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Bayerisches Wirtschaftsarchiv

Zeitzeugnisse für die Zukunft sichern

Fleischmann © Bayerisches Wirtschaftsarchiv/IHK

Briefkopf der Nürnberger Maschinenfabrik H. Fleischmann, 1891.

Die Einrichtung der bayerischen IHKs unterstützt Betriebe dabei, ihre Archivalien professionell zu erschließen.

Wenn sich Anfang der 1970-er Jahre Kinder einen vierbeinigen treuen Freund wünschten, taten sich die Eltern leicht: Wunschhund einfach auf dem Bestellzettel ankreuzen und dann am nächsten Expressbahnhof abholen. Möglich machte dies das 1927 gegründete Versandhaus Quelle in Fürth. Ob Collie oder Pudel, Dackel oder Cockerspaniel – der fränkische Handelskonzern lieferte verlässlich „Rassehunde mit Ahnentafel“. Die umfangreichen Quelle-Kataloge haben sich als wertvolle „Bibeln des Zeitgeists“ von den Wirtschaftswunderjahren bis zur letzten Ausgabe 2009/2010 im Bayerischen Wirtschaftsarchiv (BWA) erhalten.

Dort befinden sich rund 300 Archivbestände traditionsreicher Unternehmen und Wirtschaftsorganisationen aus ganz Bayern: vom mainfränkischen Schiffbau über Christbaumschmuck aus dem mittelfränkischen Roth bis zum oberbayerischen Braugewerbe. In den „Schatzkammern“ des Archivs lagern auf etwa 6 000 Regalmetern wertvolle Bild-, Schrift- und Tondokumente. Darunter sind beispielsweise Geschäftsberichte, Schriftwechsel mit Aufsichtsräten, Protokolle von Aufsichtsratssitzungen oder Jahresabschlussprüfberichte zu finden. Zahlreiche Fotosammlungen dokumentieren die Arbeitswelt vergangener Zeiten.

„Man steht nur dann ganz fest in der Gegenwart und kann aus ihr heraus in die Zukunft wirken, wenn man die Vergangenheit kennt“, meinte einmal der Industrielle Peter von Siemens. Doch gemessen an der Vielzahl traditionsreicher Unternehmen sind es nur wenige Betriebe, die ihre „Geschichte“ professionell in eigenen Archiven erschlossen haben. Vor allem in kleinen und mittleren Betrieben führen wichtige Belege unternehmerischen Wirkens ein Schattendasein in Kellern oder Speichern. Bei Betriebsstilllegungen, Insolvenzen oder Unternehmensverkäufen droht dann einmaligen Quellenzeugnissen der bayerischen Wirtschaftsgeschichte oft das unwiderrufliche Aus im Reißwolf. Deshalb entschlossen sich die bayerischen Industrie- und Handelskammern im Jahr 1994 dazu, gemeinsam ein Landeswirtschaftsarchiv aus der Taufe zu heben. Als echte Selbstverwaltungseinrichtung arbeitet das Archiv ganz ohne staatliche Zuschüsse. Es trägt sich über die bayerischen Industrie- und Handelskammern und über das Sponsoring eines gemeinnützigen Förderkreises.

Inzwischen hat das Bayerische Wirtschaftsarchiv einen riesigen Quellenfundus aus den Bereichen Industrie, Handel und Dienstleistungen zusammengetragen. Er beleuchtet Bayerns wirtschaftliche Entwicklung seit dem Aufbruch ins Industriezeitalter und bietet wichtige Forschungsgrundlagen. Ein wissenschaftlicher Beirat begleitet die Archivarbeit.

Zu den nachgefragten Angeboten des Wirtschaftsarchivs gehören Führungen durch die Magazine. Die Besucher bekommen dabei Kuriositäten zu sehen wie beispielsweise eine Speisekarte aus dem Fundus einer Münchner Brauerei von 1909. Darauf sind nicht nur die angebotenen Speisen und Getränke zu finden, sondern auch eine Liste der Bedienungen, die in der Gaststätte arbeiteten – samt der Spitznamen, die sie von den Gästen bekommen haben. Interessant auch die Lager- und Verkaufstagebücher einer großen jüdischen Kunsthandlung: Sie sind heute von großem Nutzen, um die Wege von Kunstgegenständen nachzuvollziehen und auf diese Weise auch geraubte Kunstwerke aus der Zeit des Nationalsozialismus zu identifizieren. Die Zahl der interessanten Archivstücke ist unerschöpflich: das Foto einer Unternehmerfamilie, die sich wie eine Königsfamilie inszeniert; Plakate, Broschüren und andere Werbemittel; Gutscheine für Mitarbeiter aus der Inflationszeit; über 100 Jahre alte Zahnbürsten aus Bakelit; Fundstücke rund um die Einführung des Dosenbiers in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und so weiter und so fort.

Wechsel an der Spitze

Nach 37-jähriger Tätigkeit als Archivarin, davon über 22 Jahre als Leiterin des BWA, ging Dr. Eva Moser zum 1. Juli 2023 in den Ruhestand. Der neue Leiter Dr. Richard Winkler ist seit 1994 als Archivar im BWA aktiv. Eine wichtige künftige Aufgabe sieht er darin, neue Archivbestände zu akquirieren, ihre Erschließung voranzutreiben und die digitalen Angebote zu erweitern. Stellvertretender Archivleiter ist Dr. Harald Müller, der seit 2001 dort tätig ist. Die Archivleiter stehen gerne für Unternehmen als Ansprechpartner zur Verfügung, die sich als Sponsoren engagieren möchten.

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 10|2023, Seite 58

 
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