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100 Jahre im Markt für Naturheilmittel

Auf eine ungewöhnliche Erfolgsgeschichte kann die im Schwaiger Ortsteil Behringersdorf ansässige Firma Retterspitz GmbH zurückblicken. Das Familienunternehmen fertigt seit 100 Jahren in der vierten Generation Naturheil- und Pflegeartikel, die ihren Ursprung in einem Ausgangsprodukt haben: dem Retterspitz-Wasser.

Die Produktgeschichte begann im 19. Jahrhundert, als die 1851 in Westmittelfranken geborene Margarethe Riegel von ihrem ersten Ehemann Georg Weber die Rezeptur für ein Universalheilmittel erhalten hatte. Nach dem frühen Tod ihres Mannes und ihrer Wiederverheiratung mit Friedrich Retterspitz produzierten beide das Heilwasser unter der Bezeichnung „Retterspitz“ zunächst in Würzburg. Bereits in den frühen 1890er Jahren wurde das Mittel in über 60 Apotheken verkauft. Um 1895 wurde man darauf aufmerksam, dass das Mittel nicht nur für Wunden und Hautschäden, sondern auch für tiefer liegende Entzündungen von Blinddarm, Bauchfell, Rippenfell und Lunge wirksam und außerdem fiebersenkend war. Ab 1901 nannte Margarethe Retterspitz ihr Präparat „Universal-Heilwickel-Bäder“ und ließ es unter dieser Bezeichnung als Warenzeichen anmelden. Bald darauf verlegte sie ihren Wohnsitz von Fürth in den Schweizer Kanton Appenzell, wo sie in Walzenhausen bis zu ihrem Tod 1905 ein Retterspitz-Kurhaus betrieb.

Im Jahre 1902 erwarb der Nürnberger Apotheker Hans Scheck die Rechte an der Rezeptur von Frau Retterspitz, da das Mittel in Deutschland nicht mehr verfügbar war. In einem Selbstversuch behandelte sich Scheck erfolgreich mit dem Mittel gegen ein Magengeschwür und fertigte das Wasser fortan in eigenen Laborräumen in Nürnberg unter dem Namen „Retterspitz-Wasser“, der bereits bestens eingeführt war. Bis 1920 blieb Apotheker Scheck damit ein erfolgreiches Ein-Produkt- und Ein-Mann-Unternehmen. Schließlich entwickelte er noch eine Variante zum Einnehmen.

Der heutige Senior-Chef und Enkel des Firmengründers, der Mediziner Dr. Gerhard Valet, erinnert sich noch gut an seinen Großvater und dessen Anfangsjahre: „Damals waren Apotheker noch experimentierfreudig, nicht nur Verkäufer. Die Apotheke war die Keimzelle pharmazeutischer Betriebe und mein Großvater hat Retterspitz von einem Hausmittel zu einem fabrikmäßigen Produkt gemacht.“ Ein großes medizinisches Problem in jenen Zeiten vor der Entdeckung von Antibiotika waren nach Valets Worten Entzündungen, auch als Folge von Operationen. „Daran sind viele Menschen gestorben, besonders Kinder nach einer Blinddarmoperation“, so Valet. Somit war das Retterspitz-Heilwasser in diesen Zeiten ein wichtiges Mittel der Selbst-Behandlung, was die Ärzteschaft zunächst verärgerte. Nach Schecks Tod 1935 folgte sein Sohn Hermann, der die Firma auf eine kaufmännische Grundlage stellte, vergrößerte und die Produktpalette erweiterte, wogegen sich sein Vater stets gesträubt hatte, um die historische Rezeptur nicht zu „verwässern“. Kriegsbedingt hatte die Firma von 1914 bis 1918 große Probleme, die Produktion wegen der Rationierung von Branntwein aufrechtzuerhalten. Im Zweiten Weltkrieg schließlich wurde die Produktion in Nürnberg zerstört. 1961 wurde der Firmensitz nach Behringersdorf verlegt und ein Außendienst aufgebaut. Der Vertrieb der Retterspitz-Produkte erfolgt nach wie vor über Apotheken, da die Präparate apotheken-, jedoch nicht verschreibungspflichtig sind.

Das Unternehmen, das mittlerweile 49 Mitarbeiter beschäftigt, hat kontinuierliche Investitionen getätigt. 1987 wurde ein Verwaltungsneubau auf dem Firmengelände errichtet und in den letzten Jahren lagen die Investitionsschwerpunkte auf den Produktionsabläufen und der Optimierung von Standards. Zwischen 250 000 und 500 000 Euro flossen in den letzten fünf Jahren in diese Bereiche, einen Großteil machte die neue Anlage zur Herstellung so genannten „Pharmawassers“ aus.

Als einziger Produzent von Wickeln habe man einen Alleinstellungsvorteil und bei den Umsatzträgern, den Ursprungs- und Klassikerprodukten „Retterspitz äußerlich“ und „innerlich“, von denen man pro Jahr 700 000 Flaschen verkauft, sieht man kein direktes Wettbewerbsprodukt am Markt.

Markus Valet ist sich sicher, dass der allgemeine Trend zu Naturprodukten langfristig angelegt ist und das Thema Gesundheit stets aktuell bleiben wird. Man habe schon andere Krisen gemeistert. So in den 80er Jahren, als die erste Blüm‘sche Gesundheitsreform das Unternehmen vor Probleme stellte. Damals kamen alle Hersteller von Mitteln mit mehr als drei Inhaltsstoffen auf eine Negativ-Liste, da diese Mittel vom Gesundheitsministerium als unwirksam definiert wurden. „Das war eine echte Gemeinheit und wissenschaftlich völlig unhaltbar“, so Gerhard Valet. Bis dahin seien die Retterspitz-Produkte von den Krankenkassen anerkannt worden – ein Bereich der wegzubrechen drohte. Die weitere Entwicklung habe aber schnell gezeigt, dass die Auswirkungen wirtschaftlich keine Einbußen brachten. Mittlerweile sei man sogar froh, nicht mehr von den politischen Einmischungen, den ständigen Regulierungen und Deckelungen des Pharmamarktes betroffen zu sein.

Den Anwendungs-Bereich Sport und die Zielgruppe der Heilpraktiker sieht man für die Zukunft als Wachstumsbringer. Man wolle hier aber statt Sponsoring eher den Weg über seriöse Seminare und Workshops gehen, so Markus Valet.
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 12|2002, Seite 32

 
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