IHK-Netzwerk International: Fokus Asien
Wo steht Asien geopolitisch?
Wie agieren die Mächte China und Indien im neuen weltpolitischen Machtgefüge? Wie ist ihr Verhältnis zueinander? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der zweiten Veranstaltung des „IHK-Netzwerks International“, die den Fokus auf Asien legte. Referent am 10. Dezember war Prof. Dr. Manuel Vermeer, ausgewiesener Experte für China und Indien. In seinem Vortrag betonte er die zentrale Rolle Asiens in den globalen Machtverhältnissen. „Nicht nur lebt dort der Großteil der Weltbevölkerung, auch wirtschaftlich war insbesondere China über viele Jahrhunderte erfolgreicher als die westlichen Länder“, erklärte Vermeer. Erst mit der Industrialisierung im Westen um das Jahr 1900 habe sich das Machtgefüge deutlich zugunsten Europas und später der USA verschoben.
China: Strategische Einflussnahme statt militärischer Eskalation
Nach Einschätzung von Vermeer verfolgt China unter der Führung von Xi Jinping das klare Ziel, eine strategische und wirtschaftliche Vormachtstellung zu erlangen. Dabei setze das Land weniger auf militärische Eskalation als vielmehr auf langfristige, systematische Einflussnahme. Ein zentrales Instrument dieser Strategie sei die „Neue Seidenstraße“, die 2013 ins Leben gerufen wurde und seitdem konsequent umgesetzt werde. Ziel sei es, globale Handels- und Infrastrukturnetze so zu gestalten, dass China dauerhaft wirtschaftlich davon profitiere.
Darüber hinaus misst China weiteren Regionen eine hohe strategische Bedeutung bei. Dazu zählen unter anderem die Antarktis als potenzielle zukünftige Handelsroute infolge des Abschmelzens der Polkappen, Tibet als Ursprungsregion bedeutender Flusssysteme mit Einfluss auf die Wasserversorgung – unter anderem Indiens – sowie Taiwan. Taiwan sei insbesondere für Chinas U-Boot-Flotte von strategischer Relevanz aber militärisch schwer einzunehmen. Ein möglicher Angriff hätte weitreichende Folgen: Wichtige Handelsrouten könnten blockiert und globale Lieferketten massiv gestört werden, so Vermeer.
Gleichzeitig stehe China vor erheblichen internen Herausforderungen. Dazu zählen unter anderem das nachlassende Wirtschaftswachstum und eine alternde Gesellschaft.
Indien: Vielfalt, Innovationskraft und strategische Eigenständigkeit
Indien unterscheide sich von China in vielerlei Hinsicht deutlich, so Vermeer. Besonders prägend sei die ausgeprägte kulturelle und gesellschaftliche Vielfalt. „In Indien werden zahlreiche Sprachen und Dialekte gesprochen, zudem spielt Religion eine zentrale Rolle im Alltag“, erklärte er. Diese Faktoren hätten auch einen starken Einfluss auf den beruflichen Kontext – etwa auf Führungsstile, Teamstrukturen und den zwischenmenschlichen Umgang.
Die indische Bevölkerung sei im Vergleich zu China deutlich jünger und vielfach gut ausgebildet. Viele junge Menschen verfügten über qualifizierte Abschlüsse, was das Land für internationale Unternehmen besonders attraktiv mache. Gleichzeitig habe sich in den vergangenen Jahren eine dynamische Start-up-Szene entwickelt. Indien könne mittlerweile zahlreiche Unicorns vorweisen (also junge Unternehmen mit einer Bewertung von über einer Mrd. Dollar) und gelte als weltweit bedeutender Innovations- und Gründerstandort.
Politisch verfolge Indien einen eigenständigen Kurs: Das Land lege großen Wert auf strategische Autonomie und vermeide feste Bündnisse mit einzelnen Partnern. Diese Haltung ermögliche es Indien, flexibel auf globale Entwicklungen zu reagieren und seine eigenen Interessen konsequent zu verfolgen.
Handlungsempfehlungen: Diversifizieren und strategisch neu denken
Vermeer betonte, dass Indien kein „zweites China“ sei. Eine Präsenz im chinesischen Markt sei daher weiterhin unverzichtbar. Gleichzeitig sei es ratsam, Abhängigkeiten durch eine gezielte Diversifizierungsstrategie zu reduzieren. Indien biete hierfür gute Voraussetzungen – unter anderem durch seine junge Bevölkerung, demokratische Strukturen und garantierte Meinungsfreiheit. Zudem sei das Land im Falle eines Konflikts zwischen China und Taiwan strategisch günstig positioniert und könne eine zentrale Rolle in globalen Wertschöpfungs- und Lieferketten übernehmen.
Zum Schluss richtete Vermeer den Blick auf Europa: „Europa muss als Einheit handeln und einen strategischen Neustart wagen. Dazu gehört auch, das traditionelle Überlegenheitsgefühl gegenüber anderen Wirtschaftsmächten abzulegen und globale Entwicklungen realistisch sowie offen zu betrachten.“
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