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Was macht eigentlich...?

Heinrich von Pierer

Der gebürtige Erlanger war als Vorstandsvorsitzender der Siemens AG einer der wichtigsten Wirtschaftsführer der Welt. Heute backt er kleinere Brötchen ? und ist damit hoch zufrieden.

Am 15. Mai 2009 hatten die Fürther Wirtschaftsjunioren den früheren Siemens-Chef Dr. Heinrich von Pierer zu Gast, um von dessen unternehmerischen Erfahrungen zu partizipieren. Vorsitzende Alexandra Beer-Scharwächter zeigte sich "sehr stolz", den "Architekten der Deutschland AG" als Redner gewonnen zu haben. Das unterstreicht: Pierer erfreut sich wieder allgemeiner Anerkennung. Den Vorwürfen in den Medien ist der Mann, den sie einmal "Mister Siemens" nannten, immer entgegen getreten. Ihn treffe keine Schuld am Korruptionsskandal, hat Pierer stets beteuert.

In seiner Geburts- und Heimatstadt Erlangen hat man an Pierer sowieso nie gezweifelt. In Leserbriefen an die Lokalzeitung wurde er als herausragende Persönlichkeit bezeichnet, "von uns alten Siemensianern geschätzt und verehrt". Im "Zeit-Magazin" vom 23. Dezember 2008 setzte der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt schließlich das i-Tüpfelchen: "Ohne von Pierer wäre Siemens nicht zu dieser Weltfirma aufgestiegen, die es inzwischen ist."

Pierer hat nie abgehoben, ging in die Kantine zum Essen, um mit den Leuten zu reden – seine Kultur des Hin- und Zuhörens: "Ich war und bin mit vielen per Du. Auf persönliche Anfragen hat jeder eine Antwort bekommen." Erlangen ist bis heute Dreh- und Angelpunkt in seinem Leben geblieben. Hier weiß er Freunde, "die einen auf den Boden der Tatsachen herunterholen, wenn man den Bezug zur Realität zu verlieren droht". Begründet ist das auch in seiner Familienhistorie: "Meine Eltern waren Österreicher – beide bescheidene Leute. Prahlerei ist denen richtig auf den Geist gegangen."

Pierer hat Siemens in eineinhalb Jahrzehnten von einem klassischen Industrieunternehmen der Elektrotechnik zu einem global ausgerichteten Hochtechnologiekonzern geformt.

Zu dieser Zeit wuchs Pierer in den Zenit seines Ansehens. Er war Berater dreier Bundeskanzler, gesuchter Gesprächspartner auf dem internationalen Parkett, Redner vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York, wurde zwischenzeitlich als Wirtschaftsminister gehandelt, stand kurz vor der Berufung als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten, leitete den "Rat für Innovation und Wachstum" bei Angela Merkel und den Asien-Pazifik-Ausschuss der deutschen Wirtschaft.

Sollte er sich als inzwischen 68-Jähriger an ein Leben als Pensionär und Rosenzüchter gewöhnen? Der ehemalige Jung-Journalist, der sich als freier Mitarbeiter des "Erlanger Tagblatts" sein Studium verdient hatte, verließ den Schreibtisch nicht. Er verlor zwar – außer bei Hochtief, wo er seit 20 Jahren wirkt – seine deutschen Aufsichtsratsmandate, gewann jedoch ein türkisches hinzu: beim Mischkonzern Koc mit 40 Mrd. US-Dollar Umsatz und weltweit 85 000 Beschäftigten. Pierer hat sich etwas Türkisch beigebracht, um in Ankara bei den vier Sitzungen pro Jahr mitreden zu können. Und er zehrt dort von Erkenntnissen, die er auf seinen zahlreichen Auslandsreisen gesammelt hat: "Die deutsche Sachlichkeit kommt nicht bei allen Gastgebern gut an. Man muss sich auf andere Kulturen einlassen – und man muss zuhören können. Das Zuhören können wir Deutschen immer noch zu wenig."

Räumlich backt der Ehrenbürger von Singapur heute freilich kleinere Brötchen als einst im Palais am Wittelsbacherplatz in München: zwei Zimmer – eines für ihn selbst, das andere für die Sekretärin – in einem Bürohaus an der Nägelsbachstraße in Erlangen. "Pierer Consulting" steht neben dem Klingelknopf – und das Büro schmückt neben der World-Award-Statue die Ehrenurkunde zum "Betriebsrat ehrenhalber", im April 2002 von den Belegschaftsvertretern des Siemens-Werks in Erfurt zuerkannt. Ein dortiger Betriebsrat hat dem "Stern"-Reporter erzählt: "Bei uns hier in Erfurt ist Heinrich von Pierer noch immer ein Heiliger."

Den Telefoncomputer von BlackBerry griffbereit, meint der Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes: "Ich muss ja nicht viel Geld verdienen und tue deshalb nur noch das, was mir Spaß macht." Schließlich will er künftig genügend Zeit haben – für seine sportlichen Hobbys wie Tennis bei der Altherren-Mannschaft des Turnerbunds und Golf beim Club in Kanndorf, und natürlich für seine Familie. Mit seiner Frau Annette (die übrigens 49 Prozent an seiner GmbH hält) fliegt er nach Neuseeland und Namibia, die Enkel von drei Kindern begleitet er gerne mal bei einer Wanderung durch die Fränkische Schweiz. In der Zeit dazwischen gibt er Ratschläge an Bosse und Gründer aus Feldern, die er besonders gut kennt: Energie, Kommunikation, etwa bei der Markteinführung neuer Produkte, und das richtige Verhalten bei Geschäften in Asien.

Honorarprofessor an der Nürnberger WiSo-Fakultät ist Pierer auch. Zehn Seminare mit viel Praxisbezug hat er seit seiner Ernennung im Januar 2006 gegeben. Um "Management in der Krise" ging es beim letzten Mal. Da hätte sich manch neuer Siemens-Manager durchaus einige Tipps holen können.

Autor/in: 
Udo B. Greiner
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 07|2009, Seite 41

 
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