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Branchen-Report

Hier wird das Spiel gemacht!

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Das Herz der Spielwaren-Branche schlägt in der Region Nürnberg. Kann sie auch künftig den Wettbewerb gewinnen?

Weltregion der Spielwaren – so wird Mittelfranken gern bezeichnet. Und das völlig zu Recht angesichts ihrer langen Tradition an handwerklicher und industrieller Spielwarenproduktion. Zudem ist die Internationale Spielwarenmesse in Nürnberg unangefochten die weltweite Leitveranstaltung der Branche. Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Facetten, die den Ruf als Weltregion der Spielwaren begründen. Etwa die Tatsache, dass der Deutsche Verband der Spielwarenindustrie (DVSI) dort seinen Sitz hat. Ihm gehören über 200 Unternehmen mit rund 10 000 Beschäftigten an, davon 22 Mitglieder aus Mittelfranken.

Von einer "heimlichen Hauptstadt des Spielens im 21. Jahrhundert" spricht Prof. Dr. Karin Falkenberg, Leiterin des städtischen Spielzeugmuseums. Zusätzlich zu Spielwarenmesse, Spielzeugmuseum und Branchenverband DVSI nennt sie das Deutsche Spielearchiv, die Handels- und Dienstleistungsgenossenschaft Vedes sowie die reiche Tradition bei der Herstellung von Spielwaren.

Das Spielzeugmuseum präsentiert nicht nur viele Exponate aus der Spielzeugwelt. Es beschäftigt sich darüber hinaus auch mit kulturellen Dimensionen des Spielens. Da geht es beispielsweise um die Frage, wie rassistisch frühere Spielfiguren waren, die Menschen aus Afrika darstellten. Vielfach hatte Spielzeug auch eine erzieherische Funktion: So sollte das sogenannte Stromersche Puppenhaus mit seinen 15 Räumen Mädchen an ihre künftige Rolle im Haushalt heranführen. Das Abbild eines typischen Nürnberger Patrizierhaushalts enthält über 1 000 Gegenstände und befindet sich heute im Germanischen Nationalmuseum. Darüber hinaus hat das Museum in einer historischen Untersuchung die Zahl der Spielwarenhersteller in Nürnberg, Fürth und Zirndorf analysiert – und zwar in der Zeit von 1875 (Blütezeit der regionalen Spielwarenindustrie) bis 1975 (damals wurden die "Blechbatscher" durch Kunststoffspielzeug verdrängt). Insgesamt wurden 706 Produktionsstätten für Spielwaren identifiziert. Historische "Spielzeugstadtpläne" veranschaulichen die frühere wirtschaftliche Kraft dieser Branche.

Produktion und Handel im Verbund

Profitiert haben die Hersteller in der einstigen Reichsstadt von den blühenden Handwerksbetrieben. Es entstanden etwa detailverliebte Puppenküchen mit Zubehör, Holzspielzeug, Zinnfiguren, Aufstell-, Blech- und mechanisches Spielzeug und vieles mehr. Sie fanden durch die umtriebigen Händler als "Nürnberger Tand" überregionalen Absatz und etablierten sich als Marke. Diese erfolgreiche Verbindung aus Produktion und Handel begründet bis heute Nürnbergs herausgehobene Stellung in der Spielwarenwelt.

Auch im Vertrieb setzte Nürnberg neue Maßstäbe: Der Kaufmann und Spielwarenhändler Georg Hieronimus Bestelmeier (1764 – 1829) gilt mit einem Katalog als Pionier des modernen Versandhandels. Sein bebilderter Kupferstich-Katalog offerierte über 1 300 Spielwaren, die nach Bestellung prompt an die Kunden geliefert wurden. Ein Exemplar von 1823 findet sich auch im Spielzeugmuseum.

Im Laufe der Zeit fand auch die Welt der Technik vielfältigen Eingang in die Spielzeugwelt. Technische Innovationen wie Dampfmaschine und Eisenbahn, später auch Auto und Flugzeug kamen als Spielwaren auf den Markt. Um 1910 arbeiteten allein in Nürnberg etwa 5 000 Menschen in über 100 einschlägigen Firmen, darunter bei der jüdischen Gebr. Bing AG, der damals weltgrößten Spielwarenfabrik. Bing-Spielwaren sind unter den insgesamt 92 000 Objekten in der Sammlung des Spielzeugmuseums prominent vertreten. Diese können auf der Homepage des Museums alle virtuell besichtigt werden, während die laufenden Ausstellungen rund 5 000 Stücke zeigen.

Dass das Museum überhaupt in Nürnberg zu finden ist, liegt an dem früheren Nürnberger Kulturreferenten Hermann Glaser. Er empfand es als klaffende Lücke, dass es in der Spielzeugstadt kein entsprechendes Museum gab. Er kannte die Spielzeugsammlung des Ehepaars Bayer in Würzburg – begonnen in den 1920-er Jahren, als der kulturhistorische Wert von Spielzeug noch kaum erkannt wurde. Die Sammlung wurde von der Stadt als Grundstock für das neue Museum angekauft, das schließlich zur Spielwarenmesse 1971 eröffnet wurde. Heute kommen jährlich rund 120 000 Menschen in das Nürnberger Spielzeugmuseum.

Spielwarenindustrie heute

Gemessen am Umsatz ist derzeit die Fürther Simba Dickie Group der regionale Branchen-Primus vor dem Zirndorfer Playmobil-Hersteller geobra Brandstätter Stiftung & Co. KG. Das Familienunternehmen Simba Dickie vereint unter seinem Dach ein beachtliches Portfolio regionaler Spielzeuggeschichte. Das war 1982 längst nicht abzusehen, als Fritz Sieber zusammen mit seinem Sohn Michael in Nürnberg den Spielzeugimporteur Simba Toys gründeten. Die Familientradition im Spielzeug begann allerdings fast 40 Jahre früher in Schneeberg im Erzgebirge in der damaligen DDR. Nach einer riskanten Flucht ließen sich die Siebers im Raum Fürth nieder und bauten mit der Firma Siso (Sieber & Sohn) einen florierenden Spielzeughandel auf. Der frühe Schritt nach Fernost 1984 erfolgte mit der Gründung der Simba Toys HK Ltd. in der damals noch britischen Kronkolonie Hongkong und erwies sich ebenfalls als erfolgreich.

In den 1990er Jahren begann die Unternehmerfamilie Sieber mit ihren zahlreichen Firmenübernahmen: 1993 die im thüringischen Sonneberg beheimateten Firmen Dickie Spielzeug und Dickie-Tamiya, fünf Jahre später der insolvente Holzspielzeug-Hersteller Eichhorn aus dem niederbayerischen Egglham. Dann folgten auch Übernahmen von Branchenunternehmen in der Region Nürnberg, sodass deren Zukunft unter dem neuen Dach gesichert wurde: 1999 kam als erstes der traditionsreiche Nürnberger Modellautohersteller Schuco dazu. Das 1912 als Schreyer & Co. Spielwarenwerke gegründete Unternehmen fertigte zunächst Plüschspielwaren, erlebte seinen eigentlichen Durchbruch nach dem Ersten Weltkrieg mit qualitativ hochwertigem Metallspielzeug. In der 1950er Jahren sorgte Verkehrsspielzeug für den Ruf als Europas größte Spielwarenfabrik. Als Mitte der 1970-er Jahre in der Spielwarenwelt Blech durch Kunststoff abgelöst wurde, folgte der Konkurs. Die Unternehmerfamilie Mangold, die auch die Modelleisenbahn Trix im Portfolio hatte, brachte ab den 1980er Jahren erneut Schuco-Spielzeug auf den Markt und verkaufte dann an Simba Dickie.

Ein weiteres Traditionsunternehmen ist Noris-Spiele, das 1907 in Nürnberg entstand und knapp 30 Jahre später nach Fürth umzog. Der Hersteller von Brettspielen wurde 2001 von Simba Dickie aus der Insolvenz gekauft. Über diese Tochter kommt 2008 die Nürnberger Firma J. Schipper Hobby-Ideen in die Gruppe. Unter der Marke "Schipper – Malen nach Zahlen" werden heute am Stammsitz der Gruppe in Fürth über 150 Ausmal-Motive produziert. Weithin bekannt ist auch das unverwüstliche Rutschfahrzeug Big-Bobby-Car, das früher bei der Fürther Big-Spielwarenfabrik produziert wurde. Nach dem Tod von Firmengründer Ernst A. Bettag 2003 war die Nachfolge ungeklärt. Michael Sieber, der an die Zukunft des Bobby-Cars glaubte, übernahm das Unternehmen und vollendete den Ausbau des neuen Big-Werks im mittelfränkischen Burghaslach.

Auch die legendäre und mittlerweile beendete Geschichte der Nürnberger Modelleisenbahnen führt über Umwegen wieder zurück in die Region. Noch in den Jahren des Wirtschaftswunders sorgten die Firmen Ernst Paul Lehmann, Fleischmann, Karl Arnold und Trix dafür, dass Nürnberg das Zentrum der Modellbahnherstellung war. Rechtlich gehört der Göppinger Modellbahnbauer Märklin heute der Fürther Sieber & Sohn GmbH & Co. KG, eine Firma außerhalb der Simba Dickie Group. Michael Sieber und sein Sohn Florian Sieber übernahmen 2013 Märklin, die sich bereits seit fünf Jahren im Insolvenzverfahren befunden hatte. Dazu gehörten auch die Märklin-Töchter Trix und Lehmann-Groß-Bahn LGB. Die Wurzeln von Trix reichen zurück bis ins Jahr 1838 – zunächst ein Fürther Betrieb, der Zinnfiguren herstellte. Der Trix-Express als erste Modelleisenbahn kam 1935 auf den Markt. Nach mehreren Übernahmen firmierte Trix zuletzt als Trix-Schuco, bevor sie in den 1990er Jahren an Märklin ging.

Die Geschichte der Lehmann-Groß-Bahn LGB begann im Jahr 1881 in Brandenburg an der Havel. Ernst Paul Lehmann startete zusammen mit dem aus der Spielwarenbranche stammenden Nürnberger Fabrikantensohn Jean Eichner eine Blechspielwarenfabrik. Innerhalb weniger Jahre beschäftigte die Firma bis zu 900 Personen, erlangte weltweite Bekanntheit und schützte das Spielzeug schon früh mit internationalen Patenten. 1950 startete der Kaufmann und Erfinder Johannes Richter in einer Nürnberger Hinterhofwerkstatt mit dem Aufbau einer neuen Existenz. Seinen beiden Söhnen gelang Ende der 1960-er Jahre der Durchbruch mit der Lehmann Groß-Bahn. 2007 kaufte schließlich Märklin die insolvente Traditionsfirma. Die erfolgreiche Sanierung der Standorte und Produktion übernahm Florian Sieber, Jahrgang 1985, der damit auch seine Nachfolgerolle bei der Simba Dickie Group untermauerte. Laut Sieber erleichtert die Nähe zum Branchenverband DVSI in Nürnberg den Austausch innerhalb der Branche, etwa innerhalb der Arbeitskreise Spielzeugsicherheit oder Nachhaltigkeit.

Nach den letzten internationalen Zukäufen ist der Anteil der eigenen Fertigung von 40 Prozent auf 30 Prozent gesunken. Jedoch bleibt China als Herz der internationalen Spielwarenfertigung für Sieber kurzfristig nicht ersetzbar. "Wir haben erste Schritte zur langsamen Produktionsverlagerung eingeleitet", sagt Sieber etwa mit Blick auf Vietnam, Indien und Indonesien. Man dürfe bei allen Überlegungen zur Diversifikation aber die gute chinesische Infrastruktur nicht vergessen.

Dagegen bedient die Bruder Spielwaren GmbH + Co. KG in Fürth, die in zwei Jahren 100 Jahre alt wird, von ihrem Stammsitz aus die USA und weitere 70 Länder. In Burgfarrnbach produziert das Familienunternehmen seit 1987 rund 250 verschiedene Kunststofffahrzeuge, der Standort wurde seitdem mehrfach ausgebaut und vergrößert. Im Jahr 2015 kam ein Werk im tschechischen Pilsen hinzu. Gleichwohl ist für Geschäftsführer Paul Heinz Bruder, der einen der großen Industriebetriebe in Fürth lenkt, klar: "Das Herz der Branche schlägt in Nürnberg."

Aus Sicht von Bruder, der auch Vizepräsident der IHK Nürnberg für Mittelfranken ist, braucht die Spielwarenregion auch in Zukunft eine starke Industrie und darf nicht nur eine reine Handelsregion werden. Hilfreich sei dabei das Netzwerk – beispielsweise beim Branchenverband DVSI mit Sitz in Nürnberg. Dort treffe man auf andere Branchenmitglieder und könne etwa mit Vertretern von Großunternehmen wie Lego über spezifische Fragen diskutieren. "Es herrscht in der Branche ein konstruktives Miteinander." Innerhalb der Region ließen sich zudem Patentstreitigkeiten im direkten Kontakt beilegen. Auch die Vedes mache die Spielzeugregion stark. Sorgen macht Bruder die überbordende Regulierung. Das Lieferkettengesetz sieht er skeptisch und berichtet in diesem Zusammenhang von einer Audit-Delegation eines US-Händlers. Der wollte sich in Fürth ein Bild machen, ob dort tatsächlich keine Kinderarbeit stattfindet, und kontrollierte u. a. auch die Sozialräume für Mitarbeiter.

Zur Spielwarenregion Nürnberg gehört auch die geobra Brandstätter Stiftung & Co. KG in Zirndorf – der Hersteller der weltbekannten Playmobil-Figuren und -Spielwelten. Bei dieser Branchengröße stehen die Zeichen aktuell auf Sanierung. Eine Beratung hat den Zirndorfern einen Personalabbau verordnet, die Mitarbeitervertretung klagt immer wieder vor Gericht gegen ihren Arbeitgeber. Presseberichten zufolge sank der Playmobil-Umsatz auf 614 Mio. Euro. Ein Restrukturierungsplan sieht vor, dass von den rund 4 000 Beschäftigten knapp 700 ihre Stelle verlieren sollen, davon über 350 in Deutschland.

Zu den weiteren Branchenunternehmen zählt beispielsweise die Simm Spielwaren GmbH aus Roth mit ihren Kunststoff- und Kreativartikeln, Blechspielzeugen und Kunststoff-Autorennbahnen. Oder auch die Nürnberger Heinrich Bauer GmbH & Co. KG, die zunächst Markenartikel importierte. Später kam u. a. auch eine eigene Plüschfertigung in Fernost hinzu. Das Unternehmen übernahm 2003 auch die 1846 gegründete Nürnberger Traditionsfirma J.G. Schrödel, die sich auf Spielzeug-Pistolen und -Gewehre spezialisiert hatte.

Die Altdorfer Rietze GmbH & Co. KG ist seit über 40 Jahren auf das Modellauto-Segment spezialisiert und hat rund 1 100 Modelle im Portfolio. Stolz sind die Geschäftsführer Lothar Rietze und sein Sohn Christian Rietze auf die eigene Fertigungstiefe. Man sei eines der letzten Unternehmen der Branche, das die gesamten Prozesse im eigenen Haus erledige. Dazu zählen etwa Konstruktion und Design, Formenbau und 3D-Druck bis hin zu Lackiererei, Montage und Verpackung. Die Bedeutung der Spielwarenregion Nürnberg schätzt Lothar Rietze rückläufig ein. Allerdings holt das Unternehmen die rund 40 relevanten Händler und Facheinkäufer zu sich ins Haus, seitdem man seit der Corona-Pandemie keinen Stand mehr auf der Spielwarenmesse hat.

Gebremst wird das Geschäft bei Rietze, wo rund 45 Beschäftigte tätig sind, derzeit von fehlenden Mitarbeitern. "Das Problem ist nicht der höhere Mindestlohn, sondern der Abstand zu den unteren Lohngruppen", erklärt Lothar Rietze. Kleinstserien mit einer Auflage von etwa 200 Stück erfordern viel Handarbeit, ein Modellbus im Maßstab 1:43 besteht aus rund 150 Einzelteilen. Entsprechend liegt der Anteil der Personalkosten bei gut 80 Prozent.

Fingerfarben, Knete und Modelliermasse stellt die Feuchtmann GmbH in Burgbernheim bei Bad Windsheim her. Geschäftsführer Ulrich Feuchtmann legt ebenfalls Wert auf eine komplette Fertigung in der Spielwarenregion. Dabei war er einst unglücklich darüber gewesen, dass sein Vater nicht auf Produktion in China setzte. "Mittlerweile bin ich darüber sehr froh." Der hohen Qualitätsstandards wegen arbeitet er mit deutschen Lieferanten zusammen, darunter auch einige aus der Region sowie Werkstätten für behinderte Menschen. Das macht die Produktpalette zwar vergleichsweise teuer, aber für gutes Design und für Produkte "Made in Germany" würden weiterhin höhere Preise bezahlt.

2017 übernahm der Familienunternehmer in zweiter Generation die Ministeck Kreativ GmbH, die 19 Jahre zuvor in Nürnberg aus der Taufe gehoben worden war und bereits mehrere Insolvenzen und Eigentümerwechsel hinter sich hatte. Das Spielstecksystem sei nach wie vor der "Hammer": "Es ist Pixel-Art, obwohl damals noch keiner das Wort Pixel kannte." Allerdings sei die Marke bei vielen jungen Eltern, die die zentrale Zielgruppe von Ministeck bilden, nicht mehr so bekannt wie früher. Mit einem neuen Vertriebspartner will Feuchtmann das nun ändern. Viel Aufmerksamkeit erlangt Ministeck durch eine Kooperation mit dem Neuen Museum Nürnberg, das aktuell Ministeck-Sets gegen eine kleine Schutzgebühr verkauft. Die Mitmach-Aktion findet im Rahmen der Retrospektive des Künstlers Reinhard Voigt statt, dessen großformatige Gemälde mit gleichmäßigen Rastern an Computerpixel erinnern.

Eines der jüngsten Unternehmen in der Spielwarenregion dürfte das Holler Poller Holzspielzeug der Peter Jaensch GmbH aus Schwaig sein. Jaensch ist studierter Produktdesigner und war jahrelang bei regionalen Unternehmen als Entwicklungsleiter angestellt, bevor er sich für die Selbstständigkeit entschied. Als gelernter Modellbauer hatte er schon während seiner Ausbildung bei Porsche viel mit Holz zu tun. Dieses Know-how hilft ihm, in seiner Kellerwerkstatt Holzspielzeug für Kleinkinder zu designen, das die "spielende Fantasie" der Zwei- und Dreijährigen beflügelt. "Vieles vom gängigen Spielzeugmarkt ist pädagogisch schrecklich", findet der Familienvater. Im letzten Jahr startete er seinen eigenen Betrieb und bringt insgesamt 14 Produkte aus Bergahorn oder Buche auf den Markt. Die Flugzeuge, Hubschrauber und Laster zeichnen sich durch reduzierte Formen und Farben aus, die Figuren haben allesamt kein Gesicht. Das alles fördere das kreative Spiel. Über seinen Online-Shop orderten Kunden im letzten Jahr mehr als geplant. In diesem Jahr will er die Produktionsmenge steigern, um attraktiver für den Fachhandel zu werden.

Digitale Spiele

Eine Sonderstellung in der Spielwarenregion nehmen die digitalen Spielehersteller ein. "Nürnberg ist hier keine Metropole", sagt Petra Fröhlich, die mit ihrem digitalen Branchenportal "Games Wirtschaft" dieses Segment im Fokus hat. Immerhin findet sich etwa in Erlangen der Deutschlandsitz der Schweizer Giants Software GmbH, die mit ihrem "Farming Simulator" Millionen Gamer begeistert und auch in der Spielebibliothek des Streaming-Riesen Netflix zu finden ist. Ein anderer, "kleiner, aber feiner" Entwickler ist das Erlanger Studio Boxelware GmbH, das die Spieler mit seinem Science-Fiction-Game Avorion in den Weltraum entführt. Ein weiteres Beispiel ist die Nürnberger NeoBird GmbH & Co. KG, die Spiele und sogenannte Serious Games (Spiele für die Wissensvermittlung) für PC, mobile Geräte, Web oder auch Augmented Reality konzipiert und entwickelt. "Man trifft diese Unternehmen eher in München oder anderswo", berichtet Fröhlich. Eine enge Zusammenarbeit zwischen den analogen und digitalen Spielewelten finde nicht statt. Das habe auch damit zu tun, dass Vertrieb und Vermarktung von digitalen Games ganz anders funktionieren. Schon lange haben sich etwa die internationalen Riesen wie Nintendo & Co von der Nürnberger Spielwarenmesse verabschiedet. Auch die Spielwareneinzelhändler lassen das Segment weitgehend unbeackert, sodass wiederum die Vedes digitale Spiele nicht im Stammsortiment hat, sondern nur auf Anfrage besorgt.

Spielwarenhandel

Die Nürnberger Vedes AG, Tochter der genossenschaftlichen Vedes Vereinigung der Spielwaren-Fachgeschäfte, macht die Region zur zentralen Drehscheibe im Spielwarenhandel. Sie wurde 1904 von 14 deutschen Spielwarenfachhändlern in der Messestadt Leipzig gegründet, ein paar Jahre später kam ein Vedes-Einkaufshaus in Nürnberg dazu. Die Zentrale zog zunächst nach Berlin, um dann 1926 ihren Hauptsitz in der Spielzeugstadt Nürnberg zu eröffnen. Durch die deutsche Teilung stand die Leipziger Messe nicht mehr als "Spielwaren-Fenster" zur Verfügung, die Vedes bereitete nun im zerstörten Nürnberg die erste Spielwarenmesse mit vor.

Die klassische Einkaufsgenossenschaft der Fachhändler wandelte sich seit den Krisenjahren Anfang der 2000er Jahre zu einer Dienstleistungsplattform mit großem Leistungsspektrum, wie sich Dr. Thomas Märtz erinnert, der seit 1999 Vorstandschef der Vedes ist. Gerade für die inhabergeführten Läden seien Digitalisierung, IT und Warenwirtschaftssysteme entscheidende Elemente, um den Online- und Offline-Handel zu verzahnen. Die Corona-Pandemie habe in der Händlerlandschaft zu einer "Evolutionsbeschleunigung" geführt, weil die Läden im Lockdown über ihre Online-Präsenz weiterverkaufen konnten. Die Vedes beliefert nicht nur die mit ihr verbundenen Händler, sondern auch direkt die Verbraucher, wenn diese in einem digitalen Händler-Shop per Mausklick einkaufen. Während der Pandemie kletterte der Anteil digital verkaufter Spielwaren im Gesamtmarkt auf 50 Prozent, derzeit liegt er wieder leicht darunter. Im Kerngebiet Deutschland, Österreich und Schweiz hat die Vedes rund 700 Markenpartner mit 900 Geschäften. In der mittelfränkischen Spielwarenregion sind es zehn. In den letzten 20 Jahren ist die Vedes auch zu einem Allkanal-Anbieter geworden und beliefert auch den Lebensmittelhandel oder Buchketten. Das stärkt die Einkaufsmacht und beschert den Vedes-Mitgliedern eine Rückvergütung aus dem Ertrag.

Im mittelfränkischen Spielwaren-Fachhandel hat es in den letzten Jahren viel Bewegung gegeben. So ist beispielsweise Nicole Moser-Dümpelmann mit ihrem Fachgeschäft Pfiffikus Spielzeug mitten in der Corona-Zeit von der südwestlichen Altstadt an den Hauptmarkt gezogen. "Ich habe den Schritt nicht bereut", sagt sie angesichts der vielen Laufkundschaft. Gerade internationale Touristen haben ihr entgegen dem Markttrend ein "Super-Weihnachtsgeschäft" beschert. Dafür hat sie ihr Sortiment an ausgesuchten Spielwaren allerdings komplett überarbeitet: "Alles, was es auch im Internet gibt, ist raus." Stattdessen hat sie etwa hochwertige Kindermode neu im Laden und ein breites Sortiment an Jonglierwaren, das man so im stationären Handel Nürnbergs nicht mehr finde. Und viele Stammkunden, die sie teils seit 1985 kennt, sind auch ihrem neuen Standort treu geblieben. Kunden, die etwa Brettspiele suchen, schickt sie zu Ultra Comix GmbH in der Vorderen Sterngasse. Dort findet sich ein umfangreiches Angebot an Neuheiten und Klassikern sowie eine Auswahl an Spielen deutscher Kleinverlage. Seltene, vergriffene Spiele finden sich im Ultra Comix Antiquariat K1. Spielwaren Schweiger ist Nürnbergs ältester Fachhändler, der 1896 am Laufer Schlagturm u. a. mit Spielwaren und Modelleisenbahnen startete. Der hat allerdings 2002 die Altstadt verlassen und findet sich nun im Stadtteil Mögeldorf.

Zur Spielzeugregion gehört nicht zuletzt das Deutsche Spielearchiv Nürnberg mit über 40 000 Brett- und Kartenspielen. Es ist deutschlandweit die größte öffentlich betreute Sammlung von Gesellschaftsspielen, die alljährlich durch wichtige Neuerscheinungen weiter wächst. Sie ist im "Haus des Spiels" im Pellerhaus untergebracht, das die Spielelust kontinuierlich mit unterschiedlichen Aktionen in die Stadt trägt. Dabei hilft der Nürnberger Ali Baba Spieleclub, ein bundesweiter Verein mit eigener Spielesammlung, dessen hiesiger Regionalverein der größte in Deutschland ist. Unter seiner Regie gibt es in der früheren Stadtbibliothek regelmäßig Mitspielangebote für Brettspiel-Fans jeglichen Alters.

Neuland für die Spielzeugregion betritt die Informatik-Fakultät der Technischen Hochschule Nürnberg. In dem gemeinsamen Forschungsprojekt "Empamos" ("Empirische Analyse motivierender Spielelemente") wird zusammen mit dem Deutschen Spielearchiv untersucht, wie sich Spielelemente wie Sammeln, Belohnen oder Zeitlimit in Brett- und Gesellschaftsspielen seit 2016 niederschlagen. Möglich wird das Projekt durch innovative IT-Technologien wie maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz (KI) sowie hohe Rechenleistungen. Die digitale Mustererkennung kristallisierte aus bislang über 8 300 Spielanleitungen wiederkehrende Kombinationen heraus. "Unsere Forschung ist weltweit einmalig und eröffnet der Spielzeugstadt Nürnberg eine weitere Dimension", sagt der Dekan der Informatik-Fakultät, Prof. Dr. Thomas Voit. Mit dieser fortlaufenden Arbeit entstehe eine "Topographie oder Landkarte für die Spielewelt". Spieleerfinder bekommen mit "Empamos" ein Denk- und Analysewerkzeug an die Hand. Damit erkennen sie, welche Kombinationen beispielsweise häufig oder weniger häufig vorkommen, sodass sie ihre Spielideen entsprechend ausrichten oder bewusst ungewöhnliche Wege ausprobieren können.

Aus den Forschungsergebnissen des "Empamos"-Projekts hat Voit ein eigenes Weiterbildungsprogramm für die Organisations-, Team- und Personalentwicklung ausgetüftelt. Er überträgt motivierende Elemente aus der Spielewelt in eine analoge und digitale Toolbox und macht diese damit in einem völlig neuen Zusammenhang nutzbar. Unternehmensberater, die dieses Werkzeug professionell anwenden wollen, müssen sich von "Empamos" als Trainer zertifizieren lassen. Einer der "Certified Trainer for Gameful Motivation" ist der Nürnberger Spielzeugdesigner Markus Utomo, der dieses Tool im betrieblichen Coaching einsetzt. Er ist seit 2016 selbstständig und greift auch selbst als Spieleerfinder auf die KI zurück.

Außerdem entwickelt er alljährlich Spiele für junge Lufthansa-Passagiere. Das Spiel muss während des Fluges mit wenig Platz spielbar sein sowie einfache Regeln und eine packende Spielidee für ein internationales Publikum haben. Zuvor hat er als angestellter Designer bei Simm Spielwaren ein 14-teiliges Sand-Set "Kochen" für den Strand entwickelt. Das sorge nach wie vor für "leuchtende Kinderaugen", sagt Utomo. Eltern hätten es verlernt, sich für ein Spiel zu begeistern: "Das will ich mit meinen Spielen wieder herauskitzeln."

Autor/in: 

(tt)

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 02|2024, Seite 14

 
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