eine Mediation entscheidet.

Warum gibt es oft Skepsis bei Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten?

Manche Anwälte scheuen sich, eine Mediation zu empfehlen, weil sie schlicht mehr Erfahrung damit haben, einen klassischen Rechtsstreit vor Gericht zu führen. Oder sie fürchten, dass es bei der Gegenseite als Eingeständnis einer schwachen Rechtsposition gewertet werden könnte, wenn sie eine Wirtschaftsmediation vorschlagen. Aber die Unternehmensvertreter sollten ihre Rechtsbeistände auch selbst in die Pflicht nehmen. Denn laut Paragraf 253 Zivilprozessordnung sind die Anwälte verpflichtet, vor der Klageerhebung über außergerichtliche Verfahrensalternativen zu informieren und die möglichen Risiken und Nutzen der unterschiedlichen Verfahrenspfade abzuwägen.

Für welche Arten von Konflikten zwischen Unternehmen eignet sich die Mediation besonders?

Das Mediationsverfahren kann sehr flexibel gestaltet und sehr gut an die Bedingungen unterschiedlicher Konflikte angepasst werden. Besonders naheliegend ist die Mediation, wenn eine langjährige Zusammenarbeit z. B. mit Zulieferern, Abnehmern oder Subunternehmern auf dem Spiel steht. Hier können Mediatoren dazu beitragen, dass Sachverhalte gemeinsam analysiert, Missverständnisse schnell aufgeklärt und gegenseitige Vorwürfe konstruktiv bearbeitet werden. Auf diese Weise wird verlorenes Vertrauen wiederhergestellt. Dagegen droht in Gerichtsverfahren eine weitere Eskalation und letztlich die irreparable Zerstörung der Arbeitsbeziehungen zwischen den Unternehmen.

Mediation kann aber auch sehr gut eingesetzt werden, wenn es zumindest vordergründig „nur um Geld geht“. Sie ermöglicht es, die Voraussetzungen für Ansprüche rational zu analysieren und praktikable Lösungen aufzuzeigen. Dadurch öffnet sich oft der Weg zu einem schnellen und zufriedenstellenden Vergleich. Mediation sollte auch dann in Erwägung gezogen werden, wenn Konflikte sonst ungebremst eskalieren und dadurch hohe Kosten drohen würden. Außerdem ist sie ein gutes Instrument, wenn die Konfliktthemen nicht justiziabel sind, also von Gerichten gar nicht entschieden werden könnten. Und Mediation ist ideal, wenn die entstandene Problemlage eigentlich nur gemeinsam gestaltend gelöst werden kann.

Ist die Wirtschaftsmediation auch für kleine Betriebe geeignet?

Ja, unbedingt. Manchmal funktioniert Mediation für kleinere und mittlere Betriebe sogar besser. Denn die betriebsinternen Entscheidungswege sind übersichtlicher und die entscheidenden Personen sind umfassender involviert und betroffen.

Ist es sinnvoll, das Instrument der Mediation in Verträgen gleich immer als mögliches Instrument der Streitbeilegung festzuhalten?

Die Integration von Klauseln für die Streitbeilegung in Verträge ist unbedingt empfehlenswert. Denn wenn die Konflikte erst einmal zu eskalieren beginnen, entsteht zwischen den Beteiligten schnell wechselseitiges Misstrauen und ein „Tunnelblick“. Dann kann man sich kaum noch auf ein außergerichtliches Verfahren und/oder konkrete Personen als Mediatoren einigen. Daher hilft es sehr, wenn man auf vorsorglich geschlossene, verbindliche Verfahrensvereinbarungen zurückgreifen kann.

Die Fragen stellte Hartmut Beck.

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